Jürgen Liminski: In der deutschen Wirtschaft hängt der Himmel voller Geigen, die Börse boomt, der Aufschwung ist robust, nur hier und da einige kleine Wölkchen, die Steuereinnahmen sprudeln, die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Kanzlerin freut sich über das allgemeine Sommerhoch, mit ihr das Kabinett. Aber ist wirklich alles so rosig? Wie geht es weiter mit dem Mindestlohn, mit den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, mit dem Mangel an Fachkräften, mit der globalen Konkurrenz, zum Beispiel China?
Zu diesen Fragen begrüße ich nun den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt. Guten Morgen, Herr Hundt!
Dieter Hundt: Guten Morgen, Herr Liminski!
Liminski: Herr Hundt, sind Sie auch so zufrieden wie die Kanzlerin? Die Indikatoren zeigen ja fast alle nach oben, wäre die Zeit des Konjunkturhochs nicht auch eine gute Zeit für Reformen?
Hundt: Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist unverändert stabil, gut. Auf der anderen Seite gibt es ja auch erste warnende Stimmen, zunehmende Risiken, beispielsweise Ölpreis, der starke Euro, auch die hohen Zinsen. All dies darf bei der Beurteilung der weiteren Entwicklung nicht übersehen werden, und schließlich warne ich auch davor, die tatsächlich derzeit im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren gute Wirtschaftsentwicklung überzubewerten. Deutschland liegt nicht in der Spitzengruppe innerhalb der EU, sondern wir sind im internationalen Vergleich günstigstenfalls Mittelmaß. All dieses zeigt, dass keinerlei Grund besteht, die Hände in den Schoß zu legen, sondern wir müssen auch das relative Konjunkturhoch derzeit für Reformen nutzen.
Liminski: Über eine kleine Reform wird ja schon heftig diskutiert, nämlich die Senkung der Arbeitslosenbeiträge. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, hat sich dafür ausgesprochen, man könnte dadurch 100.000 neue Arbeitsplätze schaffen, was der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Stiegler, wiederum als Schwachsinn bezeichnet. Soll man das also machen oder sein lassen?
Hundt: Eine weitere Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung von derzeit noch 4,2 Prozent um Größenordnung einen Prozentpunkt ist möglich und auch erforderlich. Eine Senkung auf einen Wert von etwa 3,2 Prozent ist nach der mittelfristigen Finanzplanung bis einschließlich dem Jahr 2011 durchfinanziert und lässt immer noch einen zweistelligen Milliardenbetrag als Reserve für Versorgungslasten und zusätzlichen Liquiditätsbedarf. Deshalb, dieses zu viel bezahlte Geld muss den Beitragszahlern zurückgegeben werden. Wenn ich allerdings jetzt gestern lese, dass aus der Spitze der SPD-Fraktion die Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur, wonach sinkende Beitragslasten mehr Arbeitsplätze bringen, als Schwachsinn bezeichnet wird, da muss ich schon sagen, ist das Maß des Erträglichen weit überschritten. So kann und darf die Spitze der SPD mit dem besten arbeitsmarktpolitischen Fachmann an der Spitze der BA nicht umgehen.
Liminski: Nicht als Schwachsinn wird die Sache mit dem Mindestlohn betrachtet, zumindest in der Bevölkerung, da gibt es eine Mehrheit dafür. Die SPD will den Mindestlohn ja, die Union wehrt sich noch, schwankt aber schon, für die Post soll er noch in diesem Jahr eingeführt werden. Ist das denn noch zu verhindern? Die Arbeitgeber sind natürlich dagegen, vermute ich mal. Und wenn es nicht zu verhindern ist, kommt dann der große Exodus deutscher Firmen ins Ausland?
Hundt: Der Koalitionsausschuss hat eine Änderung des Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes - ein Gesetz aus dem Jahr 1952, sollte man nicht vergessen - beschlossen. Diese Vereinbarungen ermöglichen die Festsetzung von gesetzlichen Mindestlöhnen in allen Branchen und stellen deshalb eine Gefahr dar, dass tatsächlich zunehmende gesetzliche Mindestlöhne auch eingeführt werden. Ich bemängele, dass diese Regelungen die Tarifautonomie beschädigen. Sie öffnen das Tor für eine weitreichende Abschaffung der Tarifautonomie, die sich bei uns in Deutschland sehr gut bewährt hat und die ich auch für zukunftsfähig halte. Darüber hinaus werden derartige Veränderungen auch negative Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt haben. Zumindest ein Teil der betroffenen Arbeitsplätze, für die Mindestlöhne zusätzlich eingeführt werden, wird aufgrund der steigenden Arbeitskosten mit Sicherheit verloren gehen, wird in Schwarzarbeit oder ins Ausland verdrängt. Natürlich führt es zu keinem Exodus, aber es wird durch die Schaffung von Mindestlöhnen eine negative Auswirkung auf die Arbeitsplatzsituation nicht zu verhindern sein.
Liminski: Sie sprechen so, als ob Sie glauben, dass das tatsächlich nicht mehr zu verhindern ist.
Hundt: Ich befürchte, dass wir die jetzigen Überlegungen nicht vollständig zurückdrehen können. Wir werden seitens der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände uns massiv dafür einsetzen, dass die Auswirkungen so unschädlich wie nur möglich gehalten werden.
Liminski: Bleiben wir noch etwas bei den Löhnen. Frauen verdienen weniger als Männer in Deutschland, hat eine EU-Studie letzte Woche ergeben. In Deutschland ist der Unterschied besonders krass, statistisch etwa 22 Prozent, in Frankreich beträgt er nur 12 Prozent. Vor allem Mütter würden immer noch benachteiligt. Ist das nicht mal eine Initiative der Arbeitgeberverbände wert?
Hundt: Die von Ihnen zitierte EU-Studie bestätigt zunächst einmal die Einschätzung unserer Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dass die beruflichen Potenziale von Frauen bei uns noch nicht ausreichend ausgeschöpft werden. Ein Haupthindernis für eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen sind die bei uns fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten, ohne die Beruf und Familie im täglichen Leben nicht vereinbar sind. Wir setzen uns als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft seitens der BDA dafür ein, dass Mädchen und junge Frauen sich verstärkt auch für spätere erfolgversprechende Karrieren öffnen. Zu den Einkommensunterschieden: Für die tarifschließenden Arbeitgeberverbände ist es selbstverständlich, dass keine geschlechtsspezifische Diskriminierung bei Löhnen existieren darf. Und unsere Tarifverträge sehen alle gleiche Bedingungen für Männer und Frauen vor.
Liminski: Aber der Unterschied ist da.
Hundt: Der ist offensichtlich in der Praxis da, wobei der Unterschied teilweise auch auf die Methodik der Erhebung zurückzuführen ist. Frauen sind eben sehr viel häufiger in Teilzeit beschäftigt und weisen auch häufigere Erwerbsunterbrechungen auf, was sich statistisch dann entsprechend auswirkt.
Liminski: Lassen wir das Krippenthema mal außen vor, da gibt es sicher später mal Gelegenheit, drüber zu reden. Der Präsident der Helmholtz-Gesellschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands, hat vor einer Woche darauf hingewiesen, dass wir dabei seien, unsere Kompetenz im Bereich der Kernenergie, der Sicherheitstechnologie und der Entsorgungstechnik zu verlieren. Es gebe zu wenig Fachkräfte in der Kerntechnik. Auch andere Klagen über mangelnde Fachkräfte werden laut. Laufen wir da in eine Falle der Innovationsschwäche? Das wäre ja besonders für Deutschland fatal.
Hundt: In einzelnen Branchen ist bereits heute wieder Fachkräftemangel zu spüren. Das gilt ganz besonders auch für Ingenieure, und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat gerade vor Kurzem als Ergebnis einer Untersuchung festgestellt, dass jede fünfte Stelle in Deutschland bereits wieder schwer besetzbar ist. Und diese Situation wird sich durch die demografische Entwicklung in Zukunft weiter verschärfen. Bis 2050, wird berechnet, sinkt das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland um zehn Millionen. Unsere Innovationsstärke und die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Wirtschaft in der Zukunft wird deshalb ganz entscheidend davon abhängen, dass wir auch ausreichend Zuwanderung in Deutschland sicherstellen. Wir brauchen ein modernes, ein an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ausgerichtetes Zuwanderungsrecht. Und wir, die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, plädieren für ein Punktesystem, das eine unbürokratische Zuwanderung nach festgelegten Qualifikationen - Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen - auch ermöglicht.
Liminski: Jede fünfte Stelle schwer besetzbar, Sie plädieren für Zuwanderung, aber es gibt vielleicht auch eine andere, zumindest eine Übergangslösung. Ältere Arbeitnehmer könnte man um- oder weiterqualifizieren. Ältere Arbeitnehmer haben auf jeden Fall die Grundvoraussetzung, also genügend Humanvermögen, was bei Lehrlingen nicht immer gegeben ist. Muss man nicht sowieso den Jugendwahn aufhören und arbeitswillige Fünfzig-Plus-Leute wie Sie und mich länger beschäftigen?
Hundt: In Deutschland hat in dieser Frage ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Noch vor zehn Jahren war die Überlegung, die Älteren früher aus dem Arbeitsprozess herauszunehmen, um Jüngeren entsprechende Beschäftigungschancen zu geben. Ich erinnere daran, dass noch Anfang der 90er Jahre die IG Metall die Rente mit 60 wollte. Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Wir stimmen alle überein, Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, dass ältere Menschen länger im Arbeitsprozess verbleiben sollen. Die Entwicklung ist auch bereits eingetreten. Die Beschäftigung Älterer hat deutlich zugenommen. Hier ist zusätzliches Potenzial vorhanden, das genutzt werden muss. Und wir, die Bundesvereinigung, unterstützen auch nachhaltig alle Bemühungen, entsprechende Weiterbildung von Älteren sicherzustellen und die erfahrenen älteren Menschen mit ihrem Know-how länger im Arbeitsprozess zu halten.
Liminski: Herr Hundt, wir haben Sommerzeit, da kommt immer wieder mal die Spekulation über eine Zusammenlegung von BDI und BDA auf. Wann kommt sie denn nun wirklich, und wer wird dann ihr Chef?
Hundt: Die beiden Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sind in Berlin im Haus der Deutschen Wirtschaft gemeinsam untergebracht, dadurch sind schon eine große Zahl von Energiepotenzialen genutzt. Wir haben darüber hinaus im letzten Jahr vereinbart, dass wir die Zusammenarbeit zwischen BDA und BDI intensivieren wollen. Wir haben beispielsweise ein gemeinsames Präsidium geschaffen, dem ich derzeit vorstehe. Wir haben gemeinsame Ausschüsse gegründet, wir haben unsere Tätigkeit auf europäischer Ebene zusammengeführt, wir sind auf einem ständigen Weg, die Zusammenarbeit zu intensivieren und zu verbessern. Ob daraus irgendwann mal auch eine Fusion wird, das vermag derzeit seriöserweise niemand zu beurteilen. Ich denke, dass wir das, was wir im letzten Jahr beschlossen haben, fortführen werden. Und ob das in einigen Jahren dann mal zu weitergehenden Schritten führt oder nicht, das wird die Zeit zeigen müssen.
Liminski: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland, das war der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, besten Dank für das Gespräch, Herr Hundt.
Hundt: Ich danke Ihnen.
Zu diesen Fragen begrüße ich nun den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt. Guten Morgen, Herr Hundt!
Dieter Hundt: Guten Morgen, Herr Liminski!
Liminski: Herr Hundt, sind Sie auch so zufrieden wie die Kanzlerin? Die Indikatoren zeigen ja fast alle nach oben, wäre die Zeit des Konjunkturhochs nicht auch eine gute Zeit für Reformen?
Hundt: Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist unverändert stabil, gut. Auf der anderen Seite gibt es ja auch erste warnende Stimmen, zunehmende Risiken, beispielsweise Ölpreis, der starke Euro, auch die hohen Zinsen. All dies darf bei der Beurteilung der weiteren Entwicklung nicht übersehen werden, und schließlich warne ich auch davor, die tatsächlich derzeit im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren gute Wirtschaftsentwicklung überzubewerten. Deutschland liegt nicht in der Spitzengruppe innerhalb der EU, sondern wir sind im internationalen Vergleich günstigstenfalls Mittelmaß. All dieses zeigt, dass keinerlei Grund besteht, die Hände in den Schoß zu legen, sondern wir müssen auch das relative Konjunkturhoch derzeit für Reformen nutzen.
Liminski: Über eine kleine Reform wird ja schon heftig diskutiert, nämlich die Senkung der Arbeitslosenbeiträge. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, hat sich dafür ausgesprochen, man könnte dadurch 100.000 neue Arbeitsplätze schaffen, was der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Stiegler, wiederum als Schwachsinn bezeichnet. Soll man das also machen oder sein lassen?
Hundt: Eine weitere Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung von derzeit noch 4,2 Prozent um Größenordnung einen Prozentpunkt ist möglich und auch erforderlich. Eine Senkung auf einen Wert von etwa 3,2 Prozent ist nach der mittelfristigen Finanzplanung bis einschließlich dem Jahr 2011 durchfinanziert und lässt immer noch einen zweistelligen Milliardenbetrag als Reserve für Versorgungslasten und zusätzlichen Liquiditätsbedarf. Deshalb, dieses zu viel bezahlte Geld muss den Beitragszahlern zurückgegeben werden. Wenn ich allerdings jetzt gestern lese, dass aus der Spitze der SPD-Fraktion die Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur, wonach sinkende Beitragslasten mehr Arbeitsplätze bringen, als Schwachsinn bezeichnet wird, da muss ich schon sagen, ist das Maß des Erträglichen weit überschritten. So kann und darf die Spitze der SPD mit dem besten arbeitsmarktpolitischen Fachmann an der Spitze der BA nicht umgehen.
Liminski: Nicht als Schwachsinn wird die Sache mit dem Mindestlohn betrachtet, zumindest in der Bevölkerung, da gibt es eine Mehrheit dafür. Die SPD will den Mindestlohn ja, die Union wehrt sich noch, schwankt aber schon, für die Post soll er noch in diesem Jahr eingeführt werden. Ist das denn noch zu verhindern? Die Arbeitgeber sind natürlich dagegen, vermute ich mal. Und wenn es nicht zu verhindern ist, kommt dann der große Exodus deutscher Firmen ins Ausland?
Hundt: Der Koalitionsausschuss hat eine Änderung des Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes - ein Gesetz aus dem Jahr 1952, sollte man nicht vergessen - beschlossen. Diese Vereinbarungen ermöglichen die Festsetzung von gesetzlichen Mindestlöhnen in allen Branchen und stellen deshalb eine Gefahr dar, dass tatsächlich zunehmende gesetzliche Mindestlöhne auch eingeführt werden. Ich bemängele, dass diese Regelungen die Tarifautonomie beschädigen. Sie öffnen das Tor für eine weitreichende Abschaffung der Tarifautonomie, die sich bei uns in Deutschland sehr gut bewährt hat und die ich auch für zukunftsfähig halte. Darüber hinaus werden derartige Veränderungen auch negative Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt haben. Zumindest ein Teil der betroffenen Arbeitsplätze, für die Mindestlöhne zusätzlich eingeführt werden, wird aufgrund der steigenden Arbeitskosten mit Sicherheit verloren gehen, wird in Schwarzarbeit oder ins Ausland verdrängt. Natürlich führt es zu keinem Exodus, aber es wird durch die Schaffung von Mindestlöhnen eine negative Auswirkung auf die Arbeitsplatzsituation nicht zu verhindern sein.
Liminski: Sie sprechen so, als ob Sie glauben, dass das tatsächlich nicht mehr zu verhindern ist.
Hundt: Ich befürchte, dass wir die jetzigen Überlegungen nicht vollständig zurückdrehen können. Wir werden seitens der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände uns massiv dafür einsetzen, dass die Auswirkungen so unschädlich wie nur möglich gehalten werden.
Liminski: Bleiben wir noch etwas bei den Löhnen. Frauen verdienen weniger als Männer in Deutschland, hat eine EU-Studie letzte Woche ergeben. In Deutschland ist der Unterschied besonders krass, statistisch etwa 22 Prozent, in Frankreich beträgt er nur 12 Prozent. Vor allem Mütter würden immer noch benachteiligt. Ist das nicht mal eine Initiative der Arbeitgeberverbände wert?
Hundt: Die von Ihnen zitierte EU-Studie bestätigt zunächst einmal die Einschätzung unserer Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dass die beruflichen Potenziale von Frauen bei uns noch nicht ausreichend ausgeschöpft werden. Ein Haupthindernis für eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen sind die bei uns fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten, ohne die Beruf und Familie im täglichen Leben nicht vereinbar sind. Wir setzen uns als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft seitens der BDA dafür ein, dass Mädchen und junge Frauen sich verstärkt auch für spätere erfolgversprechende Karrieren öffnen. Zu den Einkommensunterschieden: Für die tarifschließenden Arbeitgeberverbände ist es selbstverständlich, dass keine geschlechtsspezifische Diskriminierung bei Löhnen existieren darf. Und unsere Tarifverträge sehen alle gleiche Bedingungen für Männer und Frauen vor.
Liminski: Aber der Unterschied ist da.
Hundt: Der ist offensichtlich in der Praxis da, wobei der Unterschied teilweise auch auf die Methodik der Erhebung zurückzuführen ist. Frauen sind eben sehr viel häufiger in Teilzeit beschäftigt und weisen auch häufigere Erwerbsunterbrechungen auf, was sich statistisch dann entsprechend auswirkt.
Liminski: Lassen wir das Krippenthema mal außen vor, da gibt es sicher später mal Gelegenheit, drüber zu reden. Der Präsident der Helmholtz-Gesellschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands, hat vor einer Woche darauf hingewiesen, dass wir dabei seien, unsere Kompetenz im Bereich der Kernenergie, der Sicherheitstechnologie und der Entsorgungstechnik zu verlieren. Es gebe zu wenig Fachkräfte in der Kerntechnik. Auch andere Klagen über mangelnde Fachkräfte werden laut. Laufen wir da in eine Falle der Innovationsschwäche? Das wäre ja besonders für Deutschland fatal.
Hundt: In einzelnen Branchen ist bereits heute wieder Fachkräftemangel zu spüren. Das gilt ganz besonders auch für Ingenieure, und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat gerade vor Kurzem als Ergebnis einer Untersuchung festgestellt, dass jede fünfte Stelle in Deutschland bereits wieder schwer besetzbar ist. Und diese Situation wird sich durch die demografische Entwicklung in Zukunft weiter verschärfen. Bis 2050, wird berechnet, sinkt das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland um zehn Millionen. Unsere Innovationsstärke und die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Wirtschaft in der Zukunft wird deshalb ganz entscheidend davon abhängen, dass wir auch ausreichend Zuwanderung in Deutschland sicherstellen. Wir brauchen ein modernes, ein an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ausgerichtetes Zuwanderungsrecht. Und wir, die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, plädieren für ein Punktesystem, das eine unbürokratische Zuwanderung nach festgelegten Qualifikationen - Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen - auch ermöglicht.
Liminski: Jede fünfte Stelle schwer besetzbar, Sie plädieren für Zuwanderung, aber es gibt vielleicht auch eine andere, zumindest eine Übergangslösung. Ältere Arbeitnehmer könnte man um- oder weiterqualifizieren. Ältere Arbeitnehmer haben auf jeden Fall die Grundvoraussetzung, also genügend Humanvermögen, was bei Lehrlingen nicht immer gegeben ist. Muss man nicht sowieso den Jugendwahn aufhören und arbeitswillige Fünfzig-Plus-Leute wie Sie und mich länger beschäftigen?
Hundt: In Deutschland hat in dieser Frage ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Noch vor zehn Jahren war die Überlegung, die Älteren früher aus dem Arbeitsprozess herauszunehmen, um Jüngeren entsprechende Beschäftigungschancen zu geben. Ich erinnere daran, dass noch Anfang der 90er Jahre die IG Metall die Rente mit 60 wollte. Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Wir stimmen alle überein, Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, dass ältere Menschen länger im Arbeitsprozess verbleiben sollen. Die Entwicklung ist auch bereits eingetreten. Die Beschäftigung Älterer hat deutlich zugenommen. Hier ist zusätzliches Potenzial vorhanden, das genutzt werden muss. Und wir, die Bundesvereinigung, unterstützen auch nachhaltig alle Bemühungen, entsprechende Weiterbildung von Älteren sicherzustellen und die erfahrenen älteren Menschen mit ihrem Know-how länger im Arbeitsprozess zu halten.
Liminski: Herr Hundt, wir haben Sommerzeit, da kommt immer wieder mal die Spekulation über eine Zusammenlegung von BDI und BDA auf. Wann kommt sie denn nun wirklich, und wer wird dann ihr Chef?
Hundt: Die beiden Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sind in Berlin im Haus der Deutschen Wirtschaft gemeinsam untergebracht, dadurch sind schon eine große Zahl von Energiepotenzialen genutzt. Wir haben darüber hinaus im letzten Jahr vereinbart, dass wir die Zusammenarbeit zwischen BDA und BDI intensivieren wollen. Wir haben beispielsweise ein gemeinsames Präsidium geschaffen, dem ich derzeit vorstehe. Wir haben gemeinsame Ausschüsse gegründet, wir haben unsere Tätigkeit auf europäischer Ebene zusammengeführt, wir sind auf einem ständigen Weg, die Zusammenarbeit zu intensivieren und zu verbessern. Ob daraus irgendwann mal auch eine Fusion wird, das vermag derzeit seriöserweise niemand zu beurteilen. Ich denke, dass wir das, was wir im letzten Jahr beschlossen haben, fortführen werden. Und ob das in einigen Jahren dann mal zu weitergehenden Schritten führt oder nicht, das wird die Zeit zeigen müssen.
Liminski: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland, das war der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, besten Dank für das Gespräch, Herr Hundt.
Hundt: Ich danke Ihnen.