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Ibn Rushd
"Einer der ganz Großen der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte"

Der Name des muslimischen Gelehrten Mohamed Ibn Rushd, der heute als Averroes zitiert wird, dürfte nur Wenigen bekannt sein. Zu Unrecht, finden Wissenschaftler der Uni Köln und erforschen deshalb in einem Projekt bisher unerschlossene Schriften des mittelalterlichen Philosophen. Projektleiter Andreas Speer erklärte im DLF, was ihn so einzigartig machte.

Andreas Speer im Gespräch mit Beatrix Novy | 14.11.2015
    Statue des sitzenden Albertus Magnus vor dem Hauptgebäude der Universität zu Köln.
    An der Uni Köln werden derzeit bisher unbekannte Schriften des muslimischen Gelehrten Ibn Rushd erforscht. (dpa/picture alliance/Horst Galuschka)
    Beatrix Novy: In Köln wird ein mittelalterlicher Gelehrter ganz besonders verehrt: Albertus Magnus. Zusammen mit seinem Schüler, Thomas von Aquin, hat er das Werk eines muslimischen Kollegen erforscht: Der hieß Mohamed Ibn Rushd, was sich im Lauf der Zeit zu einem spanischen Averroz verballhornt hat. Heute sagen wir Averroes oder so ähnlich. Das klingt, so ein Zufall, kein bisschen arabisch mehr. Spanisch übrigens deshalb, weil er 1.126 in Cordoba geboren wurde, in einer Epoche, die als singulär debattenfreudig in Erinnerung ist.
    Bisher unerschlossene Schriften des Ibn Rushd alias Averroes können jetzt in einem großen Projekt an der Kölner Universität erforscht werden. Gerade wurde es bewilligt für, inshallah, die nächsten 25 Jahre.
    Einer der Projektleiter ist der Direktor des Thomas-Instituts in Köln, Andreas Speer.
    Ihn habe ich gefragt, was denn Averroes heute zu einem Forschungsthema von solchen Ausmaßen macht?
    Andreas Speer: Averroes zählt ganz ohne Zweifel zu einer der ganz großen Figuren der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Es ist nicht nur eine Figur des Mittelalters, sondern er ist einer der großen Klassiker der Philosophie und Wissenschaftsgeschichte. Und seine Bedeutung liegt darin, dass er eine der großen Vermittlungsfiguren ist: Einmal zwischen Antike, Kultur, griechischer und arabischer, und lateinischer Kultur und damit Jahrhunderte überbrückt, zum einen an Wissen und wissenschaftlicher Diskussion und eine Wirkung entfaltet dann im lateinischen Kulturkreis, als er übersetzt wird, die bis in die Renaissance und weit darüber hinaus reicht.
    Novy: Das heißt also bis in die Zeit, die dann schon beginnt, das Zeitalter der Aufklärung, wenn auch noch weit weg, vorzubereiten mit den Schriften des Aristoteles, die er ja kommentiert hat. Er hat Wissenschaftsgeschichte transportiert, eine Diskussion überhaupt transportiert. Da geht es ja um Logik, um politische Theorie, also auch um etwas jenseits des Glaubens.
    Speer: Ja. Es geht vor allen Dingen erst mal mit Aristoteles um ein wissenschaftliches Weltbild, eigentlich ohne Religion und ohne Theologie. Das ist eine Konfrontation auch wieder für das lateinische Abendland, als Aristoteles in diesem Umfang entdeckt wird: die Konfrontation mit einem wissenschaftlichen paganen Weltbild, welches auch die Kosmologie umfasst, die Psychologie umfasst, die Erkenntnistheorie, die Ethik, viele solche Fragen.
    Das ist eine Herausforderung, die man an den Diskussionen an den Universitäten, die auch um diese Zeit frisch gegründet werden, lebendig erleben kann.
    "Er begreift die Vernunft als ein Gebot des Glaubens"
    Novy: Ibn Rushd hat die Vernunft hochgehalten, neben dem Glauben natürlich. Ein Leben jenseits des Glaubens war ja noch nicht denkbar. Wir reden ja hier vom Mittelalter. Wie hat er das dann gehandhabt?
    Speer: Ich würde sagen, für ihn ist Vernunft und Religion überhaupt kein Widerspruch, sondern er begreift die Vernunft zum einen als ein Gebot des Glaubens. Der Koran erfordert die Vernunfttätigkeit, die vernünftige Durchdringung der Welt. Und die Religion ist Teil dieser Welt, die durch die Vernunft erforscht wird.
    Novy: Das heißt, beide können nebeneinander existieren, ohne dass der Vernunft ein Abbruch getan wird?
    Speer: Er schreibt, alles das, was die Religion uns sagt, kann auch vernünftig eingesehen werden und hat vernünftige Gründe.
    Novy: So wie aus dem Schoß der mittelalterlichen christlichen Theologie ja letztlich das Werk der Renaissance und der Aufklärung in den folgenden Jahrhunderten entstanden ist, dank Averroes alias Ibn Rushd auch, so hätte das ja auch im Islam passieren können.
    Speer: Ja. Und was passiert ist, dass im Christentum genau dieselben Ideen auftreten. Dass die Religion eine Theologie als Wissenschaft etabliert, bedeutet nichts anderes, als die Religion auch unter den Anspruch der Wissenschaftlichkeit und der Vernunft zu stellen. Das Mittelalter ist überhaupt nicht eine obskure dunkle Zeit, sondern hier wird im Grunde genommen mit der Idee, Theologie als Wissenschaft an den Universitäten zu betreiben, auch genau etwas Ähnliches geschaffen, wie die Religion vernünftig zu reflektieren und zu begründen auf ihre Geltungsansprüche.
    Im Islam bricht diese Tradition auch mit Averroes nicht ab. Es geht über ein wenig auf einen anderen großen arabischen Gelehrten, persischen Gelehrten, muss man sagen: auf Avicenna, der dann im Grunde genommen die Leitfigur wird. Warum Averroes diese Bedeutung verliert, hat dann zu einem großen Teil auch politische Gründe. Aber dass es keine Philosophie, dass es keine Vernunft mehr im Islam nach Averroes gibt, das ist, denke ich, ein modernes Märchen.
    "In Arabien wird Averroes nicht unterstützt"
    Novy: In Saudi-Arabien wird er nicht gemocht?
    Speer: Nein, dort wird er nicht unterstützt, obwohl in Saudi-Arabien gibt es auch jetzt einen Ableger der Sorbonne, wo sie auch versuchen, diese Tradition, auch die arabische wissenschaftliche Tradition zu pflegen. Aber ich denke nicht, dass dies aus den Mauern dieser Universität herausdringt in die Öffentlichkeit.
    Novy: Unwahrscheinlich. - Das war Andreas Speer, Leiter des Thomas-Instituts in Köln.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.