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Ibsen aktualisiert

In der Musik nennt man das Cover- Versionen, wenn ein alt bekanntes erfolgreiches Musikstück von anderen Interpreten, neu einstudiert wird. Der Norweger Mathias Faldbakken hat das mit Hendrik Ibsens Theaterstück Nora, einem Emanzipationsdrama, gemacht und es in die Luxus-Welt von heute verlegt. Am Schauspiel Stuttgart kam das Stück in deutscher Erstaufführung heraus.

Von Christian Gampert |
    Nora Helmer hat dazugelernt. Sie wohnt nicht mehr als Vollzeit-Eheweib im plüschigen bürgerlichen Wohnzimmer; bei Matias Faldbakken ist sie Anwältin und verkehrt, wie der Autor offenbar auch, vor allem in der linksliberalen Subkultur. Vor allem aber ist Nora schwanger: In Stuttgart steht die Schauspielerin Hanna Scheibe mit Ballonbauch und hochhackigen Nuttenfiffies in der Gegend herum und weiß nicht recht, ob sie sich, bei zunächst unklarer Vaterschaft, auf das Kind freuen soll oder ob da etwas ganz Fremdes in ihr wächst.

    Zugegeben: jene Nora Helmer, die bei Henrik Ibsen aufopferungsvoll ihr familiäres Puppenheim bespielt und sich von einem bigotten Ehemann maßregeln lässt, bevor sie endlich geht, ist keine sehr heutige Figur mehr. Sie mit dem Holzhammer in die Gegenwart zu zwingen, ist allerdings auch nicht sehr klug. Matias Faldbakken will ja auch in seinen Romanen furchtbar provokant sein und ist dabei oft nur pubertär und ordinär; in "Noras Baby" verhandelt er nun unter anderem das Problem, warum Abtreibung nur bis zur zwölften Woche toleriert wird und ob der postnatale Abort nicht auch eine Möglichkeit wäre. Denn: die Selbstverwirklichung der Mutter geht über alles.

    Das sind steile Thesen, und reine Thesenträger sind auch Faldbakkens Figuren. Gibt es bei Ibsen noch eine feine Personenpsychologie, so greift Faldbakken voll in den beschränkten Fundus restringierten Szene-Jargons und überbrückt jede Verlegenheits-Pause durch das Füllwort "Scheiße". Und die brave Regisseurin Katja Wolff lässt Nora zunächst Bierflaschen einsammeln und setzt sie dann aufs Designer-Sofa, wo sie von lauter Szene-Hampelmännern umgarnt und unter Druck gesetzt wird - armes Frauchen.

    Faldbakkens Reader-Digest-Nora-Version geht so: Gatte Thorwald ist impotent und spielsüchtig und muss in die Reha. Um seine Schulden zu bezahlen, geht Nora auf Lustreise mit dem Dealer Frode Quale, denn der ist liquide. Möglicherweise ist er auch der Urheber von Noras Schwangerschaft, und das darf der genesene Thorwald natürlich nicht erfahren. Deshalb müssen ganz viele SMS und Faxe abgefangen werden.

    In Stuttgart ist nun der angeblich impotente Thorwald in Gestalt von Sebastian Nakajew ein tätowiertes Kraftpaket; der ähnelt mehr dem jungen Marlon Brando als einem verunsicherten Szene-Hänger. Frode Quale ist bei Florian von Manteuffel das Abziehbild eines Mittelstands-Dealers, Noras Freundin Kristine ein BWL-Mäuschen im Hosenanzug. Das Bühnenbild zitiert Halfpipe-Elemente, weil der narzisstische Thorwald bei einer Skateboard-Zeitung arbeitet - so wird Klischee an Klischee gereiht. Seichtes Post-Punk-Boulevard ist das, Studentenbühnen-Staatstheater. Auch die Nora der Hanna Scheibe ist eher blass und görenhaft - einzig der in Jesus-Latschen herumlümmelnde Doktor Rank des Sebastian Röhrle hat eine Ibsensche ironische Dämonie. Aber der wird Noras Baby nach der Geburt auch die finale Spritze setzen - postnataler Abort.

    Vor kurzem hat der französische Soziologe Luc Boltanski die These vertreten, nicht die Zellverschmelzung sei der Beginn menschlichen Lebens, sondern die Legitimierung des Kindes durch die Eltern, deren Entscheidung und Erlaubnis, das Kind dürfe geboren werden. Faldbakken verknüpft diesen moralischen Relativismus, hier in extremer Weise vertreten durch den Doktor Rank, mit männlichen Narzismus-Übungen: erst als der tobende Gatte Thorwald per Fax erfährt, er sei der leibliche Vater des Kindes, ist alles wieder gut. Der Deus ex Machina - ein Faxgerät.

    So platt kann Theater sein. Es bleibt eine einzige, schockierende Szene: Doktor Rank setzt Noras Baby die Todesspritze, denn Nora muss sich erst mal selber finden. Es wird aussehen wie plötzlicher Kindstod. Früher, bei Edward Bond, wurden die Babies gesteinigt, heute werden sie abgespritzt. Es wäre aufschlussreich zu wissen, wer der am Schluss Beifall Klatschenden, trotz aller Bedenken, mit dem postnatalen Abort einverstanden ist. Wahrscheinlich sind es mehr, als wir alle glauben.