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Hunsrück-Airport Hahn
Mit dem Flieger auf den Bauernhof

Das Land Rheinland-Pfalz will den verlustbringenden Regionalflughafen Hahn abstoßen, doch niemand interessiert sich für den Ladenhüter. Eines hat der Kleinflughafen aber erreicht: Um ihn herum florieren neue Lebens- und Arbeitsformen wie der Bauernhof mit Landebahn.

Von Anke Petermann | 23.09.2015
    Der Tower vom Flughafen Frankfurt-Hahn in Lautzenhausen, aufgenommen 2012
    Der Tower vom Flughafen Frankfurt-Hahn in Lautzenhausen (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Der Hahn im Stall des "Gretenhofs" in Sohren plustert sich auf. Die beiden Schweine im Außenpferch quer übern Hof kabbeln sich um die letzten Reste ihres Frühstücks. Die braune Violetta und ihr Kalb Winnimini kommen über die Wiese hinterm Gastraum getrabt.
    Hunsrücker Land-Idylle. Jutta Wüllenweber nimmt sich Zeit für die kleine Führung über den Bauern- und Ferienhof, den sie mit drei Generationen ihrer Familie bewirtschaftet. Den Braten für die Festgesellschaft am Abend hat sie schon gerollt. Nur ein wenig Arbeit bleibt da noch in der Küche.
    "Ich habe da jetzt noch zwölf Kilo Rindfleisch liegen, das muss ich auch noch verarbeiten in Form von Gulasch, Braten und Sonstiges - ja."
    Die Stammgäste aus dem westfälischen Ruhrgebiet kommen erst am Nachmittag.
    "Die machen schon seit bestimmt zehn Jahren oder noch länger - die Väter mit den Kindern hier - immer ein Wochenende auf dem Bauernhof, und jetzt sind die Kinder erwachsen und wollen dennoch immer wieder jedes Jahr hierher - das ist ein Pflichtprogramm."
    Ruhe und Romantik in Flughafennähe
    Was die Gäste aus der dichtest besiedelten Region Deutschlands auf dem Sohrener "Gretenhof" und im hügeligen Hunsrück suchen?
    "Ruhe. Ruhe und Bauernhof-Romantik und einfach hier dieses freie Umfeld, dass man machen kann, was man will, ohne dass man jemanden stört."
    Ruhe auf einem Ferienhof mit Airport-Anschluss? Das 3000-Einwohner-Dorf Sohren liegt auf der anderen Seite der sogenannten Hunsrück-Autobahn B50 dem Flughafen Hahn gegenüber.
    "Ja, wir haben das große Glück, dass die Startbahn parallel zu unserem Hof läuft. Also, hier werden Sie so gut wie keinen Fluglärm hören. Ich habe auf meiner Homepage beworben, dass wir nur drei Kilometer vom Flugplatz weg sind, und viele fragen natürlich - 'um Gottes Willen, Nähe Flugplatz - Fluglärm', und wenn ich dann sage: Nee, ist nicht, dann sagen viele, das kann gar nicht sein. Vielleicht sind sie abgeschreckt. Die, die dann eben doch kommen, sind angenehm überrascht, dass wir wirklich keinen Fluglärm haben."
    Ruhiger Bauernhof mit Airport-Anschluss, eine Hunsrücker Spezialität.
    Fliegen statt Zugfahren
    Ohnehin kommt der für Verluste gescholtene Kleinflughafen in diesen Tagen zu neuem Ansehen. Die Flüchtlingstrecks lassen den Bahnverkehr in Europa lahmen, der Hahn hat Ungarn und Bulgarien im Programm, das verschafft ihm derzeit eine Sonderkonjunktur:
    "Eigentlich wollte ich nach Nürnberg, aber weil in Österreich keine Züge fahren - ich komme aus Budapest -, da habe ich gestern Nacht noch kurzfristig ein Flugticket gekauft. In anderthalb Stunden, dauert noch ein bisschen, aber um 15.30 Uhr fährt der Bus."
    Nicht nach Nürnberg allerdings, sondern nach Koblenz, wo Bekannte warten. Ein bisschen Glück muss man schon haben, um vom Hunsrück-Airport in deutsche Großstädte zu kommen. Obwohl der Flughafen ja aufgrund der früheren Beteiligung von Fraport "Frankfurt-Hahn" heißt. Zumindest montags morgens gehört er tatsächlich zu den Metropolen-Flughäfen. Einer neuen Spezies Berufstätiger kann man hier begegnen, dem Flugzeug-Pendler. Im Hunsrück wohnen, in London arbeiten. Ryanair-Kampfpreise von 19,99 Euro machen's möglich.
    "Wir haben eine britische Familie, die auch in London wohnen, die haben das bestätigt. Weil in London, die in der Finanzbranche arbeiten, dass es ja so teuer ist, in London zu leben, dass die an vier Tagen oder manche sogar an fünf Tagen, fliegen."
    Das entlastet den Wohnungsmarkt in London, aber nicht die Umwelt. Doch über den Hahn fließt nicht nur Kauf- und Arbeitskraft ab vom Hunsrück und von der Mosel. Die Flieger bringen auch Touristen. Die zieht es vor allem in die historischen Weinorte und an die legendären Steillagen. Die Rentnerin aus Traben-Trarbach an der Mosel beobachtet:
    "Es kommen einige. Im Winter haben wir das schon gemerkt. Da kamen die Spanier, und dann war es ihnen kalt. Und dann haben sie Wolldecken gekauft, um sich einzupacken. In Traben-Trarbach sind viele Wohnungen und Häuser an Engländer und so weiter verkauft.
    Ein paar Millionen Verlustausgleich sollten der rot-grünen Landesregierung die neuen Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten schon wert sein, die der Hunsrück dank Kleinflughafen der Welt vorführen darf: Bauernhof mit Landebahn, Arbeiten in Übersee, Tourist-Sein mit nichts als Wolldeckenkauf im Sinn.