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Hungrig nach Leben

Die Erinnerungen an das Erwachsenwerden im Osten, in der DDR, findet vor allem im Kino statt. Leander Haußmanns "Sonnenallee" war solch ein Film, und jetzt gibt es einen neuen: "Der rote Kakadu" heißt er und zeigt, dass im Osten der Hunger nach Leben nicht kleiner war als im Westen.

Von Josef Schnelle |
    "Siggi: Was issn der Kakadu - ne Kneipe. - Wolle: Ja oben am weißen Hirsch, am Parkhotel neben dem Russensanatorium. Da kann man Musik hören. Da wackelt der Mutter der Rock."

    Der schnellste Weg zu den Mädels führt über die Musik, über die angesagte Musik im verbotensten Club mit der schlechtesten Luft. Den kennt man einfach, wenn man jung ist. In jeder Stadt und zu jeder Zeit. Oder man muss fragen - einen, der ein bisschen älter ist, so einen coolen Typen in Lederjacke, der weiß wo's lang geht. Das jeweils schönste Mädchen ist seine Freundin und natürlich weiß er überhaupt nicht, was er an ihr hat. Doch dann ändert sich alles.

    So beginnen Geschichten, die von den Paradiesen der Jugend erzählen, aus denen man bald vertrieben werden wird. Diese Geschichte erzählt von einer Jugend in einem Jahr, das 1961 hieß. In der angesagten Bar, im roten Kakadu trifft sich alles, was in Dresden noch Lebenshunger hat. Zum Beispiel Siggi, der Ausstatter im Theater werden will. Mit Wolle, dem unangepassten Rebell ohne Ziel zieht er herum und dann verliebt er sich in dessen Mädchen. Sie schreibt Gedichte und malt Wolken. Aber das Regime hat natürlich schon begriffen, dass aus der Stilrevolte im roten Kakadu schnell ein politische werden könnte.

    "Ist zu? - Ja der Kakadu ist geschlossen worden. Heute Vormittag kam die Anordnung. (Hallo Horst) Hast du was von Wolle gehört. Nee kein Lebenszeichen. Dem ist die Auftrittgenehmigung entzogen. Der Kakadu bleibt so lange zu, bis sich die Combo und der Wirt vor der Stasi verantwortet haben. - Der Wirt auch. - Na klar, die haben zu viele Weststücke gespielt. Irgendwer hat drei Wochen lang sämtliche Musikstücke mitgeschrieben."

    Der schnellste Weg zum Publikum führt übers Fernsehen, über Krimis und Tatorte und andere Serien. Wenn man jung ist und Filme drehen möchte. Das geht schnell und wenn man Talent beweist, dann gewinnt man Grimme-Preise und darf auch Mal einen Kinofilm machen, Genrekino mit Stars und viel Action. Wenn man dann auch noch Filmkunst macht, Filme auf hohem formalem Niveau, dann liebt einen auf einmal weder das Publikum noch die Kritik - in Deutschland. Und wenn man dann immer noch Hunger nach Filmexperimenten hat und etwas wagt, dann findet man sich schnell im Abseits wieder. So erging es Dominik Graf. Doch dann fällt ihm eine Geschichte in die Hände, die ein anderer Filmemacher sich nicht getraut hatte zu verfilmen - weil es seine eigene Geschichte ist.

    Graf: "Das war der erste historische Stoff, den ich zu lesen bekommen habe, der sich überhaupt nicht an der Historie orientiert hat oder abgearbeitet hat oder Daten oder Ereignisse versucht hat aufzubereiten, sondern das war eine völlig subjektive, impressionistische Jugenderinnerung, die sich überhaupt nicht darum scherte, wo das jetzt ist. Ne Liebesgeschichte wie jede andere auch, die zu jeder anderen Zeit überall auf der Welt passieren kann und trotzdem fällt diese Geschichte dann irgendwann doch in das große Becken der Historie. Wo der 13. August der Mauerbau passiert und damit alle Gefühle, alle Sehnsüchte, alle Wünsche, alles was vielleicht noch hätte sein können ein jähes Ende findet. Ich fand das ne unheimliche Chance für einen Regisseur vergangene Atmosphären, Erinnerungen, Stimmungen zu erzählen."

    Der Autor der Story ist Filmemacherkollege Michael Klier, der mit "Ostkreuz" und zuletzt "Farland" bekannt geworden ist. Werauchimmer die Geschichte aus Dresden kurz vor dem Mauerbau zu Dominik Graf trug, hat sich um das deutsche Kino verdient gemacht. Grafs Auge für den filmischen Fluss und die knalligen Farben der Jugendträume ist unbestechlich und gerade deshalb wahrt er die Distanz zum historischen Sujet. Versucht stattdessen immer wieder dem Nostalgieblick den Verweis aufs ewige tragikomische Melodram abzutrotzen und wird dann doch politisch. Doch nicht die Stasi allein und den Anpassungsdruck im Unrechtsstaat machen diese erste Liebe so ungemütlich. Auch die subkulturelle Illusionswelt des Kakadus wirkt am Ende schal. Ein harter historischer Einschnitt. Und schon ist diese deutsche "Außenseiterbande" frei nach dem Film von Jean-Luc Godard in alle Winde zerstreut.

    "Man kann nicht mehr rüber. Die haben die Grenze zugemacht. - Die ziehen nach Osten ne Mauer hoch. (Lärm) Ab sofort sind alle Grenzübergänge geschlossen. Sie ziehen eine Mauer um Westberlin. - Siggi: Am Morgen des 13. August rannte ich von einem Westberliner Grenzübergang zum anderen. Ich dachte wirklich Luise würde noch kommen."