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Hungern oder Fliehen

Für die Nuba im Zentralsudan brachte die Unabhängigkeit des Südens vor einem Jahr keinen Frieden: Erneut ist das Volk zwischen die Fronten geraten. Regelmäßig bombardiert Sudans Luftwaffe zivile Ziele in der abgelegenen Region. Inzwischen haben sich die meisten Hilfsorganisationen zurückgezogen – die Folgen für Bevölkerung werden immer katastrophaler.

Von Bettina Rühl | 09.06.2012
    Der Kirchenchor der katholischen Gemeinde von Gidel, einem Ort in den Nuba-Bergen im Sudan. Die jungen Männer und Frauen singen konzentriert, verfolgen jede Geste ihres Dirigenten. Ausnahmsweise wandern ihre Augen einmal nicht an den Himmel, so aufmerksam sind sie bei der Sache. Dabei ist den Menschen in den Nuba-Bergen der Blick nach oben zur Gewohnheit geworden. Immer wieder suchen sie den Himmel nach Flugzeugen ab, nach Kampfjets vom Typ MiG 29, und nach Antonow-Transportflugzeugen. Seit fast auf den Tag genau einem Jahr, seit dem 5. Juni 2011, ist in den Nuba-Bergen Krieg. Omar al-Bashir, der Präsident des Sudan, lässt seine Luftwaffe Angriffe gegen die eigene Bevölkerung fliegen. Der ständige Terror erklärt die Inbrunst, mit der die Mitglieder des Kirchenchores jetzt vom Frieden Gottes singen - vom Frieden auf Erden wagen sie noch nicht einmal zu träumen.

    "Ich versuche, einige der Probleme der Menschen hier zu lösen. Viele wollen nach Yida kurz hinter der Grenze des Südsudan fliehen, andere wollen noch weiter nach Süden. Oder nach Kenia, oder ganz woanders hin."

    Barabas Kuku ist Vertreter der Rebellenregierung in den Nuba-Bergen - und kann in dieser Funktion im Grunde nichts anderes tun, als den Menschen so gut es geht bei ihrer Flucht aus dem Kriegsgebiet zu helfen. Die Nuba-Berge liegen in der Nähe der Grenze zwischen dem Sudan und dem Südsudan, gehören aber zum Norden. Sie unterstehen also der Regierung von Omar al-Bashir in Khartoum. Tatsächlich kontrolliert die "Befreiungsbewegung des Sudanesischem Volkes", SPLM-Nord, die Region.

    "Wir erlauben ihnen zu gehen und stellen die erforderlichen Papiere aus. Ohne diese Dokumente werden sie auf der Straße nach Yida angehalten. Das ist also im Moment unsere wichtigste Aufgabe: die Flucht nach Yida oder Unity State oder nach Juba zu ermöglichen."

    In den Nuba-Bergen ist das Überleben kaum noch möglich. Die Bomberpiloten scheinen bewusst auf die Menschen zu zielen, die an Brunnen für Wasser anstehen oder die Rinderherden hüten. Jedenfalls sind unter den Opfern der Luftangriffe auffällig viele Frauen und Kinder, die am Brunnen oder bei den Herden getroffen wurden. Weil auch Männer und Frauen bei der Feldarbeit immer wieder von Bomben verletzt und getötet werden, wagt kaum noch einer, seinen Acker zu bestellen. Obwohl das gegen alle Regeln des Krieges verstößt, nimmt die internationale Öffentlichkeit das Sterben in den Nuba-Bergen kaum zur Kenntnis. Die Gegend ist so abgelegen und unzugänglich, dass kaum eine Nachricht nach außen dringt. Außerdem ist der Hintergrund der Kämpfe komplex.

    Während des langen Krieges um die Unabhängigkeit des Südsudan haben die Rebellen in den Nuba-Bergen Seite an Seite mit denen im Süden gekämpft. Als Khartoum 2005 mit dem Süden einen Friedensvertrag unterzeichnete, hörten die Kämpfe auch in den Nuba-Bergen auf. In dem Friedensvertrag blieb der Status der Nuba-Berge allerdings offen. Die Bevölkerung sollte in einem Referendum später selbst bestimmen, ob sie zum Norden oder zum Süden gehören will. Diese Abstimmung hat der sudanesische Präsident al-Bashir nie stattfinden lassen. So wurde der Südsudan am 9. Juli 2011 ohne die Nuba-Berge unabhängig, deren Bevölkerung auch gar nicht unbedingt zum Süden gehören will.

    Barabas Kuku: " Wir kämpfen, um das Regime im Norden zu ändern. Wir kämpfen dafür, dass jeder in Freiheit leben kann, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, dass die Menschenrechte garantiert sind. Das ist die Fortsetzung unseres Kampfes im Süden, der inzwischen ein eigener Staat geworden ist. Unsere Vision ist dieselbe wie die der Rebellen im Süden."

    Als die SPLM-Nord im Juni 2011 erneut zu den Waffen griff, war der Süden offiziell noch nicht einmal unabhängig. Anlass war das Ergebnis einer Gouverneurswahl, die in den Augen der SPLM gefälscht sein musste. Denn der von Den Haag als Kriegsverbrecher gesuchte Kandidat des Nordens gewann überraschend gegen den populären Kandidaten der SPLM. Seitdem wird in den Nuba-Bergen wieder gekämpft. Ein ungleicher Kampf, denn Sudans Präsident Bashir kämpft vor allem gegen seine eigene Bevölkerung. Im Norden hat er die einzige Straße in die Berge geschlossen und verhindert humanitäre Hilfe. Hunger ist seine wirksamste Waffe: ein kostengünstiger Terror, der vor allem die Zivilbevölkerung trifft.

    "Die Situation ist sehr schwierig. Die Menschen hungern. Sie kommen voller Hoffnung zu mir, weil ich ja die Regierung vertrete. Sie denken, dass ich vielleicht etwas zu essen für sie habe oder ihnen sonstwie helfen kann. Wir haben aber selbst nichts und können nichts anderes tun, als herumzugehen und die wenigen humanitären Organisationen um Hilfe zu bitten, die noch hier sind. Wir fragen sie, ob sie nicht irgendwie etwas zu essen bringen können, um diesen Menschen zu helfen."

    Dabei sind fast alle internationalen Organisationen vor dem Bombenterror geflohen. Offiziell darf ja sowieso niemand helfen: Der Norden müsste den Zugang erlauben, und das tut er nicht. Geblieben sind einige Priester und Nonnen verschiedener Orden und der zuständigen Diözese von El Obeid.

    Die Diözese unterhält auch ein Krankenhaus. Dicht an dicht stehen die Betten, 300 sind es in einem Haus, das eigentlich für 70 gebaut wurde. In einem der Betten liegt Malda, 22 Jahre alt. Ihr Gesicht, ihre Arme und Beine sind schwer verbrannt.

    "Ich wurde von einer Bombe getroffen, Ich war in meiner Hütte, als das Flugzeug kam. Mit meinen Kindern bin ich losgerannt und habe noch versucht, irgendwo in Deckung zu gehen. Aber es war zu spät, wir wurden getroffen. Wir waren fünf: Ich hatte meine beiden Kinder dabei, außerdem noch eine andere Frau. Meine Kinder und diese Frau waren sofort tot."

    Der Arzt Tom Catena hat in der jüngsten Zeit mehrere Patienten mit denselben furchtbaren Verbrennungen behandelt. Der Arzt ist davon überzeugt, dass es sich bei diesen Brandbomben nicht um konventionelle Waffen handelt.

    "Wenn das kein Napalm ist, dann ist es etwas Ähnliches. Vielleicht handelt es sich um irgendeinen Zusatzstoff zu Benzin, der bewirkt, dass es einen riesigen Feuerball gibt, wenn die Bombe explodiert. Das ist die einzige Erklärung die ich dafür habe, dass die Menschen auf diese furchtbare Weise verbrannt sind. Ich habe zufällig ein Foto von der Hütte diese Frau gesehen, vom Grundstück ihrer Familie. Alle Gebäude sind verbrannt. Die Strohdächer sind weg, die Wände alle schwarz. Es muss also einen riesigen Feuerball gegeben haben. Und die Brandwunden sind so schrecklich. Und seltsam, weil sie bei allen dasselbe Muster aufweisen: Immer sind das Gesicht, beide Arme, beide Beine und der Rücken verbrannt."

    In einem Bett auf der Kinderstation liegt der achtjährige Cholda, auch er ist über und über mit Verbrennungen dritten Grades bedeckt: die Haut ist weg, nur rohes Fleisch noch übrig.

    Andere Bombenopfer sind die neunjährige Djamila, die querschnittsgelähmt ist seit es am Brunnen von einem Bombensplitter getroffen wurde. Und der 15-Jährige Daniel Omar, der beim Rinder-Hüten getroffen wurde und beide Arme verlor. Lauter Zivilisten, und es gibt viele wie sie: Opfer eines Krieges, der reiner Terror gegen die Bevölkerung ist.