Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Hunger und Dürre

Die radikal-islamischen Al-Shabaab-Miliz hat weite Teile Somalias unter ihre Kontrolle gebracht. Doch im Norden Somalias hat sich eine Region der Kontrolle durch die islamistische Terrormiliz entzogen: Somaliland. Dennoch ist die Geschichte Somalilands keine Erfolgsgeschichte - denn hier herrscht die Dürre.

Von Antje Diekhans | 20.03.2010
    Die kleine Ayan wird untersucht. Sie macht die gleiche Prozedur durch wie alle Kinder, die in die Klinik von Dilla in Somaliland kommen. Als Erstes werden Größe und Gewicht festgestellt. Ayan muss sich auf ein Messbrett legen. Ein Klinikmitarbeiter zieht Manschetten um die dünnen Arme und Beine des 14 Monate alten Mädchens. Dann ist es ganz ausgestreckt und die Maße können abgelesen werden. Was eigentlich schon offensichtlich war, wird jetzt in Zahlen gefasst: 75 Zentimeter und 6,8 Kilogramm schwer - Ayan wiegt viel zu wenig.

    Aber ihre Mutter ist hoffentlich gerade noch rechtzeitig gekommen. Das Mädchen kann in den kommenden Monaten aufgepäppelt werden. Unter anderem dafür ist die Klinik in Dilla da. Sie wurde mit Unterstützung des Deutschen Roten Kreuzes eingerichtet. In einer Region, in der es vorher kaum Gesundheitsversorgung gab. Jetzt finden hier jeden Monat Hunderte Patienten eine Anlaufstelle, vor allem Mütter mit Kindern. Hassan Abdi von der Schwesterorganisation Roter Halbmond erklärt, wie jetzt weiter über Ayans Behandlung entschieden wird.

    "Das hier ist die Standardtafel zu Gewicht und Größe. Unterteilt für Mädchen und Jungen. Wir können ablesen, wie viel sie bei ihrer Größe eigentlich wiegen müsste. Schon ein unterernährtes Kind kommt auf wenigstens sieben Kilo - sie liegt noch darunter. Das heißt, sie leidet unter schwerer Unterernährung."

    Ayan muss mindestens drei Kilogramm zunehmen. Ihre Mutter Fatuma ist entsetzt über die Diagnose, aber gleichzeitig erleichtert, dass sie jetzt Hilfe bekommt.

    "Wir hatte eine lange Dürre. Auf den Feldern wächst nichts mehr. Wir haben nicht genug zu essen und ich hatte auch keine Milch mehr. Ich konnte ihr nicht mehr die Brust geben."

    In Somaliland gibt es eigentlich zwei Regenzeiten pro Jahr. 2009 sind sie aber komplett ausgefallen. Erst in den vergangenen Wochen hat es wieder etwas geregnet, entspannt hat sich die Situation nur noch lange nicht. Wer die Hauptstadt Hargeisa verlässt, sieht über Hunderte von Kilometern nur öde Landschaften, dornige Büsche und ganz selten ein paar grüne Flecken.

    Der kleine Landstrich am Horn von Afrika hat insgesamt rund 3,5 Millionen Einwohner. Er hat sich 1991 vom benachbarten Somalia unabhängig erklärt, wird international allerdings nicht anerkannt. Obwohl es in einer der unruhigsten Krisengegenden der Welt liegt, hat Somaliland es geschafft, sich relativ stabil und friedlich zu entwickeln. Die Menschen müssen keine Gewalt und Anschläge fürchten, doch weil die Region so unwirtlich ist, kommt die Entwicklung nur langsam voran. Nach offiziellen Schätzungen der Behörden in Somaliland sind 40 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Besonders schlimm ist es für Mütter mit vielen Kindern - wie Fatuma.

    "Wir sind eine große Familie. Ich habe insgesamt elf Kinder. Ayan ist die Kleinste. Die anderen habe ich noch alle versorgen können, aber für sie hat es nicht mehr gereicht."

    Fatuma ist Mitte 40. Die vielen Schwangerschaften haben sie selbst ganz ausgezehrt. Aber wenn für Ayan gesorgt ist, hofft auch sie, wieder zu Kräften zu kommen. Die beiden werden jetzt in das Mutter-und-Kind-Programm der Klinik aufgenommen. Sie stellen sich in eine Schlange mit anderen Frauen und Kindern.

    Eine Klinikmitarbeiterin verteilt Päckchen aus einem großen Sack. In den Tüten, nicht größer als eine Handfläche, ist eine zähe dunkle Paste. Sie schmeckt wie süße Erdnussbutter, ist aber deutlich gehaltvoller. Hassan Abdi beschreibt die Zusammensetzung.

    "Das sind gemahlene Nüsse, angereichert mit anderen nährstoffreichen Zutaten. Die Mixtur ist speziell auf unterernährte Kinder ausgerichtet. Sie bekommen so viele Päckchen pro Tag, wie es ihrer Größe entspricht, aber nichts anderes mehr. Nur noch Wasser. Sie haben dann alles, was sie zur Ernährung brauchen."

    Die kleinen Tüten sind der Lebensretter für die Kinder. Ihre Mütter erhalten Rationen für eine Woche - dann kommen sie wieder in die Klinik.

    "Wir stellen das Gewicht fest - bis die Kinder eines Tages das vorgesehene Niveau erreicht haben. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Mütter informiert werden. Sie müssen wissen, wie sie künftig für eine ausgewogene Ernährung sorgen können."

    Die Klinik arbeitet dazu mit den Gesundheitsvertretern der Region zusammen. Somaliland hat eine Clanstruktur. Wichtiger als jede Entscheidung eines Ministeriums ist den Menschen hier, was die Ältesten denken. Sie haben großen Einfluss in der Gesellschaft. Darum ist es gut, dass in der Klinik häufig Dahir Amir vorbeischaut, ein stattlicher Mann mit einem sorgfältig gestutzten und rot gefärbten Bart. Er ist einer der Ältesten von Dilla. Die Situation in den vergangenen Monaten macht ihm große Sorgen.

    "Wir leben vor allem von der Landwirtschaft und sind darum vom Regen abhängig. Weil wir jetzt so lange Trockenzeiten haben, ernten viele Menschen nicht mehr genug. Damit haben sie nichts zu essen. Das sind unsere Hauptprobleme hier."

    Auch große Teile des Viehbestands sind verendet. Vor allem Ziegen sind ein wichtiger Fleischlieferant in Somaliland - jetzt sind die Herden so stark geschrumpft, dass sich die Verluste nicht so leicht wieder ausgleichen lassen.

    "Die Tiere haben die Dürre nicht überlebt. Wir haben zusehen können, wie sie weggestorben sind."

    Dahir Amir macht den Klimawandel für die Notlage mitverantwortlich. Trocken sei es in der Region in Ostafrika zwar schon immer gewesen, sagt er - aber sonst hätten sich die Menschen darauf verlassen können, dass früher oder später der Regen kam.

    "Als ich ein Kind war, oder sogar auch noch, als ich älter wurde, ging es uns besser. Jetzt wird es immer schlimmer. Von Jahr zu Jahr können wir weniger anbauen."

    Die Klinik allerdings gibt dem Ältesten Hoffnung. Er sieht große Fortschritte, seit sie vor gut drei Jahren eingerichtet wurde. Mitarbeiter gehen regelmäßig in die Dörfer, um vor allem mit den Frauen über Ernährung zu sprechen. Mütter wüssten darum jetzt besser, was für ihre Kinder wichtig ist.

    "Die jetzt noch mit den abgemagerten Kindern in die Klinik kommen, haben nichts von den Ernährungsprogrammen gehört. Bei den anderen kommt es erst gar nicht mehr so weit. Sie holen sich schnell genug Hilfe."

    Nach der Essensverteilung heute redet Hassan Abdi vom Roten Halbmond noch mal eindringlich mit Fatuma und den anderen Müttern. Sie haben die ersten Ernährungspäckchen an ihre Kinder verfüttert. Wenn sie jetzt regelmäßig kommen, werden die Kleinen wohl bald an Gewicht zulegen. Zumindest für sie ist die schlimmste Notlage damit überwunden. Fatuma ist dankbar.

    "Wir sind sehr froh, dass wir die Klinik haben. Ohne sie könnten unsere Kinder nicht überleben."