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Hundertwasser-Toilette in Neuseeland
Ein buntes und gar nicht so stilles Örtchen

Der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser erfüllte sich Mitte der 1970er-Jahre seinen Traum vom Leben und Arbeiten in der Natur: Er zog ins neuseeländische Kawakawa. Dort experimentierte er mit Sonnenkollektoren und Pflanzenkläranlagen - und er baute ein heute berühmtes Toilettenhäuschen.

Von Saskia Guntermann und Michael Marek | 16.11.2014
    Die Hundertwasser-Toilette im neuseeländischen Kawakawa
    Die Hundertwasser-Toilette im neuseeländischen Kawakawa (MICHAEL J. FIELD / AFP)
    "Wir stehen in der Mitte des Ortes, einer stark befahrenen Fernverkehrsstraße in den Norden hoch."
    Kawakawa, Gillies Street, 200 Kilometer nördlich von Auckland: 200 Einwohner hat das unscheinbare Örtchen auf Neuseelands Nordinsel. Es gibt einen Metzger, einen Supermarkt, ein Hotel, eine Tankstelle, mehrere Cafés und Andenkenlädchen - und: ein Kunst-Klo!
    "Da steht nun ein großer Baum direkt in der Mitte des Eingangs der Toilette, wächst durch das geöffnete Dach, es ist eine Platane. Hundertwasser hat Platanen geliebt. Und er hat sie auch gepflanzt hier."
    Thomas Lauterbach lebt seit vielen Jahren in Kawakawa, ist Maler und war mit Friedensreich Hundertwasser bis zu dessen Tod befreundet:
    "Die Toilette hat rechts den Eingang für die Frauen und links für die Männer, aber man findet immer wieder Männer bei den Frauen und Frauen bei den Männern, denn jeder will die bunten Mosaike sehen. Es zieht einen enormen Touristenstrom an aus der ganzen Welt und ist für die Nordinsel eine der Hauptattraktionen."
    "In einem Reiseführer haben wir etwas über die Hundertwasser-Toilette gelesen. Wir kommen aus Malaysia. Das hier ist wirklich beeindruckend! Die Toilette, das ist wie eine Kunstgalerie!"
    Überall sieht man Besucher mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Früher, im 19. und 20. Jahrhundert, war Kawakawa Schnittpunkt der Eisenbahnlinien und der Kohlentransporte. Doch der Abbau ist längst eingestellt worden. Zu unrentabel, dafür kommen heute die Touristen - wegen der Landschaft und der berühmten Pinkelbude:
    "Wir haben, wenn man die Hundertwasser-Architekturen in Europa, in Amerika, in Japan kennt, die bunten Säulen, die Pflastersteine, die unebenen Böden. Er hat ja die gerade Linie verabscheut und hat behauptet, dass nur die ungeraden Linien menschenwürdig sind. In diesem Sinne wurde dieses Gebäude gebaut. Die Wände sind unebenen, zum großen Teil unverputzt und roh belassen. Dieser graue Zementputz, das hat ihn sehr entsprochen, weil es ein schöner Kontrast ist zu den bunten, aufgelockerten Säulen und Farbtupfern."
    Aus Dankbarkeit für die Gemeinde
    Friedrich Stowasser alias Friedensreich Hundertwasser, 1928 in Österreich geboren, hatte im neuseeländischen Nirgendwo den idealen Rückzugspunkt für sein Schaffen gefunden - und eine Wahlheimat fernab des Wiener Schmähs. 1974 erwarb der Architekt und Künstler, dessen jüdische Familie 1943 von den Nationalsozialisten fast vollständig ermordet wurde, eine Farm in der Nähe von Kawakawa und wurde Neuseeländischer Staatsbürger. Hier fühlte er sich zu Hause, abseits des Kunstbetriebs mit Sotheby's, Vernissagen und Retrospektiven - dort, wo der schnöde Mammon regierte. Aus Dankbarkeit habe Hundertwasser für "seine" Gemeinde eine öffentliche Toilette konstruiert, sagt Thomas Lauterbach:
    "Ich würde vorschlagen, wir gehen einmal zusammen rein. Männlein und Weiblein – das macht hier nichts aus, deshalb wird man hier nicht geschimpft... Wir gehen also vorbei an einer bunten Glaswand. Das ist schon ein Hundertwasser-Wahrzeichen: die Bottle-Wände."
    Eine Ansammlung farbiger Flaschen in unterschiedlicher Größe, wild kombiniert und in die Wände einzementiert. Durch sie dringt natürliches Licht in den Raum. Im Waschbeckenbereich: ein stilisierter Fisch aus Kacheln gelegt. Statt Sterilität mit glatten Kunststoffoberflächen gibt es hier unebene Böden, verspielte bunte Säulen und ein lang gezogenes, wellenförmiges, mit Gras bepflanztes Dach:
    "Wir haben hier einen schmalen Gang, der gekachelt ist in der typischen Hundertwasser Manier: mit unebenen Wänden, gebrochenen Kacheln, aber auch ganzen Kacheln. War ein Vergnügen für die Handwerker, die so etwas noch nie gemacht hatten. Die waren gewohnt, immer nur gerade Linien zu gestalten. Das ist schon eine Herausforderung, aber es war ein Lernprozess für eine ganze Gemeinde, die mitgearbeitet hat. Es haben viele Schulkinder geholfen, es haben ungelernte Arbeiter geholfen und natürlich: Hundertwasser hat selbst mit Hand angelegt."
    Nicht nur beim Red Snapper Finger Food auf der Vernissage in New York kann man sich dem Künstler nah fühlen, sondern auch in Kawakawa: beim Spülen, beim Seifenspender, beim Blick in den Spiegel:
    "Es gibt zwei Kabinette, die, wenn wir hier einmal eintreten, unterschiedlich gestaltet sind, die hat offene Decken in dem Gesamttoilettenraum. Man ist privat, aber nicht zu privat, gebrochen, dann aber auch wieder mit Glasbausteinen - auch an der Außenwand. Man kann also durchaus den Lichteinfall von außen sehen, man kann zwar nicht von außen direkt in die Toilette hereinblicken, aber man sieht das Licht. Das ist sehr erzählerisch und romantisch, ein Genuss für die Sinne. Das ist die Männertoilette, und wir kommen jetzt rüber zur Frauentoilette ..."
    Aufwendige Reinigung
    1999 wurde die Hundertwasser-Toilette eröffnet. 10.000 Besucher kommen jeden Monat, Tendenz steigend. Ob nur mal, um kurz zu "müssen", aus Neugier oder künstlerischem Interesse, das vermag niemand genau zu sagen. Sicher ist: Dieser Abort wird weniger seiner offensichtlichen Funktion aufgesucht als wegen seines einzigartigen Designs. Ursprünglich wollte Hundertwasser: "Dass an der Außenseite eine Maori-Schnitzerei angebracht würde, aber das konnte er nicht machen. Für die Maori ist alles, was Toilettenbereich ist, ist NOA, das heißt, es darf in keiner Weise mit den kulturellen Schnitzereien in Verbindung gebracht werden. Das ist ein Tabu. Er hat das auch eingesehen und verstanden."
    "Jeder, der nach Neuseeland kommt, besucht die Hundertwasser Toilette in Kawakawa."
    Blaine Te Rito ist Künstler und Maori, mit seinen filigranen Holz-Skulpturen hat er sich auch außerhalb Neuseelands einen Namen gemacht:
    "Ja, natürlich! Sie ist ein Kultobjekt. Jeder will sie sehen. Hundertwasser hat ja Glasflaschen, Plastik und Müll als Baumaterial benutzt. Unglaublich. Ganz anders als unsere Maori-Kunst. Das würden wir niemals machen, aber ich liebe die Toilette, sie ist wunderschön!"
    So schön das anzuschauen ist, so aufwendig ist es, das Kawakawa Kunst-Klo zu säubern. Denn die Reinigung der Räumlichkeiten ist aufwendig - wegen der unebenen Böden und so, wie es hinter vorgehaltener Hand heißt:
    "Durch die Toilette hat sich für Kawakawa enorm viel verändert."
    Johnston Davis ist Vorsitzender des Hundertwasser-Trusts in Kawakawa. Er kümmert sich um das Erbe des österreichisch-neuseeländischen Künstlers:
    "Jetzt sind wir auch außerhalb Neuseelands bekannt. Die Leute kommen aus der ganzen Welt, aus Europa, den USA, Asien. Das war und ist ein richtiger Aufschwung für unsere kleine Stadt."
    "Hundertwasser hatte mehr Vertrauen in das Gute als andere"
    Frederick nannte er sich hier schlicht, der Künstler aus dem fernen Europa. Die Gemeinde wirbt mit dem einzigen Hundertwasser-Gebäude auf der südlichen Hemisphäre. Auch deshalb sei Kawakawa in einem Atemzug mit Wien und Nappa Valley zu nennen, mit Tokio und Tel Aviv, wo andere Hundertwasser Bauwerke zu bestaunen sind. Die Gemeindeoberen setzen auf den Werbeeffekt, ein Wallfahrtsort für Kunsttouristen.
    "Die meisten Bewohner hielten Hundertwasser für einen exzentrischen Europäer, ein bisschen verrückt, aber liebenswert. Und er liebte den Ort, hier konnte er in Ruhe leben. Ich erinnere mich: Er hatte damals einen grünen Lada und plante gerade die Toilette. Wir trafen uns für eine Besprechung. Frederick ließ seine Sachen im Wagen, Bilder, Entwürfe und den ganzen Kram. Die Türen waren offen. Ich sagte ihm, er sollte den Lada vielleicht besser abschließen. Darauf er: Johnston, alles Ok! Wir sind in Kawakawa! Hundertwasser hatte wohl mehr Vertrauen in das Gute als andere!"
    Es ist nur ja eine Toilette, aber das zeigt, dass auch kleine Dinge Schönheit ins Leben bringen können, das waren Hundertwassers Grußworte zur Einweihung - Kunst, Verzeihung, am Arsch der Welt! Übrigens: Was machen Sie am 19. November? Da ist Welttoilettentag. Auf nach Kawakawa!