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Hysterienspiel mit Puppen und Sandalen

"Köln war nicht nötig, es war vielleicht gerade mal so eben möglich." Das sagt die Regisseurin Suse Wächter über die Domstadt an Rhein. Deren historische Anfänge stehen auch im Mittelpunkt ihres neuen Stücks "Agrippina - Die Kaiserin aus Köln".

Von Dina Netz |
    Elfriede Jelinek ist etwa hüftgroß, trägt orangefarbene Turnschuhe und ist an der blonden Haartolle einwandfrei erkennbar. Und an ihrem Idiom:

    "Wir Frauen, wir müssen ja alle durch die männlichen Beurteilungsschleusen. Und die da bestehen wollen, erreichen das nicht durch Leistung irgendwelcher Art, sondern sie müssen sich auf den Markt der Körper werfen."

    Die Puppenspielerin und Puppenbauerin Suse Wächter spricht Elfriede Jelinek, und es ist fast unheimlich, wie nah sie dem Original kommt. Eigentlich ist die Jelinek-Puppe angetreten, um die conditio feminina zu erklären, denn an diesem Abend geht es ja um ihre Geschlechtsgenossin Agrippina – und die steht heute vor allem im Ruf der Intrigantin und Giftmischerin.

    Die aufrechte Jelinek-Emanzen-Puppe knickt allerdings ein, als der weise und weißhaarige Philosoph Seneca ihr Avancen macht. Die beiden entdecken seufzend, dass sie eine Tendenz zur Weltflucht teilen. Eine der komischsten und bösesten Szenen.

    Was hat nun Elfriede Jelinek im römischen Kaiserreich zu suchen? Vermutlich ist sie aus dem benachbarten Schauspielhaus kurz rübergekommen, wo im Moment Jelineks Menetekel "Ein Sturz" zu sehen ist, mit dem die Literaturnobelpreisträgerin der Stadt Köln ihr Versagen bei der Stadtarchiv-Katastrophe vorhält. Suse Wächter bohrt noch einmal in derselben Wunde - sie erinnert nicht nur an das aktuelle Fiasko, sondern sie gibt dem Kölner Selbstbewusstsein gleich ganz den Rest, indem sie sagt:

    "Köln war nicht nötig, es war vielleicht gerade mal so eben möglich."

    Damit spielt Wächter darauf an, dass Köln seine Gründung drei Unmöglichkeiten verdankt: dass eine Frau römische Kaiserin wurde, dass diese Frau ihren Geburtsort zur Stadt erhob und der Stadt ihren Namen gab.

    Allerdings ist die Quellenlage zu Agrippina schlecht, Suse Wächter umkreist das wenige Verbürgte und reflektiert die Legende – in einer Szene brauen Anja Herden, Ruth Marie Kröger und Suse Wächter als Hexen einen Zaubertrank und hinterfragen den Mythos der weiblichen Giftmischerin. Weil Agrippina solch eine Leerstelle ist, tritt sie auch nicht als Puppe auf, sondern wird von den Schauspielerinnen dargestellt.

    Eine der lustigsten Szenen wird als Video eingeblendet: Nero, Agrippinas Sohn und späterer Mörder, ist ein grenzdebiler Rocker mit amerikanischem Akzent. Nero wird bei einem Mitarbeiter der Kölner Agrippina-Versicherungen vorstellig und erkundigt sich, bei welcher Todesart seiner Mutter er erben werde. Der Versicherungsagent erklärt ihm stoisch die Vorzüge von Risiko-Lebens-, Unfall- und Krankentagegeldversicherungen.

    "Und wenn die Mama stirbt, dann würde ich erben, nicht?" - "Sie erben? Was erben Sie denn?"
    "Eine Stadt." - "Eine Stadt?" - "Kann man die Stadt auch versichern?" - "Dann sind wir im Bereich der Gebäudeversicherung."

    Damit nur eine der Römerpuppen Kopf und beide Arme bewegen kann, müssen allein zwei Schauspielerinnen tätig werden. Um zwei Puppen in Dialog zu bringen, braucht es also drei Schauspielerinnen, von denen eine zwei Puppen gleichzeitig "bedient" - was enormes Geschick und akkurate Abstimmung erfordert. Suse Wächter verschmilzt, wie immer, geradezu mit ihren Puppen. Aber auch die beiden Puppen-Neuligen Anja Herden und Ruth Marie Kröger machen ihre Sache gut. Ironie der Geschichte, dass all die mächtigen Römer ohne die Schauspielerinnen, die sie tragen, nicht auf die Beine kämen.

    Die drei Musiker halten die Szenen mit ihrem Soundtrack zusammen, aber inhaltlich und formal ist diese "Agrippina" doch eher eine Antiken-Soap aus Einzelsketchen. Nicht schlimm, denn es gibt viel zu lachen, ein paar schöne szenische Einfälle und vor allem: tolle Puppen.

    Kaiser Claudius zum Beispiel, mit Lorbeerkranz und Sandalen, stirbt minutenlang auf seinem Ruhebett vor sich hin, rülpst, windet sich und überbrückt die historische Distanz zwischen sich und dem Publikum im Futur II:

    "In 2000 Jahren werde ich Claudius gewesen sein" bis "Ich werde vergiftet worden sein."