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Ich-AG - ein Nachruf

Endlich wieder weniger Arbeitslose - diese Botschaft konnten Arbeitsmarktexperten in den vergangenen Monaten verkünden. Vor ein paar Jahren sah das weniger rosig aus. Damals war die Ich-AG in aller Munde - als ein Instrument, möglichst vielen Arbeitsuchenden den Weg in die berufliche Selbstständigkeit zu ebnen. Am 1. Januar 2003 wurde die Ich-AG ins Leben gerufen. Heute ist es still um sie geworden, denn vor zwei Jahren wurde sie von einer neuen Förderung abgelöst.

Von Svenja Üing | 31.07.2008
    "Das hier ist jetzt eine Fassade für eine klassische Wohnanlage. Da werde ich mir jetzt überlegen, in welche Richtung von Farbe ich gehen möchte. Meistens verfahre ich immer nach dem Ausschlussprinzip, dass ich erst mal mir überlege, was geht auf gar keinen Fall."

    Kathrin Thyssen sitzt in ihrem Arbeitszimmer. Vor ihr auf dem Schreibtisch liegen kreuz und quer Fotos von Mehrfamilienhäusern, die farbig angestrichen werden sollen, und viele bunte Papierschnipsel - als Farbmuster für die künftige Fassadenfarbe. Die 34-Jährige entscheidet sich für die Farbe Gelb.

    "Dann kann man sich hier, aus der großen Palette der kleinen Farbschnipsel überlegen, welche Gelbtöne denn jetzt angebracht wären."

    Kathrin Thyssen ist Architektin. Nach einer kurzen Festanstellung hat sie sich vor zwei Jahren als Farbgestalterin selbstständig gemacht. Das Geld für den Schritt in die Selbstständigkeit bekommt sie durch die Ich-AG, die im Januar 2003 ins Leben gerufen wurde: Im ersten Jahr monatlich 600 Euro, im zweiten 360 und im dritten Jahr 240 Euro. Kathrin Thyssen ist eine von 400.000 Frauen und Männern, die sich mit der Ich-AG selbstständig gemacht haben:

    "Die Ich-AG war für mich eine gute Sache, weil es einfach über einen sehr langen Zeitraum einem auch eine Sicherheit im Kopf gegeben hat. Man wusste einfach, Ende des Monats kommt eine bestimmte Summe, die zumindest ein totales Minimum abdecken kann. Und das hat mich doch zu manchen Zeiten ruhiger schlafen lassen."

    Alternativ zur Ich-AG hätte sie auch das Überbrückungsgeld beantragen können, das schon seit 1986 angeboten wird. Im Unterschied zur Ich-AG wurde das Überbrückungsgeld zwar nur sechs Monate lang gezahlt, dafür aber in voller Höhe des Arbeitslosengeldes. Besserverdienende bekamen also beim Überbrückungsgeld mehr Geld als bei der Ich-AG. - Mit diesen beiden Arten der Existenzgründungsförderung ist seit zwei Jahren Schluss. Anstelle von Ich-AG und Überbrückungsgeld gibt es seit August 2006 den neuen Gründungszuschuss. Die Ideen von Ich-AG und Überbrückungsgeld leben darin allerdings fort: Der neue Gründungszuschuss wird in Höhe des Arbeitslosengeldes gezahlt, jetzt aber ganze neun Monate lang, und nach Bedarf für weitere sechs Monate. Hinzu kommen 300 Euro monatlich, damit die Gründer sich sozial absichern können. Die Journalistin Kirsten Rulf, die sich damit im vergangenen Jahr selbstständig gemacht hat, hat von diesen Veränderungen profitiert:

    "Der Gründungszuschuss war ungefähr das, was ich auch im Volontariat bekommen habe, als Gehalt. Und damit bin ich gut ausgekommen. Und da habe ich gedacht: ja super, ein Ruhepolster, brauche ich mir um die Miete keine Sorge zu machen, hab was zu essen und kann dann einfach drauf los arbeiten."

    Von einem Scheitern der Ich-AG kann man aber nicht sprechen, sagt Frank Wießner, Existenzgründungsexperte vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Im Gegenteil: Die Ich-AG habe die gesamte Gründerszene in Deutschland verändert. Denn sie hat Menschen motiviert, sich selbstständig zu machen, die das sonst vermutlich nicht gewagt hätten:

    "Besonders überraschend war der ungemein hohe Frauenanteil bei der Ich-AG, der hier tatsächlich fast doppelt so hoch war wie beim Überbrückungsgeld und der auch noch den durchschnittlichen Frauenanteil an den Arbeitslosen überschritten hat. Im Nachhinein könnte man fast salopp sagen, die Ich-AG wäre ein Frauenprogramm gewesen, obwohl sie keineswegs darauf abgezielt hat."

    Die Kehrseite der Medaille: Die Ich-AG-ler starteten oft aus einer finanziell schwachen Situation heraus in die Selbstständigkeit. Eine Erhebung durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt, dass etwa 30 Prozent der Ich-AGs ihre Selbstständigkeit zweieinhalb Jahre nach der Gründung wieder aufgegeben haben. Jeder zweite dieser Abbrüchler ist heute wieder regulär angestellt. Hat die Arbeitsagentur damit viel Geld in wackelige Gründungsvorhaben gesteckt? Nein, sagt Frank Wießner. Als arbeitmarkpolitisches Instrument müsse die Ich-AG danach beurteilt werden, ob sie Menschen in wirtschaftlich schwierigen Jahren aus der Arbeitslosigkeit herausgeholt hat:

    "Ob man dieses Ziel jetzt durch Selbstständigkeit erreicht oder auch wieder durch eine Rückkehr in eine abhängige Beschäftigung, das ist jetzt aus pragmatischer Sicht letzen Endes nur eine Frage dieser unterschiedlichen Vertragsformen."

    Die Farbberaterin Kathrin Thyssen jedenfalls ist froh, mit der Ich-AG den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. Und auch die Journalistin Kirsten Rulf steht dank des neuen Gründungszuschusses als Selbstständige inzwischen auf eigenen Beinen. Von der Agentur für Arbeit allerdings hätte sie sich manchmal eine intensivere persönliche Betreuung gewünscht, sagt Kirsten Rulf:

    "Ich hätte mir einfach gewünscht, dass da vielleicht nach drei Monaten, nach sechs Monaten, nach neun Monaten einfach noch mal jemand nachfragt und sagt, ja Mensch, wie war's denn, wie fühlst du dich und hat alles geklappt? Aber man hört dann nie wieder was von denen. Und das fand ich irgendwie befremdlich. Also die geben einem einfach sehr viel Geld und wollen dann überhaupt nicht wissen, was ich damit mache und ob's letzten Endes geklappt hat oder ob das irgendwo versickert und ich vielleicht doch wieder Arbeitslosengeld beantragen muss."

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