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Hunsrück
Kirche ohne Dorf

In Eckweiler im Hunsrück beginnt der Sommer schon an Ostern: "Eckweilerer Sommer" heißt ein Kulturprogramm mit Kirchenführungen, Lesungen und Konzerten. Denn das mehr als 500 Jahre alte Gotteshaus ist ein besonderes – ein Kirche ohne Dorf. Der 300-Einwohner-Ort wurde Ende der 70er-Jahre umgesiedelt - die Erinnerung aber soll hier erhalten bleiben.

Von Anke Petermann | 07.04.2015
    Ein Schieferkirchturm spitzt mitten aus den Wiesen bei der alten Trauerweide. Mit mehr als hundert Besuchern ist die denkmalgeschützte Kirche bis auf die letzte Bankreihe besetzt. Die Orgel erklingt von der kleinen Empore. Türkisfarben gestrichen sind Bänke und Holzempore, durch die pastellfarbenen Fenster hinterm Altar fällt das Sonnenlicht. Heimelig und heiter ist die Stimmung im Gottesdient, mit dem der sogenannte Eckweilerer Sommer beginnt. Der "Freundeskreis Eckweilerer Kirche" organisiert das Kulturprogramm. Albert Schauß und Elfriede Karsch verständigen sich über die Autorenlesung im Juni:
    " Räuber- und Schelmengeschichten, das muss ich mir mal aufschreiben."
    "Räuber- und Schelmengeschichten aus dem Hunsrück, aus dem Soonwald."
    Elfriede Karsch ist Mundart-Autorin. Wie viele andere in der Region lässt sie das Schicksal des umgesiedelten Dorfes in der Nähe des einstigen NATO- und Bundeswehr-Fliegerhorstes nicht los.
    "Es ist auch so schmerzhaft, weil dieser Flugplatz Pferdsfeld, der war ja nur einen ganz kurzen Zeitraum da, ich weiß nicht ob es 15 Jahre waren, und dann ist die Mauer gefallen, Gott sei Dank. Auf der einen Seite ist es ja großartig, dass die Wiedervereinigung kam und dass dieses militärische Abrüsten stattfand."
    Aber dass es geschehen würde, konnten die Eckweilerer ja nicht ahnen, als sie Mitte der 1970er-Jahre der Umsiedlung zustimmten. In den Achtzigern wurden drei Hunsrück-Dörfer planiert.
    "Die Pferdsfelder, Eckweilerer und Rehbacher haben ihre Heimat verloren."
    Die Gefahren in der Einflugschneise des Übungsplatzes waren mit der Umrüstung des Jagdbomber-Geschwaders zu groß geworden. Militärischer Tiefflug sei in der Bundesrepublik zur Landplage geworden, vermerkte damals das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und widmet auch den umgesiedelten Hunsrück-Gemeinden ein paar Zeilen. Albert Schauß ist in Eckweiler geboren und hat sein halbes Leben dort verbracht.
    Das Bauerndorf mit 300 Einwohnern musste weichen
    "Die Umrüstung auf die Phantom – das war und ist auch heute noch der lauteste Jagdbomber der Bundeswehr, die sind hier teilweise im Verband gestartet, bis zu vier, das war ein Getöse, das kann man sich nicht vorstellen. Das war nachweislich gesundheitsgefährlich und das gab auch den Anstoß, dass die Bundesregierung gesagt hat, wir müssen die Bevölkerung schützen vor den Gesundheitsgefahren."
    Und weil das Verteidigungskonzept der NATO nicht anzutasten war, musste nicht der Fliegerhorst mit 1.600 Soldaten, sondern das jahrhundertealte Bauerndorf mit 300 Einwohnern weichen. Der typisch ländliche Zusammenhalt ging mit der Umsiedlung in ein Bad Sobernheimer Neubaugebiet teilweise verloren. Und damit ein Gefühl, das man im Hunsrück "Geheischnis" nennt, Geborgenheit. Genau dieses Gefühl suchen die Eckweilerer, wenn sie zu Gottesdiensten in der denkmalgeschützten Kirche oder zu Kaffee und Kuchen unter der Trauerweide zusammenkommen. Mit dem Eckweilerer Sommer laden sie Auswärtige ein, an ihren Erinnerungen teilzuhaben. "Unser Bestreben war", sagt Albert Schauß vom Freundeskreis Eckweilerer Kirche, "die Strahlkraft dieses Ortes und das, was seine Mystik ausmacht, auch anderen zugänglich zu machen. Und es hat funktioniert. Und ich weiß bis heute nicht, warum."
    Jedenfalls tröstet es die Eckweilerer, dass sich auch Zugereiste von ihrem Erinnerungsort faszinieren lassen. Nur die wenigsten, zumeist Ältere, sind noch verbittert über den Verlust der Heimat. Albert Schauß formuliert es provozierend:
    "Man muss eigentlich sagen, was Besseres hätte uns nit passieren können, sonst wären vielleicht auch in die Situation gekommen, wie sie heute viele, viele Hunsrück-Dörfer haben: Überalterung, Landflucht – ja, und so haben wir Eckweiler in guter Erinnerung."
    Mit dem Freundeskreis und der "Initiative Soonwald" kämpfen Schauß und andere seit mehr als zwei Jahrzehnten gegen das Ausbluten der Hunsrück-Dörfer an. Der von ihnen organisierte "Soonwald-Bus" bringt einmal pro Monat Natur- und Kulturinteressierte an besondere Orte dieser Mittelgebirgsregion. Am ersten Mai-Sonntag hält der Oldtimer Bus gleich dreimal in Eckweiler. "Soonwald für Einsteiger – Einheimische nicht ausgeschlossen" heißt der Slogan.