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Ich-AG - die neue Selbständigkeit:

Ich bin freiberuflicher Web-Grafiker und Medien-Designer. Zu meinem Aufgabenbereichen gehören die Konzeption und Gestaltung von Internet-Seiten, Broschüren und Geschäftsausstattungen.

Anja Arp | 24.06.2003
    Ich bin freiberuflicher Web-Grafiker und Medien-Designer. Zu meinem Aufgabenbereichen gehören die Konzeption und Gestaltung von Internet-Seiten, Broschüren und Geschäftsausstattungen.

    Der Web-Designer aus Köln gehört zu den typischen neuen Selbständigen, den sogenannten Solo-Unternehmern. Er hat sich vor 5 Jahren in der Werbe-Branche selbständig gemacht und kämpft inzwischen um seine Existenz:

    Bei der heutigen Wirtschafts-Situation merkt man auch direkt, dass für Werbung kein Geld übrig ist. Und die Auftragslage dementsprechend sehr tief runter gegangen ist. Die großen Agenturen können sich kaum halten, die kriegen auch langsam Probleme. Und wir Kleinen, die teilweise freiberuflich tätig waren, wir scheiden da als aller erste aus und uns geht es dementsprechend auch nicht besonders gut.

    Obwohl viele der Solo-Unternehmen um´s Überleben kämpfen, gibt es immer mehr Menschen, die sich alleine selbständig machen. Und das ist ein neues Phänomen:

    Jahrzehntelang sind die Selbständigen durch den Rückgang der Landwirtschaft und der kleinen Gewerbetreibenden ja zurück gegangen. Erst seit den 80er Jahren findet europaweit wieder ein Anstieg von Selbständigkeit statt. Und dabei ist auffällig, dass die neuen Selbständigen überwiegend Solo-Selbständige sind. Das heißt, sie arbeiten allein ohne weitere Mitarbeiter. Und wenn man sich mal die Gesamtzahl der Selbständigen anguckt, dann ist in der Bundesrepublik gegenwärtig mehr als die Hälfte aller Selbständigen allein-selbständig. Das sind absolut cirka 1,8 Millionen Menschen.

    Karin Gottschall vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen hat die Gruppe der Solo-Selbständigen genauer unter die Lupe genommen. Dabei hat sie auch festgestellt, dass der Anteil der Frauen unter den Freiberuflern mit rund einer halben Million überproportional hoch ist. Ein weiteres Merkmal dieser neuen Selbständigen: Sie verfügen in der Regel über gute Bildungsabschlüsse:

    Das wiederum hängt auch zusammen mit den Branchen in denen die neuen Selbständigen arbeiten. Das sind nämlich überwiegend neue wissensintensive Dienstleistungsbranchen, zum Beispiel unternehmensnahe Dienstleistungsfelder wie die Rechts- und Steuer- und Unternehmensberatung oder die Software-Entwicklung, aber auch die Sektoren Bildung, Gesundheit, Kultur und Unterhaltung. Das sind dann Berufe wie Heilberufe, Erwachsenen-Bildung und vor allem natürlich auch die Medien-Berufe.

    Es gibt zwar auch eine Zunahme von Allein-Selbständigen in eher niedrig qualifizierten Feldern, wie zum Beispiel dem Handel oder dem Hotel- und Gaststätten-Gewerbe – etwa die berühmten Pizza-Flitzer. Aber der Zuwachs in diesen Bereichen ist deutlich geringer, als in den wissensintensiven, höher qualifizierten Dienstleistungen.

    Generell haben Freiberufler in der Regel lange Arbeitszeiten von über 50 Stunden in der Woche. Das gilt laut Bremer Studie auch für die Solo-Selbständigen. Wenn man Arbeitszeit und Einkommen in Relation setzt, dann zeigt sich, dass die Einkünfte nicht besonders hoch sind:

    Cirka zwei Drittel aller Solo-Selbständigen haben ein monatliches Netto-Einkommen unter 1.500 Euro und die Selbständigen mit Beschäftigten haben dann doch relativ gesehen im höheren Ausmaß auch höhere Einkommen. Gleichzeitig muss man sehen, dass diese Einkommen noch nichts darüber aussagen, wie diese Selbständigen sozial gesichert sind. Ob es eine Krankenversicherung, eine Altersvorsorge, eine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit oder dergleichen gibt?

    Zum Beispiel Thomas Becker. Der Diplom-Pädagoge und Psychotherapeut aus Köln hat jahrelang für verschiedene Firmen, aber auch für das Arbeitsamt, Fortbildungen gemacht. Seit einiger Zeit arbeitet er nun als Freier Dozent an der Kölner Volkshochschule:

    Ich arbeite derzeit mit einem Umfang von 20 Unterrichtsstunden pro Woche und verdiene Brutto pro Monat im Jahres-Schnitt 1.000 Euro und davon muss ich dann alles selber bezahlen. Also da habe ich gar keine soziale Absicherung. Also ich muss gucken, dass ich Geld zurücklege. Und Krankenkassen muss ich bezahlen.

    Thomas Becker ist in der gesetzlichen Krankenversicherung. Da zahlt er derzeit den Mindestbeitrag inklusive Pflegeversicherung:

    Das sind irgendwie 114 Euro im Monat. Für die Rentenkasse muss ich 19,5 Prozent bezahlen, das sind dann also von 1.000 Euro ungefähr 200 Euro. Der Rest der mir dann bleibt, das sind dann ungefähr 700, ein bisschen weniger Euro. Ansonsten habe ich halt keine Absicherung. Ich habe keine Absicherung im Krankheitsfall, keine Berufsunfähigkeitsabsicherung. Ich hab auch keine Arbeitslosen-Absicherung, gar keine im Grunde.

    Die Aufträge von der Volkhochschule kann der freiberufliche Dozent jederzeit verlieren. Thomas Becker unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und wenn ein Kurs in einem Semester nicht zu Stande kommt, dann hat er halt Pech gehabt. Weil seit Wochen die Aufträge ausbleiben, macht sich auch der selbständige Web-Designer um seine Zukunft Sorgen:

    Momentan nicht sehr gut, da ich auf der Suche nach einer Festanstellung mittlerweile bin. Aber was den Arbeitsmarkt angeht, ist da ja auch kaum Bedarf. Insofern ist der Nachteil, dass man halt nicht Arbeitslosen-Geld berechtigt ist, in dem Moment wo man nichts mehr zu tun hat. Und die Probleme eigentlich viel höher sind im Gegensatz zu Arbeitnehmern, die arbeitslos werden.

    In diesen beschäftigungslosen Zeiten hat er zum Beispiel Schwierigkeiten, auch nur die Beiträge für seine private Krankenversicherung und seine Altersvorsorge aufzubringen. Dennoch: Obwohl die Selbständigkeit offenbar viele Risiken birgt, erscheint sie immer mehr Menschen als Alternative in einem zunehmend schwierigen Arbeitsmarkt. Hilmar Schneider vom Institut Zukunft der Arbeit in Bonn:

    Ich glaube das ist ein Reflex auf die institutionellen Bedingungen, die wir haben, was die Schaffung von Arbeitsplätzen anbelangt. Also ich denke, dass insbesondere ältere Arbeitnehmer inzwischen mit immer größeren Problemen konfrontiert sind, weil man angeblich als über 40 oder über 50jähriger nicht mehr vermittelbar ist. Das würde sich dann ändern, wenn wir strukturelle Reformen am Arbeitsmarkt bekämen. Aber im Augenblick ist es insbesondere für Ältere häufig die einzige Möglichkeit, wie sie sich überhaupt noch am Arbeitsmarkt betätigen können.

    Eine Idee, um schwer vermittelbaren Menschen, also etwa über 55jährige, wieder eine Chance am Arbeitmarkt zu geben, ist die so genannte Ich AG.

    Das künstliche Wort-Ungetüm galt einige Zeit als die beste Beschreibung für eine neue Unternehmer-Generation, der "New Economy", die Individualismus und Börsen-Geschick unter einen Hut brachte. Als dann die Kurse ins Bodenlose purzelten, verhalf die Hartz-Kommission der Ich-AG zu neuem Glanz. Aus der Bezeichnung für glorreiche Start-Ups wurden subventionierte Arbeitslose und die Ich-AG zum Unwort des Jahres.

    Nach dem Konzept der Hartz-Kommission soll die Ich-AG Arbeitslosen den Weg in die Selbständigkeit ebnen. Und zwar vor allem im Bereich der Dienstleistungen. Innerhalb von drei Jahren soll sich die Ich-AG dann zu einem eigenständigen Klein-Unternehmen entwickelt haben. Nach den Hartz-Plänen besteht das Unterstützungspaket aus drei Teilen:

    Erstens in Form von direkten finanziellen Hilfen, zweitens durch Subventionierung der sozialen Sicherung und last but not least durch Steuererleichterungen.

    Der Existenzgründerzuschuss für zuvor Arbeitslose beträgt im ersten Jahr monatlich 600 Euro, im zweiten 360 und im dritten Jahr 240 Euro. Der maximale direkte Finanz-Zuschuss addiert sich auf 14.400 Euro.

    Wer eine Ich-AG gründet, muss sich als Selbständiger in der Rentenversicherung pflichtversichern. Im Förderzeitraum zahlen die frischgebackenen Klein-Unternehmer einen reduzierten Renten-Beitrag von monatlich 232 Euro in den alten Bundesländern und 194 Euro in den Neuen. Die ebenfalls subventionierten Beiträge von 167 Euro für die Krankenkasse sind freiwillig. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entfallen ganz.

    Auch bei der Steuer wird die Ich-AG bevorzugt behandelt: Ein-Mann-Betriebe, die in diesem Jahr maximal 17.500 Euro umsetzen, können pauschal 50 Prozent ihrer Einnahmen als Betriebsausgaben beim Finanzamt geltend machen. Und zwar ohne Beleg.

    Trotz all dieser Subventionen spielt die Ich AG in der Realität bislang keine Rolle. Seit Jahres-Beginn können Arbeitslose eine Ich-AG gründen. Bislang hat allerdings kaum jemand mit dieser Förderung den Sprung in die Selbständigkeit gewagt. In der Millionen-Stadt Köln gibt es zum Beispiel momentan gerade mal 243 Ich-AG’s. Der Bonner Arbeitsmarkt-Experte Hilmar Schneider ist sich denn auch nicht ganz sicher, ob die Ich AG der richtige Weg ist:

    Denn die Ich-AG ist ja zunächst einmal dazu gedacht die Schwarzarbeit wieder in die Legalität zurück zu führen, indem man Subventionen zahlt. Man muss sich aber fragen, welcher Anreiz dadurch für jemanden geschaffen wird, der jetzt schon in die Schwarzarbeit gegangen ist. Denn er wird in jedem Fall auch mit der Ich-AG weniger verdienen, mal ganz davon abgesehen, dass die ganze Förderung auch nur auf drei Jahre befristet ist. Also wenn, dann würde ohnehin nur Arbeit aus die Illegalität in die Legalität verlagert werden und der Staat eine gewisse Einnahmequelle damit gewinnen. Aber als Instrument, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist es eigentlich ungeeignet.

    Auf jeden Fall aber ist ein Ich-AG-Unternehmer erst mal für drei Jahre aus der Arbeitslosen-Statistik raus.

    Es gibt Berufsgruppen wie Ärzte, Rechtsanwälte oder Handwerker, die sind traditionell selbständig. In der Regel sind sie über berufsständische Versorgungswerke versichert. Zudem geht man zum Beispiel bei Ärzten davon aus, dass sie gut verdienen und sich privat absichern können. Für die stark ansteigende Gruppe der neuen Solo-Selbständigen gilt das jedoch nicht. Ihr Einkommen ist häufig nicht sehr hoch. Gleichzeitig tragen sie alle Risiken wie Krankheit oder Nicht-Beschäftigung allein. Für so manchen Selbständigen ist dieser Status denn auch eher eine Notlösung.

    Die neuen Selbständigen müssen nicht nur alle Risiken tragen, häufig fallen sie auch durch das Raster der sozialen Sicherungssysteme. Denn das in Deutschland von Bismarck geschaffene umlagefinanzierte System der sozialen Sicherung geht von einem lebenslangen Normalarbeitsverhältnis aus. Doch das ist seit langem schon eher die Ausnahme als die Regel. Karin Gottschall zu den Folgen für einige Selbständige:

    Wir wissen aus verschiedenen Untersuchungen am Zentrum für Sozialpolitik, dass die Zahl der Selbständigen, die von Altersarmut betroffen sind, im Ansteigen begriffen ist. Gerade die Altersversorgung, zeigt sich, ist bei diesen Allein-Selbständigen sehr unzureichend.

    Um das Schicksal der Altersarmut für freiberufliche Künstler und Publizisten abzuwenden, hat der Gesetzgeber deshalb vor 20 Jahren die Künstlersozialversicherung aus der Taufe gehoben.

    Das Prinzip ist einfach: Künstler und Publizisten sind über die Künstlersozialkasse kranken- und rentenpflichtversichert. Einkommensabhängig zahlen sie monatlich ihren Beitrag. Das ist der Arbeitnehmeranteil. Der Arbeitgeberanteil setzt sich aus Zahlungen der Verwerter, etwa Verlage oder Rundfunkanstalten, und einem Bundeszuschuss zusammen.

    Die Künstlersozialkasse hat sich in den 20 Jahren als Modell bewährt. Allerdings ist sie nur auf die Berufsgruppe "Künstler und Publizisten" beschränkt. Sie ist eine branchen-spezifische Lösung – die ihre Grenzen hat. So wurde zum Beispiel der Bundeszuschuss in der Vergangenheit bereits gekürzt, weil der Ansturm auf die Künstlersozialkasse riesig ist. Und das wird dem Bund angesichts chronisch leerer Kassen einfach zu teuer.

    Dann kommt noch hinzu, dass die Künstler-Sozialversicherung selbst für diese Gruppe keine ausreichende soziale Sicherung gewährleistet. Also das Rentenniveau ist auf Grund der unstetigen Erwerbsverläufe und der niedrigen Verdienste sehr unzureichend und meistens nicht Existenz sichernd.

    Zudem schützt die Künstlersozialkasse natürlich auch nicht gegen Auftragsflauten oder langwierige Krankheiten. Sie kann auch nicht als Modell für andere Freiberufler gelten – dafür ist sie zu sehr auf die Kultur-Branche zugeschnitten. Schon als Web-Designer hat man da keine Chance aufgenommen zu werden.

    Angesichts der gravierenden Veränderungen am Arbeitsmarkt plädieren viele Experten dafür, die sozialen Sicherungssysteme auf eine breitere Basis zu stellen und zum Beispiel die neuen Selbständigen einzubeziehen. Hilmar Schneider:

    Im Augenblick haben wir ja das Problem, dass die Finanzierung der Vorsorge auf einer relativ schmalen Basis organisiert ist. Also es sind die abhängig-beschäftigten Arbeitnehmer, die einen großen Teil der Risiko-Vorsorge der Gesellschaft tragen müssen. Und Kostenentwicklungen - beispielsweise in der Krankenversicherung - wirken sich dann immer so aus, dass überproportionale Anstiege bei den Arbeitskosten auftreten. Und damit werden Arbeitsplätze gefährdet und das wiederum untergräbt die finanzielle Basis der Sozialversicherung. Das könnte man dadurch abstellen, dass man die Finanzierungsbasis breit macht, also auf die gesamte Gesellschaft ausweitet.

    Am Zentrum für Sozialpolitik in Bremen haben Wissenschaftler den Blick über die Grenzen gewagt. Sie haben untersucht, wie die europäischen Nachbarn das Problem der sozialen Sicherung auch im Hinblick auf die Einbeziehung der steigenden Gruppe der Solo-Selbständigen geregelt haben. Die Wissenschaftler haben vier Länder ins Visier genommen. Dabei wurde schnell klar:

    Die sozialen Sicherungssysteme in Dänemark und Frankreich sind so unterschiedlich, dass man daraus für das deutsche System nichts lernen kann. Das sieht in Österreich ganz anders aus. Dort gibt es, wie in Deutschland, das System der paritätischen Finanzierung der sozialen Sicherung von Arbeitnehmer und Arbeitgebern. Allerdings mit einem kleinen Unterschied:

    Seit Mitte der 90er Jahre sind in Österreich die Selbständigen darin einbezogen. Und zwar zunächst in die Krankenversicherung und dann auch in die Rentenkasse. Karin Gottschall erklärt das Prinzip:

    Es besteht jetzt seit 1998 eine grundsätzliche Versicherungspflicht für Selbständige oberhalb einer Geringfügigkeitsgrenze. Dann kommt hinzu, dass diese Selbständigen Beiträge leisten, wie die anderen auch, 14 bis 16 Prozent ihres Einkommens. Die Arbeitgeber-Beiträge müssen von den Selbständigen selbst aufgebracht werden. Wenn Selbständige ein zu geringes Einkommen haben, um diese Beiträge zahlen zu können, dann gibt es die Möglichkeit von öffentlichen Zuschüssen. Es gibt auch die Möglichkeit, wenn die Renten letztendlich nicht hoch genug sind, dass dann noch mal eine zusätzliche Sicherung, eine bedarfsabhängige steuerfinanzierte Sozialhilfeleistung greift.

    Damit am Ende auch vernünftige Renten rauskommen, sollen die Beiträge der Selbständigen in den nächsten Jahren sukzessive auf 22 bis 23 Prozent anwachsen.

    Insgesamt hat das Österreichische System den Vorteil, dass es Selbständigen im Alter ein Mindesteinkommen garantiert. Es ist also so etwas wie eine Basis-Sicherung im Alter. Zudem bietet das Österreichische Modell natürlich auch die Möglichkeit, sich freiwillig höher zu versichern. Da dieses Sicherungssystem sehr eng an das deutsche System angelehnt ist, könnte man davon relativ unproblematisch lernen.

    Ein anders Modell, das auch hierzulande in der Diskussion ist, wird in der Schweiz praktiziert. Der Alpen-Staat setzt in Sachen Alterssicherung auf das so genannte Drei-Säulen-Modell:

    Dort gibt es eine Basis-Sicherung der Wohnbevölkerung, die aber zugleich auch leistungsorientierte private Versicherungs-Elemente enthält. Die so genannte erste Säule ist eine Alters- und Hinterbliebenen-Versorgung. Das ist eine Grundversorgung, die generell alle einschließt. Und diese Grundversorgung begünstigt Selbständige und Geringverdienende durch verschiedene Elemente. Also zum Beispiel wenn man Unterbrechung in der Erwerbsbiografie hat oder schwankende Einkommen, dann führt das in diesem Grundsicherungssystem nicht automatisch zu Nachteilen.

    Neben dieser Grundsicherung für die gesamte Bevölkerung gibt es in der Schweiz dann noch eine zweite Säule, das kapitalgedeckte Betriebsrenten-System. Diese Säule kommt für Selbständige natürlich nicht in Frage. Und die dritte Säule, ist wie in vielen Ländern, die private Vorsorge. Der Deutsche Gewerkschaftsbund plädiert zum Beispiel für eine Grundrente nach dem Schweizer Modell. Karin Gottschall:

    Ich glaube, dass wäre eine sehr weitreichende und reformfreudige Veränderung. Das Schweizer System ist eben viel breiter weil es alle einbezieht und es hat interne Umverteilungsmechanismen.

    Allerdings: Gerade weil das Schweizer Modell eine recht radikale Reform wäre, sieht die Wissenschaftlerin auch wenig Chancen für eine Umsetzung. Denn sie hält den Widerstand für sehr groß, das bisherige System der sozialen Sicherung nachhaltig zu verändern. Sie glaubt deshalb, dass das österreichische System in Deutschland mehr Chancen hat:

    Insofern könnte man sagen das österreichische Modell, was ja einfach das bestehende System erhält und praktisch nur die Selbständigen mit einbezieht. Das wäre so zu sagen eine kleinere und von daher leichter realisierbare Reform.

    Auch Hilmar Schneider hält es angesichts der Lage am Arbeitsmarkt und der steigenden Zahl von Solo-Selbständigen für wichtig, die Basis zu verbreitern. Das heißt die Versicherungspflicht zum Beispiel auf Selbständige auszudehnen. Allerdings warnt der Arbeitsmarkt-Experte vor überzogenen Erwartungen:

    Wenn sie heute eine Versicherungspflicht für Selbständige einführen, kann das nicht bedeuten, dass jemand, der morgen als Selbständiger in den Ruhestand geht, auch schon volle Rentenansprüche hat. Auch das wird ne ganze Weile dauern, bis sich der Leistungsanspruch aus einem solchen Systemwechsel dann letzten Endes auf den Rentenanspruch auswirkt. Wir haben es mit einem sehr trägen System zu tun. Da wäre alles Illusion, was suggeriert, wir könnten da kurzfristig was ändern.

    Experten gehen davon aus, dass wir bis zum Ende des Jahres mit 5 Millionen offiziellen Arbeitslosen rechnen müssen. Könnte da die Ich-AG und der neue Solo-Unternehmer eine ernst zu nehmende Alternative sein? Könnte die neue Selbständigkeit nicht Fluch, sondern Segen sein?

    Gegen Selbständigkeit spricht überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil ich würde sogar sagen, dass das nur die äußerste Form einer zukunftsweisenden Art von Arbeitsorganisation ist, die wir haben. Wir müssen uns davon verabschieden, dass der Arbeitnehmer mehr oder minder passiv die Anweisungen seines Vorgesetzten entgegen nimmt. Arbeitnehmer müssen künftig zunehmend denken lernen wie Unternehmer. Denn das ist erforderlich, damit ihr Arbeitsplatz im Wettbewerb gesichert wird. Insofern werden die Unterschiede in der Zukunft ohnehin fließend werden.