Fischer: Huntington behauptet ja, ein neuer Kampf der Kulturen fände in Zukunft innerhalb der USA statt, nämlich durch die Nichtassimilation der Hispanos, die die angelsächsisch geprägte Leitkultur Amerikas nicht anerkennen würden und die durch höhere Geburtenraten jetzt schon 47 Prozent der Bevölkerung von Los Angeles ausmachen und damit eben auch einen realen politischen Machtfaktor darstellen. Es gibt allerdings erste Stimmen aus Mexiko, die Huntington schlicht schlechte Recherche vorwerfen, und andere halten seine Thesen für pseudoakademischen fremdenfeindlichen Blödsinn.
Reiche: Sicherlich auch eine Übertreibung, die allerdings war anschaulich. Natürlich ist es so, dass, wenn mexikanische Einwanderer in die USA kommen, sie zuerst Spanisch sprechen. Deren Kinder – das ist erwiesen – sprechen aber zuerst Englisch. Außerdem kommt dazu, dass in Mexiko genau so viele Leute nur noch Englisch sprechen, vor allen Dingen im mexikanischen Norden, wo viele pendeln, viele lange in den USA gelebt haben und zurückkommen. Die sprechen nur noch Englisch, und das sind nicht weniger als in den USA Spanischsprechende, und insgesamt sind in den USA eben nur 13 Prozent Hispanics. Wenn man sich Orte wie Los Angeles oder auch Texas rausnimmt, wo man sagt, da ist der Anteil viel höher, dann verzerrt das natürlich das Bild, aber es gibt nicht diese Ballungsgebiete von mexikanischen Einwanderern. Die gibt es natürlich nur dann, wenn die Leute in die Illegalität gezwungen werden, weil dann so ein Ballungsgebiet einen gewissen Schutz gibt. Aber Illegalität bedeutet eben nicht, wie Herr Huntington unterstellt, gleichzeitig kriminell zu sein.
Fischer: Das heißt, die befürchtete Bedrohung durch eine Mexikanisierung des Südens Amerikas ist ein schlichtes Globalisierungsphänomen?
Reiche: Ja, so könnte man es ausdrücken. Es ist eine gesellschaftliche Realität. Wenn die USA tatsächlich es durchsetzen wollten, wie Herr Huntington es anregt, dass wir morgen alle Mexikaner zurückschicken, wird die US-amerikanische Wirtschaft sehr leiden und dann werden sehr viele US-amerikanische Unternehmen morgen pleite sein, weil sie ohne die billigen Arbeitskräfte aus Mexiko gar nicht mehr konkurrenzfähig sind, weder in einigen Gewerbebetrieben als auch in der Landwirtschaft. Also das sind alles sehr einfältige Ansichten von einem Mann, der in dem Punkt offensichtlich nicht sehr zum Nachdenken neigt.
Fischer: Gleichwohl ist diese These ja auch eine sehr modische. Es gibt diese Angst vor Überfremdung, zum Beispiel auch durch die asiatischen Völker im ganz globalen Maßstab. Es gibt in Israel die Angst vor einer Arabisierung der Bevölkerung durch die höheren Geburtenraten unter den Palästinensern. Dass dieses Problem jetzt sozusagen nach Amerika innerhalb der Grenzen dieser so genannten neuen Weltmacht getragen wird, ist schon ein kleiner Witz der Geschichte.
Reiche: Es ist ja auch eine sehr diffuse Angst. Es ist Existenzangst von Menschen in einer Zeit, wo Terrorismus und Wirtschaftskrise sicherlich die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Da sucht man sich Ventile. Da sucht man Schuldige, und da ist es natürlich leicht, sich den schwächeren Nachbarn rauszusuchen und gleichzeitig vielleicht abends beim Mexikaner darüber zu diskutieren, denn es ist natürlich auch immer eine Bereicherung, wenn man mehrere Kulturen in einem Land hat. Die USA sind ja auch deshalb so groß und stark geworden, weil sie es eben geschafft haben, so viele Kulturen und deren beste Seiten zu assimilieren und für sich für die eigene Entwicklung zu nutzen. Insofern, glaube ich, ist diese vage Angst vor einer Überfremdung mehr ein psychologisches Problem, was nicht wirklich etwas mit Überfremdung zu tun hat.
Fischer: Danke für das Gespräch.