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"Ich bin ein Diktator? Schön, bin ich eben ein Diktator!"

Mit der "Östlichen Partnerschaft" will die EU ihre Beziehung zu sechs Mitgliedsländern der früheren Sowjetunion verbessern. Nach langem Zögern nahm sie auch Weißrussland mit ins Boot. Fraglich ist, ob dass das Ende der westlichen Blockade gegenüber dem ungeliebten weißrussischen Autokraten Lukaschenko bedeutet.

Von Robert Baag | 05.05.2009
    Mit der Rolle des "bösen Buben" in der politischen Landschaft Europas hat Aleksandr Lukaschenko schon immer gern kokettiert:

    "Haben Sie schon mal irgendwo gehört, dass ich geschrien hätte: 'Ich bin ein Demokrat, ein Diktator oder sonst noch wer?!' - Ich bin ein ganz gewöhnlicher, normaler Mensch. Hören Sie doch auf mit diesen -ismen, diesen Demokratien und so weiter... - Ich bin ein Diktator??? Schön, bin ich eben ein Diktator! Das hat doch auch was: der letzte Diktator! Stellen Sie sich das mal vor! Wären Sie nicht hierher gefahren, wo hätten Sie in Ihrem Leben noch einmal einen treffen und mit ihm sprechen können?"

    Kein Dreivierteljahr her ist dieser Auftritt des weißrussischen Präsidenten vor in- und ausländischen Journalisten. Wieder einmal war keiner von diesmal immerhin 70 zugelassenen oppositionellen Kandidaten in das neue, aber natürlich auch weiterhin von Lukaschenko-Anhängern dominierte Parlament gewählt worden. Die Opposition fühlte sich erneut drangsaliert und behindert. Dennoch habe es im Vergleich zu früheren Wahlen Fortschritte gegeben, attestierten damals - wenn auch ein wenig zögerlich - die über 400 Beobachter, die von der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in Lukaschenkos Reich - zwischen Polen und Russland gelegen - geschickt worden waren. - Der Ton aus Brüssel hat seither beständig an Schärfe verloren. Und nun soll Weißrussland - zusammen mit fünf weiteren ehemaligen Sowjetrepubliken - sogar bei der "Östlichen Partnerschaft" mitmachen. Am Donnerstag ist deren Gründungsakt in Prag angesagt - aber wenn möglich, so die geheime Hoffnung der EU, ohne Lukaschenko. Tschechiens Staatspräsident Vaclav Klaus hat schon angekündigt, ihn offiziell zu ignorieren, käme er denn.

    Gespalten ist die schwache, untereinander zerstrittene weißrussische Opposition über die Avancen Brüssels an den seit anderthalb Jahrzehnten unangefochten regierenden Lukaschenko. Anatolij Lebedko, Vorsitzender der "Vereinigten Bürgerpartei", lehnt die EU-Initiative ab. Sie bedeute nichts anderes als die Kapitulation Europas vor dem belarussischen Regime. Anders dagegen die Bewegungen "Europäische Koalition" und die "Bewegung für die Freiheit" von Aleksandr Milinkjevitsch. Die Einladung an Weißrussland verstärke die Hinwendung zu Europa. Immerhin würden sich laut dem Entwurf des Prager Schlussdokuments alle Teilnehmer zu Demokratie, wirtschaftlicher Integration und dem Ausbau gesellschaftlicher Kontakte bekennen.
    Nun aber beginnt auf Moskauer Seite das Misstrauen gegen Lukaschenkos West-Öffnung Raum zu greifen. - Der Moskauer Außenamtssprecher Andrej Nesterenko vor wenigen Tagen:

    "Es ist uns nicht entgangen, dass die potenziellen Teilnehmer der 'Östlichen Partnerschaft' bisweilen vor eine künstliche Wahl gestellt werden: Entweder ihr seid auf Seiten der EU oder auf Seiten Russlands. So ist das bei Weißrussland vollkommen der Fall. - In Moskau hat man den Druck auf Weißrusslands innen- und außenpolitischen Kurs sehr wohl registriert."

    Vor allem verärgert es die Moskauer Führung, dass Lukaschenko immer noch nicht ihrem dringenden Wunsch gefolgt ist, die nach dem russisch-georgischen Krieg im vergangenen August von Tiflis losgesagten Territorien Südossetien und Abchasien, so wie der Kreml, als unabhängige Staaten anzuerkennen. - Lukaschenko hat darauf bis jetzt geschmeidig reagiert. "Wir wollen mit Russland zusammen und mit Europa befreundet sein", sagte er noch jüngst vor dem Parlament in Minsk. Er weiß zudem, dass Weißrussland als Öl- und Gas-Transitland für Moskau wichtig ist und bleibt. Deswegen, so sind sich nicht nur Oppositionelle in Minsk sondern auch Politologen in Moskau sicher, wird Lukaschenko wie bisher versuchen, vom Interesse Russlands und jetzt auch vom neuen Interesse Europas an seinem Land finanziell maximal zu profitieren und beide Seiten - je nach Erfordernis - gegeneinander auszuspielen versuchen. - Der Moskauer Politologe Stanislav Belkovskij ist sich gewiss:

    "Aleksandr Lukaschenko fühlt sich mit Dmitrij Medwedew und Wladimir Putin weder befreundet noch verwandt, sondern ist deren geschworener Feind. Er sucht sich heute andere Verbündete. Die weißrussisch-russische Union existiert nur noch auf dem Papier und ist - an der aktuellen Wirklichkeit gemessen - als geopolitisches Auslaufmodell zu bewerten. Die russischen Kredite an Minsk sollen lediglich die Zahlungsfähigkeit eines wichtigen Transitlandes gewährleisten. Politisch gewinnt auf diese Weise Weißrussland - ökonomisch: Gazprom."

    Teil drei am Mittwoch in Europa heute:
    Georgien und die EU nach dem Kaukasuskrieg