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"Ich baue nicht so gut wie ich kann, sondern so schlecht wie ich muss"

In den 20er-Jahren bekämpfte der Architekt Ernst May die Wohnungsnot mit dem Bau von 15.000 preiswerten Unterkünften. Auf Einladung der Sowjetregierung versuchte er später, seine Erfahrungen auf die UdSSR zu übertragen. 1933 emigrierte er nach Afrika - und kehrte als anerkannter Städteplaner 1954 nach Deutschland zurück.

Von Jochen Stöckmann. | 27.07.2011
    Den Koffer in der einen, das Reißbrett in der anderen Hand, so geht mit energischem Schritt ein Städtebauer der Zukunft entgegen - und die liegt in der UdSSR. Mit dieser Fotomontage annoncierte im September 1930 der Architekt Ernst May, geboren am 27. Juli 1886, das vorläufige Ende der Karriere als Stadtbaurat in seiner Vaterstadt Frankfurt am Main. In verheißungsvollem Rot hatte May auf dem Titelblatt der von ihm herausgegebenen Kultur-Zeitschrift "Das Neue Frankfurt" jene Sowjetunion ausmalen lassen, in die es den erfolgreichen Verfechter eines sozialen Wohnungsbaus nun zog:

    "Nicht aus irgendwelchen politischen Gründen, sondern lediglich weil es die größte städtebauliche Aufgabe unserer Zeit war: Der Putz fiel von den Häusern, die Straßen waren schmutzig. Die Menschen drängten sich dicht, sie sahen abgemagert aus - nie sah ich jemand lachen! - der Verkehr war unmöglich."

    Diese Probleme hatte May in Frankfurt, einem der sozialen Brennpunkte der Weimarer Republik, mit Mustersiedlungen im Stil der "Neuen Sachlichkeit" gelöst: Als Stadtbaurat hatte er 15.000 neue Wohnungen bauen lassen mit sparsam, aber funktional ausgestatteten Küchen und Bädern. Großzügige Grünflächen zwischen den geradlinigen Zeilenbauten sorgten für Sonne, Licht und Luft. Die dumpfe Enge der Mietskasernen sollte abgelöst werden durch eine neue Form städtischen Zusammenlebens, die May in England kennen gelernt hatte, in der von seinem Lehrer und lebenslangen Mentor Raymond Unwin entworfenen Londoner Gartenstadt Hampstead. Um seine Reform-Idee der durchgrünten Trabantenstadt gegen widerstrebende Interessengruppen durchzusetzen, machte der junge, kaum 40 Jahre alte Stadtplaner erst einmal dem Kompetenzgerangel ein Ende, als er 1925 seine Arbeit in Frankfurt begann:

    "Ich hatte Hochbauamt, Tiefbauamt, Planungsamt, Baupolizei, Garten- und Grünwesen, Friedhofswesen und vor allem auch die Grundstücksverwaltung alle in einer Hand zusammengefasst und konnte damit einheitlich von großen Gesichtspunkten aus disponieren."

    Dieses autokratische Vorgehen als Stadtbaurat wurde mehr als aufgewogen durch vielfältige Bemühungen, Verständnis für seine Planungen zu wecken. Ein Mittel der neuartigen Kommunikationspolitik war die Zeitschrift "Das Neue Frankfurt" - und die kam an:

    "Wenn sie in der Straßenbahn fuhren, konnten sie erleben, dass irgendein Arbeiter oder ein Angestellter oder eine Putzfrau sich über Hochbau oder Flachbau unterhielten - es wurde von allen diskutiert."

    Diese Art der Überzeugungsarbeit, seine ganz besondere Bau- und Planungskultur behielt der Städtebauer auch in der Sowjetunion bei, als Leiter der "Brigade May" mit zwei Dutzend deutschen und niederländischen Fachleuten für Wohnungsbau und Design, Statik oder Verkehrswesen.

    "Wir kamen zum Beispiel an einen Ort, von dem wir noch nichts wussten, die Karten waren sehr mangelhaft. Und dann wurde nun mein Team angesetzt, so dass wir nach wenigen Tagen meist schon in Skizzen ein Konzept hatten, das nun mit einem Projektionsapparat den örtlichen Arbeitermassen vorgeführt wurde. Wir lernten dabei selbst sehr viel aus der Diskussion. Die Schwierigkeit bestand nur darin, die Konzeption nachher in Moskau durchzusetzen."

    Das Zentralkomitee ließ allerlei Planungen zu, realisieren aber durften die Aufbauhelfer kaum etwas. Enttäuscht verließ Ernst May 1933 die Sowjetunion und ging nach Afrika. Er war erfolgreich als Kaffeefarmer und wurde - mitten im Zweiten Weltkrieg - vom britischen Gouverneur in Kenia zum Stadtplaner berufen. Seine internationalen Erfahrungen hätte Ernst May gerne wieder in Deutschland eingesetzt. Erst 1954 gelang ihm die Rückkehr. Er leitete zwei Jahre lang das Planungsbüro der gewerkschaftlichen Wohngesellschaft "Neue Heimat" und arbeitete danach bis zu seinem Tode 1970 in Hamburg als freischaffender Architekt und Stadtplaner. Die wirklich neue Gestaltung, mehr als ein bloßer und fantasieloser "Wiederaufbau" der vom Bombenkrieg zerstörten Städte blieb ihm und zahlreichen Kollegen verwehrt, was Ernst May bereits 1957 in einem öffentlichen Vortrag kritisierte:

    "Die wirtschaftlichen Interessengruppen, diese sind nun die neuen Auftraggeber der Städtebauer. Von ihrem geistigen Niveau hängt alles Geschehen im Staate wie in unseren Städten ab. Es kann nicht Wunder nehmen, wenn der Baukünstler resigniert: Ich baue nicht so gut wie ich kann, sondern so schlecht wie ich muss."