Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Ich bin ein Berliner"

Als der amerikanische Präsident John F. Kennedy im Juni 1963 nach West-Berlin kam, war längst klar, dass man in Washington die Politik der Konfrontation mit der Sowjetunion beenden wollte und nach Wegen einer neuen Kooperation suchte. Kennedys Berliner Auftritten gilt als Beginn dessen, was später die neue Ost- und Entspannungspolitik genannt wurde.

Von Claus Menzel | 26.06.2008
    Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, bekam eine Zigarrenkiste mit persönlicher Widmung, die Kinder hatten schulfrei, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes einen Extra-Tag Urlaub. Schließlich musste ja gewährleistet sein, dass Amerikas John F. Kennedy, als er am 26. Juni 1963 zum Abschluss einer Reise durch Deutschland auch das geteilte Berlin besuchte, hinreichend gefeiert und bejubelt wurde.

    In seinem Erinnerungsbuch "Zu meiner Zeit" schrieb Willy Brandts Freund und Ratgeber Egon Bahr:

    "Freundlich, kalt, energisch bestimmte der Pressesprecher des Weißen Hauses, in welchen unterschiedlichen Entfernungen, Höhen und in welchen Winkeln zum Rednerpult die Tribünen für das Fernsehen aufgebaut werden sollten. Wie man den Chef für Amerika ins beste Bild setzt, war wichtig und nicht, dass dadurch vielen Besuchern der Blick versperrt wurde."

    Auch habe es darüber, wer während der Fahrt im offenen Wagen durch Berlin direkt neben Kennedy sitzen werde - Willy Brandt oder Bundeskanzler Konrad Adenauer - zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung lange Streit gegeben. Und hinter den Kulissen dieses deutsch-amerikanischen Feiertags ging es keineswegs nur um Protokollfragen.
    Dem, was Kennedy vor den Delegierten eines Gewerkschaftstages in der Kongresshalle und Zehntausenden Berlinern vor dem Schöneberger Rathaus zu sagen hatte, war lange, einhellig und dankbar applaudiert worden. Seine Rede in Berlins Freier Universität aber ließ erkennen, dass sich Kanzler und Präsident über das Verhältnis zur Sowjetunion und zur DDR keineswegs einig waren. Gewiss, so Kennedy, werde Amerikas Schild Berlin auch künftig schützen.

    "Aber hinter diesem Schild darf nun nicht bloß auf der Stelle getreten und in Erwartung besserer Zeiten der Status quo aufrecht erhalten werden. In einer Situation, die eine so anspruchsvolle Aufgabe darstellt, in einer Epoche rapiden Umschwungs, hat jeder Bewohner von Westberlin die Pflicht, seinen Standort zu überdenken und zu überlegen, welches die Ziele seiner Stadt sind und wie sie erreicht werden können."

    Mit anderen Worten: Amerika steht zu seinen Verpflichtungen, wird aber Berliner Initiativen mit dem Ziel besserer Kontakte zur DDR nichts in den Weg legen. Man müsse doch, so Kennedy, endlich einmal die Wahrheit sehen.

    "Erstens nun: Was erfordert die Wahrheit? Sie verlangt von uns, dass wir den Tatsachen ins Auge sehen, dass wir uns von Selbsttäuschung freimachen, dass wir uns weigern, in bloßen Schlagworten zu denken. Wenn wir für die Zukunft dieser Stadt arbeiten wollen, dann lassen Sie uns mit den Gegebenheiten fertig werden, so wie sie wirklich sind. Nicht so, wie sie hätten sein können und nicht, wie wir uns wünschen, dass sie gewesen wären."

    Und selbst damit noch nicht genug. Anders als die Bonner hatte die amerikanische Regierung längst erkannt, dass sich das Berlin- und Deutschlandproblem am besten mithilfe direkter Kontakte zwischen der Bundesrepublik und der DDR lösen lasse - und zwar ohne jedes direkte Eingreifen der beiden Supermächte. Zwar werde bis zur Wiedervereinigung noch eine lange Zeit vergehen.

    "Aber in der Zwischenzeit verlangt die Gerechtigkeit, dass wir alles tun, um in dieser Übergangsperiode das Schicksal der Menschen auf der anderen Seite zu erleichtern und ihre Hoffnung am Leben zu erhalten. Es ist wichtig, dass für die Menschen in der öden Beengtheit östlich von uns die Verbindung mit der westlichen Gesellschaft aufrecht erhalten wird mittels aller Berührungspunkte und Verbindungsmöglichkeiten, die geschaffen werden können durch das Höchstmaß von Handelsbeziehungen, das unsere Sicherheit erlaubt."

    Willy Brandt, erinnerte sich Egon Bahr, habe bei diesen Passagen geklatscht, Konrad Adenauers Gesicht hingegen, so Bahr, "versteinerte". Rund vier Wochen später, im Juli 1963, prägte Egon Bahr die Formel vom "Wandel durch Annäherung", rund neun Jahre später, 1972, einigten sich Bundesrepublik und DDR auf einen sogenannten Grundlagen-Vertrag, rund 26 Jahre später fiel die Mauer.