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Ich-Bewusstsein bei Tieren
Rhesusaffen können sich doch im Spiegel erkennen

Wenn Tiere ihr Spiegelbild erkennen, gilt in der Wissenschaft als bewiesen, dass sie ein Ich-Bewusstsein haben. Bei Rhesusaffen war das bisher nicht der Fall. Ein chinesischer Forscher hat für eine Studie die Tiere so trainiert, dass sie sich doch erkannt haben. Einige Forscher kritisieren seine Methode.

Von Michael Stang |
    Ein Rhesusaffe hält sich am 10.03.2016 in der Tierhaltung im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen (Baden-Württemberg) an einem Gitter fest.
    Rhesusaffen können sich nach einem gezielten Training selbst im Spiegel erkennen. (Marijan Murat/dpa picture alliance)
    "Affen können nicht sagen, ob sie ein Ich-Bewusstsein besitzen. Daher ist der Spiegeltest bisher die einzige Möglichkeit, die uns zeigt, ob jemand über die Fähigkeit zur Ich-Erkenntnis verfügt oder nicht. Es gibt keine Alternative."
    Daher wird der Spiegeltest in den Neurowissenschaften als Standardmethode verwendet, so Mu-ming Poo. Er ist der Direktor des Instituts für Neurowissenschaften der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Shanghai. Die Idee des Tests ist einfach: Wer das Prinzip des Spiegels versteht und sich darin selbst erkennt, hat bestanden.
    Rhesusaffen fielen beim Test bisher durch
    Kinder absolvieren diesen Test schon im Alter von zwei Jahren erfolgreich. Aber nicht nur Menschen bestehen den Test, sondern auch Menschenaffen wie Schimpansen, ebenso Delfine, Elefanten und manche Vögel. Jedoch fallen Kraken durch, ebenso Rhesusaffen. Mu-ming Poo beschäftigt die Frage, weshalb Rhesusaffen diesen Spiegeltest nicht bestehen.
    "Affen haben diesen Test nie bestanden. In den vergangenen 40 Jahren gab es zwar diverse Tests und einige Rhesusaffen haben gelernt, den Spiegel als Werkzeug zu nutzen. Aber sie haben sich nie im Spiegel selbst erkannt. Wir haben überlegt, dass wir den Tieren vielleicht einfach nur dabei helfen müssen zu lernen, das Tier im Spiegel mit ihrem Selbst gedanklich in Verbindung zu bringen."
    Vor zwei Jahren hatte er mit einer Studie für Aufsehen gesorgt. Darin hatte er Rhesusaffen mit farbigen Lasern angestrahlt. Die Tiere sahen den Lichtstrahl auf ihrem Körper und versuchten ihn zu entfernen. Danach übte er mit den Affen vor dem Spiegel. Dort konnten die Rhesusaffen den Lichtstrahl nicht nur im Spiegel erkennen, sondern dessen Wärme auch auf der Haut spüren.
    "Nach ein paar Wochen Training haben wir die Affen samt Farbfleck im Gesicht vor einen Spiegel gesetzt und sie haben daran rumgekratzt und wollten sehen, was das ist."
    Neuer Test sollte Körperwahrnehmung schulen
    Hatten die Affen den Spiegeltest also bestanden? Nein, entgegneten viele Experten und kritisierten, dass dies bloß ein trainiertes Verhalten sei, aber keine Selbsterkenntnis. Mu-ming Poo gab nicht auf. Für die nächste Studie setzte er Rhesusaffen auf einen Stuhl und fixierte deren Kopf. Danach zeigte er ihnen im Spiegel Lichtpunkte in ihrer Reichweite, den sie berühren mussten.
    Damit versuchte der Forscher, die Körperwahrnehmung der Tiere zu schulen. Sie sollten bewusst spüren, wo sich ihre Hand befindet und verstehen, wie sich ihr Körper in bestimmten Position anfühlt – in Kombination mit dem Spiegel. Ihre Körperwahrnehmung sollten die Affen kognitiv mit dem Spiegel als Werkzeug verknüpfen.
    "Nachdem sie dieses Prinzip verstanden hatten, führten wir den klassischen Spiegeltest durch. Wir klebten ihnen erstmals Farbpunkte ins Gesicht und die Tiere haben dann nicht irgendein Gesicht im Spiegel gesehen, sondern ihr eigenes Gesicht erkannt und versucht, den Farbpunkt zu entfernen. Sie haben den Test bestanden, weil sie wussten, dass sie es sind und wo sich ihr Körper befindet."
    Nur ein paar Wochen Training reichten aus, damit die Tiere den Spiegeltest bestehen können. Damit verfügen sie, so die Schlussfolgerung, doch über eine komplexe Selbstwahrnehmung. Hat dieser Standardtest, der nur die Aussage - Selbsterkenntnis ja oder nein – erlaubt, methodische Schwächen?
    Affen bestanden den Test nach Training
    "Das ist der Punkt oder zumindest teilweise. Hundetrainer etwa behaupten ja auch, dass ein Hund eine Art Selbstbewusstsein hat. Aber kein Hund wird je diesen Spiegeltest bestehen, weil Hunde nicht begreifen, dass der Spiegel ihr eigenes Ich reflektiert."
    Mu-ming Poo geht davon aus, dass auch andere Tierarten den Test bestehen könnten, wenn man ihnen dabei hilft. Doch auch jetzt melden sich viele Kritiker. Zu ihnen gehört Lori Marino. Sie ist die Direktorin des Kimmela Center for Animal Advocacy in Utah und hat nachgewiesen, dass Delfine den Spiegeltest bestehen.
    "Ich sehe da kein spontanes, sondern nur gut trainiertes Verhalten. Die Ergebnisse sind aber dennoch interessant, weil wir immer noch nicht wissen, warum manche Tierarten den Spiegeltest bestehen, andere jedoch nicht. Klar ist: Besteht ein Tier des Test, verfügt es über eine Ich-Erkenntnis. Aber der Test zeigt nun auch: Fällt man durch den Test, ist es eben kein Beweis für die Abwesenheit jeglicher Selbsterkenntnis."
    Von dieser Entweder-oder-Entscheidung müssen sich die Neurowissenschaften wohl verabschieden, zumindest in dieser Frage herrscht Einigkeit – unabhängig davon, ob sich Rhesusaffen ihres Ichs – in welcher Form auch immer - bewusst sind oder nicht.