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"Ich bin ein Fass"

Ein streitbarer Tiroler war Norbert C. Kaser allemal, erst nach seinem Tod gewann er einen gewissen Einfluss über die Grenzen seiner Heimat hinaus. Nun erscheint ein großer Teil seines Werkes als Taschenbuch.

Von Matthias Kußmann | 19.08.2013
    "waer ich doch ein fisch
    laege vergiftet im wasser
    zur trauer den weibern
    waer ich ein weitentfernter
    vietnams
    verfault im reis
    zur freude den maennern
    waer ich ein totgesoffner
    am innsbrucker bahnhof

    alles waer ich gern
    nur nicht bei euch
    waer ich nur ein toter taxilenker
    waer ich nur ein rentnermoerder
    waer ich nur ein kinderschaender
    waer ich nur student

    alles
    nur nicht bei euch"


    Der Anfang eines Gedichts, das Norbert C. Kaser um 1970 schreibt. Er sympathisiert mit der 68er-Bewegung und tritt später in die Kommunistische Partei ein – allerdings in Südtirol, weitab der studentenbewegten Metropolen. Und sein Protest gegen die Väter und den Kapitalismus ist nicht, wie damals häufig, modische Pose, sondern innere Notwendigkeit. Kaser ist Zeit seines kurzen Lebens ein Außenseiter. 1947 in ärmlichen Verhältnissen unehelich geboren, von der Großmutter verteufelt, der Vater machte sich aus dem Staub.

    "das gehoeft

    brenn vaterhaus brenn
    brenn großmutterhaus
    das vieh ist heraus
    sogar die henn

    die verrueckten schweine
    blendet das licht
    gellend faellt der hof
    in sich
    brenn zu asche
    nordwind
    vertreibs

    brenn vaterhaus brenn
    brenn großmutterhaus
    das vieh ist heraus
    & auch die henn"


    Kaser fällt gleich zweimal durch die Matura-Prüfung. Den dritten Anlauf macht er in einem Kapuziner-Kloster, wo er versucht, Brecht als Lektüre durchzusetzen, und erstmals eigene Texte liest. Wie die Brüder reagierten, ist nicht bekannt, jedenfalls verlässt er den Orden nach einem halben Jahr – mit der Matura. Dennoch ist Kaser, auch das ungewöhnlich bei 68ern, ein gläubiger Christ – allerdings ein kritischer. 1976 tritt er aus der Kirche aus.

    "da ich ein religiöser mensch bin, trete ich aus der katholischen kirche aus. (…) versuchen Sie nicht mir nachzulaufen oder mich zu belaestigen wie das verirrte schaf – lassen Sie meinetwegen Ihre ewig opfernde lammfromme herde ja auch nur keinen augenblick lang unbehuetet. – mit keinerlei hochachtung …"

    Kaser studiert Kunstgeschichte, bricht es ab und arbeitet als Hilfslehrer in kleinen südtiroler Bergschulen, wo er selbst Texte für die Schüler schreibt, weil er Lehrbüchern misstraut. Er ist Mitte 20 und Alkoholiker, die Weinflasche steht beim Unterricht auf dem Pult. Da hat er bereits erste eigene Gedichte publiziert – in kleinen handgemachten Bändchen, eines heißt "Probegesaenge", eines "20 Collagen und 20 Fuerze". In die literarischen Karten schauen lässt er sich weder damals noch später. Durch Zufall ist ein kurzes Radiogespräch mit ihm erhalten geblieben. Kaser ist 30 und als Autor völlig unbekannt, noch ist kein Buch von ihm in einem Verlag erschienen.

    "Ich bin grundsätzlich gegen Werkstattgespräche. Warum ich irgendwie was schreibe und dass ich etwas schreibe, das soll man bitte mir selber überlassen. Ich möchte auch keine Erklärungen abgeben über dieses oder jenes. Wer´s versteht – ist gut und recht. Wer´s nicht versteht – tut mir Leid."

    Seine südtiroler Autorenkollegen und ihre süßliche Heimatdichtung verspottet er – Kaser orientiert sich an der Weltliteratur. Er liest und liest, vor allem amerikanische Beatpoeten, dann Charles Olson und Robert Creeley. Wie sie nutzt er eine einfache Sprache, Alltagsjargon, Kraftausdrücke, rhythmische Wiederholungen und ungewöhnliche Metaphern. Er verdichtet seine Texte immer mehr, manchmal nähern sie sich dem Haiku, freilich einem bitteren. Wie hier, wenn im letzten Vers die anfängliche Idylle in existentielle Gefährdung umkippt:

    "ueber dem meer
    in fuelle der mond
    die luft ein
    schnitt am hals"


    Dieses Gedicht steht in Kasers Handschrift auf der Umschlag-Rückseite des Bandes "herrenlos brennt die sonne", mit dem der Haymon Verlag an den Autor erinnert. Kasers Handschrift ist klar, fast kindlich einfach.

    "des esels tod

    mein esel mein esel
    warum bist du so tot
    zucker bring ich dir
    in diesem seltnen fall
    & tausend kuesse von mir
    im frischgestreuten stall"


    Das Taschenbuch, knapp 180 Seiten, enthält vor allem Gedichte – sie sind das Hauptwerk von Kaser –, doch auch Reisebilder, Autobiografisches und Prosa. In einigen Texten, die er für seine Schüler schreibt, erzählt er historische Begebenheiten oder mythologische Stoffe. Er nutzt darin eine betont einfache, derbe, dem mündlichen nahe Sprache, die die Kinder sicher gut verstanden – etwa in seiner Version des griechischen Mythos von Herakles und Augias. Herakles soll die riesigen Ställe von Augias ausmisten – in nur einem Tag, was eigentlich kaum geht.

    "da wird der herakles zornig und er steht auf und will dem koenig eine ordentliche hinunterhauen aber er laeßts bleiben und haut nur auf den tisch bis er tanzt. ‚du saukerl von einem koenig, da werden wir schauen … morgen zum mittagessen kannst du im kuhstall auf dem boden das mahl anrichten, so sauber wird’s sein, du esel!‘"

    Herakles löst die Aufgabe nicht durch Muskelkraft, sondern durch Denken. Er leitet einen Fluss in den Stall, der allen Dreck wegspült. Und die südtiroler Bauernkinder lernen ohne gereckten Zeigefinger, dass sich Nachdenken lohnt, dass man keine Angst vor sogenannten Autoritäten haben muss und dass sich Tiere freuen, wenn sie einen sauberen Stall haben.

    "die ersten kuehe waelzen sich vor freude und bruellen, die schweine laufen quietschend davon. Um halbzehn glaenzt der ganze stall."

    Immer wieder versucht sich Kaser in kurzen Prosastücken über sein eigenes Leben und Schreiben klar zu werden. Auch dafür gibt es ein beeindruckendes Beispiel im vorliegenden Auswahl-Band. "warum gerade brixen?" heißt der Text, in dem der Autor in gespielt naivem Ton über seinen Geburtsort nachdenkt, der ihm niemals Heimat war, über seine uneheliche Geburt und die Jahre bei den "grauen Schwestern" in einem Nonnenkloster, wohin ihn seine Mutter als Kind gegeben hatte.

    "die zeiten waren nicht die besten, aber alois, zu olang ein metzger ohne rechtschreibkenntnisse geworden, versorgte in allem frieden unsere familie mit fleisch & nahrungsmitteln, die zum großteil die grauen schwestern selber fraßen. Diese nonnen ließen mich tagelang in nassen windeln liegen, bis mein kleiner hintern fleischig war & man mich nach kastelruth in pflege gab. Dort traf mich die englische krankheit, dass mein ueberschwerer kopf nur so baumelte …"

    Am Ende des Textes steht eine lakonische und Kaser-typische Volte – plötzlich wendet sich, ob ironisch oder nicht, mag der Leser entscheiden, alles zum Guten.

    "meine tanten liebten mich & meine großmutter hatte spaeter keinen lieberen enkel als mich. Das ist vorlaeufig alles."

    Kaser soll häufig Briefe und Postkarten an sich selbst geschickt haben, auf denen manchmal nur ein einziges Wort stand. Einmal war es eine Karte mit Giottos Bild "Auferstehung des Lazarus". Auf die Rückseite notierte er nur das Wort: "hoffentlich". -- Mit 28 muss er, schwer leberkrank, zum Alkoholentzug in die Psychiatrie.

    "es ist ein gutes spital mit vielen freiheiten – so viele freiheiten, dass man die vergitterten fenster erst richtig spuert."

    Nach dem Entzug beginnt er wieder zu trinken. Am 21. August 1978, mit 31 Jahren, stirbt Norbert C. Kaser an einem Lungenödem als Folge von Leberzirrhose, mit grotesk aufgequollenem Leib. Sein letztes Gedicht lautet:

    "ich krieg ein kind
    ein kind krieg ich
    mit rebenrotem kopf
    mit biergelben fueßen
    mit traminer goldnen haendchen
    & glaesernem leib
    wie klarer schnaps

    zu allem lust
    und auch zu nichts
    ein kind krieg ich
    es schreiet nie
    lallet sanft
    ewig sind
    die windeln von dem kind
    feucht & nass

    ich bin ein faß"


    Ein Jahr nach Kasers Tod erscheint die erste Auswahl seiner Werke. Mehrere Verlage erinnern im Lauf der Jahrzehnte an ihn, darunter Diogenes, die Friedenauer Presse, dann Haymon mit einer dreibändigen Werkausgabe. Er wird jedes Mal von den Feuilletons wiederentdeckt und bald darauf vergessen. Höchste Zeit also, Kasers widerborstige, zugleich poetische Texte neu zu lesen und im Gedächtnis zu behalten.

    "kakteen
    (…)
    bluehen ist ihre staerke nicht

    werft sie vom fenster
    und mich dazu
    mein fallen mit toenernen toepfen
    ist mir musik"



    Norbert C. Kaser: herrenlos brennt die sonne
    Gedichte und Prosa. Hrsg. von Petra Nachbaur und Benedikt Sauer. Haymon Verlag, 176 Seiten, 9,95 Euro, ISBN 978-3852189369

    Weitere lieferbare Bücher, alle bei Haymon:
    Norbert C. Kaser: Gedichte. Gesammelte Werke Band 1, 28 Euro
    - Prosa. GW 2, 32,90 Euro
    - Briefe. GW 3, 28 Euro
    Benedikt Sauer: Norbert C. Kaser. Eine Biografie, 26,90 Euro
    Raoul Schrott (Hrsg.): N. C. Kaser elementar. Ein Leben in Texten und Briefen, 16,90 Euro