Samstag, 20. April 2024

Archiv

Hyperschall-Technologie
"Fragestellungen gibt es noch eine ganze Menge"

Hyperschall-Systeme werden seit Jahren in der Raumfahrt erforscht. Zunehmend würden diese Geschosse, die mit fünf- bis zehnfacher Schallgeschwindigkeit ins Ziel rasen, auch im militärischen Kontext relevant, sagte Dirk Zimper vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt im Dlf. Bis zu den ersten Anwendungen werde es aber wohl noch fünf bis zehn Jahre dauern.

Dirk Zimper im Gespräch mit Ralf Krauter | 02.03.2018
    Das vom russischen Fernsehsender RU-RTR zur Verfügung gestellte Bild zeigt ein MiG-31 Kampfflugzeug, das mit der neuen, von Präsident Putin in seiner Rede an die Nation präsentierten Kinzhal-Hyperschall-Rakete bestückt sein soll.
    Das vom russischen Fernsehsender RU-RTR zur Verfügung gestellte Bild zeigt ein MiG-31 Kampfflugzeug, das mit der neuen, von Präsident Putin in seiner Rede an die Nation präsentierten Kinzhal-Hyperschall-Rakete bestückt sein soll. (dpa / AP / RU-RTR Russian Television)
    Ralf Krauter: Als Wladimir Putin gestern seine Rede zur Lage der Nation hielt, pries er in höchsten Tönen die neuesten Waffen des russischen Militärs. Russland verfüge über Waffensysteme, die kein anderer Staat besitze, und die jede Abwehr überwinden könnten, betonte Putin. Gemeint hat der damit sogenannte Hyperschall-Geschosse – Raketen, die mit fünf- bis zehnfacher Schallgeschwindigkeit ins Ziel rasen und damit so schnell sind, dass sie praktisch unmöglich abzufangen sind. Wie der Zufall so will, auf einer Konferenz zur Verteidigungsforschung in Bonn. Dr. Dirk Zimper, der beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt die Verteidigungsforschung koordiniert, hielt dort einen viel beachteten Plenarvortrag. Ich habe ihn vorhin gefragt: Erleben wir da gerade die Renaissance der Hyperschall-Technologie, die ja seit Jahrzehnten intensiv erforscht wurde, aber bislang immer als noch nicht wirklich praxisreif galt?
    Dirk Zimper: Ich würde prinzipiell nicht so weit gehen und hier von einer Renaissance sprechen. Hyperschall-Technologien werden ja als solche schon seit Jahrzehnten untersucht, insbesondere im Raumfahrtbereich. Nichtsdestotrotz würde ich vielleicht sagen, dass insbesondere im militärischen Kontext diese Technologien relevanter werden, insbesondere vor dem Hintergrund potenzieller Anwendung, wo man die ersten schon in fünf bis zehn Jahren sehen könnte.
    Krauter: Bevor wir auf diese konkreten Anwendungen zu sprechen kommen, erklären Sie doch mal schnell, was genau macht Hyperschall-Flugkörper aus militärischer Sicht interessant?
    Zimper: Schlicht und ergreifend die Geschwindigkeit. Sie müssen sich vorstellen, dass wir hier über Geschwindigkeiten reden, die jenseits des Fünffachen der Schallgeschwindigkeit sind, also das heißt Geschwindigkeiten von 6.000 bis 18.000 Kilometern pro Stunde, und wenn man das Ganze umrechnet, reden wir hier von fünf Kilometern pro Sekunde. Und wenn ich eigene Hyperschall-Systeme habe, die in diesem Geschwindigkeitsbereich operieren können, macht das diese Systeme natürlich extrem überlebensfähig letztendlich gegen potenzielle Maßnahmen eines Gegners.
    Krauter: Weil ich den Feind im Prinzip treffen kann, bevor der überhaupt auf mich schießen kann?
    Zimper: Beziehungsweise auch Aufklärung betreiben kann – sehr schnell, ohne dass meine Aufklärungsplattformen gegebenenfalls einer Gegenmaßnahme ausgesetzt sind.
    Krauter: Wer ist derzeit führend bei der Hyperschall-Technologie? Es ist ja technologisch sehr aufwendig, es geht um hohe Geschwindigkeiten, extreme Temperaturen bei Körpern, die sich so schnell durch die Luft bewegen. Wer ist da derzeit weltweit führend?
    Zimper: Die Frage ist tatsächlich als solche gar nicht so leicht zu beantworten, denn Nationen, die hier im militärischen Kontext Forschung betreiben – wie beispielsweise die USA, Russland, China, Indien zum Teil –, lassen sich natürlich gar nicht so weit in die Karten schauen, dass man eine Detailanalyse durchführen könnte, welche Nation hier vorn ist.
    Fakt ist natürlich, dass es einige Berichte, insbesondere auch in den letzten Jahren, gab zu Flugexperimenten, experimentellen Untersuchungen, Erprobung von Technologien sowohl im Westen als auch im Osten.
    Krauter: Also in den USA gab es zum Beispiel dieses NASA-Projekt X 51, über das wie vor einigen Jahren auch mehrmals berichtet haben, so ein Testflugkörper, der sah so ein bisschen aus wie so eine Cruise Missile, der dann mit einem speziellen Motor, ein sogenannter Scramjet, in der Luft gezündet werden sollte, war aber nicht so richtig erfolgreich.
    Zimper: Er war durchaus erfolgreich – das war übrigens ein Experiment der Air Force letztendlich. Der Motor hat gezündet und hat den Schub erzeugt, den er erzeugen sollte.
    Krauter: Und der Flugkörper wurde dann auch deutlich über Mach 5 beschleunigt, was ja dann sozusagen der Einstieg in die Hyperschall-Technologie wäre.
    Zimper: Genau. Also da gibt es natürlich auch unterschiedliche Informationen. Einige sagen, es ging weit über Mach 5 hinaus, wenn Sie mich persönlich fragen würden, würde ich sagen, es waren wahrscheinlich Geschwindigkeiten um das Fünffache der Schallgeschwindigkeit.
    Krauter: Was haben die Amerikaner seitdem gemacht?
    Zimper: Die meisten Aktivitäten finden tatsächlich in sogenannten Black Programs statt. Wie jetzt im Detail weiter vorgegangen wird, dringt tatsächlich nicht nach außen, aber es ist davon auszugehen, dass es entsprechende Programme gibt, um die Technologien weiter voranzubringen.
    Krauter: Aus Russland waren auch Bilder zu sehen von so mutmaßlichen Hyperschall-Raketen, Marschflugkörpern. Was ist davon zu halten?
    Zimper: Schwierig, wirklich schwierig, weil es nicht absehbar ist, inwiefern die Bilder tatsächlich realen Systemen entsprechen oder nicht hier Informationen versucht werden zu vermitteln von einem Stand der Technik, den man eigentlich noch nicht erreicht hat. Eine detaillierte Analyse ist hier auch nur sehr schwer möglich, nichtsdestotrotz wollte man davon ausgehen, dass ein gewisser technologischer Status erreicht wurde.
    "Ich glaube nicht, dass 2018 ein operationelles System schon in die Serienfertigung geht"
    Krauter: Angeblich wollen die Russen ja schon in den nächsten Jahren in so eine Art Serienproduktion eintreten, also das könnte etwas zu vollmundig sein, meinen Sie?
    Zimper: Zumindest gab es tatsächlich diese offizielle Aussage seitens der russischen Regierung. Was davon zu halten ist – ich glaube nicht, dass 2018 ein operationelles System schon in die Serienfertigung geht. Das ist aber auch eine persönliche Einschätzung.
    Krauter: Wie weit sind die Chinesen? Die waren ja auch eine Zeit lang international durchaus viel beachtet im Bereich Hyperschall-Technologie unterwegs, offenbar ist es dann aber leiser geworden in den letzten Jahren. Heißt das, die haben aufgesteckt?
    Zimper: Also es ist gar nicht, dass sie leiser geworden sind. Insbesondere was man der öffentlichen Presse entnehmen kann, ist es ganz interessant zu sehen, dass innerhalb der letzten, ich sag mal, vier bis fünf Jahre unheimlich viele Flugexperimente stattgefunden haben im Hyperschall-Bereich. Und viele dieser Aktivitäten sind natürlich auch relevant für die zivilen Raumfahrtaktivitäten, also Materialtests zum Beispiel in den Bereichen. Da ist eine ganze Menge passiert in dem Bereich.
    Es ist ein bisschen ruhiger geworden in dem Bereich der Publikationen, die man aus dem chinesischen Raum sieht.
    "Lässt die Vermutung zu, dass die Informationen sensitiver werden"
    Krauter: Wie ordnen Sie das ein? Wenn man trotzdem forscht, überrascht das ja so ein bisschen.
    Zimper: Lässt die Vermutung zu, dass die Informationen sensitiver werden und man die nicht nach außen geben möchte.
    Krauter: Sie haben vorhin gesagt, diese Technologie könnte im militärischen Kontext in fünf bis zehn Jahren einsatzreif sein. Was wären denn mögliche konkrete erste Einsatzszenarien, also welche Form von Hyperschall-Technologie werden wir als Erstes sehen?
    Zimp: Voraussichtlich Hyperschall-Gleiter. Hyperschall-Gleiter, müssen Sie sich vorstellen, werden letztendlich gestartet mit einem konventionellen Raketensystem, und vorne an der Spitze befindet sich ein sogenanntes Gleitvehikel, was mit sehr hoher Geschwindigkeit dann in der Atmosphäre gleitet – unangetrieben, aber halt mit hypersonischer Geschwindigkeit – und letztendlich ins Zielgebiet fliegt. Das wird voraussichtlich eine der ersten Anwendungen sein, die wir sehen werden. Hyperschall-Flugkörper angetrieben, also Marschflugkörper-Konzepte, das wird sicherlich noch eine Weile dauern, weil insbesondere die Antriebstechnologie doch eine große Herausforderung darstellt – das ist bei Weitem noch nicht gelöst. Und ich sag mal, in 20, 25 Jahren plus ist durchaus denkbar, dass man auch Hyperschall-Flugzeuge mit einer Fähigkeit zur Aufklärung, also Informationsgewinnung, sehen könnte.
    "Es ist tatsächlich die Steuerbarkeit des Gleiters"
    Krauter: Sprechen wir noch mal schnell über diese Gleiter. Was wäre denn der militärische Vorteil von so einem Fluggerät, was aus großer Höhe in irgendeine Richtung, in ein Ziel zischt?
    Zimper: Es ist tatsächlich die Steuerbarkeit des Gleiters. Wenn wir uns ballistische Flugkörper anschauen, folgen diese zum großen Teil halt einer ballistischen Flugbahn, und eine ballistische Flugbahn lässt sich relativ gut bestimmen. Bei einem Gleiter wäre es so, dass er aerodynamisch in der Atmosphäre gleitet und steuerbar ist. Und das ist ein durchaus nicht zu unterschätzender Vorteil.
    Krauter: Das heißt, er könnte ganz andere Territorien fliegen, die vielleicht auch das Abfangen zum Beispiel schwieriger machen?
    Zimper: Ganz genau.
    "Im Bereich der Materialien gibt es noch eine ganze Menge zu tun"
    Krauter: Welche technischen Hürden gilt es noch zu meistern, bevor so eine Hyperschall-Gleitertechnologie tatsächlich einsatzreif sein könnte?
    Zimper: Letztendlich gibt es da eine ganz große Bandbreite an unterschiedlichen Technologien, die es da zu meisten gilt. Im Bereich der Materialien gibt es noch eine ganze Menge zu tun, dass eine Plattform, die sich in dem Geschwindigkeitsbereich bewegt, diese thermischen Lasten aushält. Die ganze Strukturintegration, das Thermalmanagement der gesamten Systeme in der Plattform, wenn wir über angetriebene Systeme reden, ist Antriebstechnologie noch eine wahnsinnige Herausforderung. Also Sie merken schon, ich könnte jetzt immer so weitermachen, auch was Stabilität und Steuerbarkeit anbelangt. Wissenschaftliche Fragestellungen gibt es hier noch eine ganze Menge.
    Krauter: Was sollten deutsche und europäische Streitkräfte denn jetzt tun beziehungsweise die Wissenschaftler, die für Sie arbeiten, um sich für diese neuen Waffen, die irgendwann am Horizont erscheinen werden, zu wappnen?
    Zimper: Letztlich ist das natürlich eine Fragestellung, die die Militärs beantworten müssen beziehungsweise die Politik. Aus meiner Sicht ist es zwingend notwendig, die potenzielle Bedrohung, die dort kommt, zu verstehen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um sich halt eben vor diesen potenziellen Bedrohungen zu schützen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.