Was aber macht Schneiders Kurzprosa so elegant, wenn er über Klaus Mann und Gustav Gründgens, über Bert Brecht und Ruth Berlau, über Ingeborg Bachmann und Max Frisch schreibt, um die bekanntesten Konstellationen herauszugreifen? Es ist die Fülle des Verschwiegenen. Kein Stück länger als fünfzehn Buchseiten, enthält doch jedes eine komprimierte Epochendarstellung, manchmal in ein, zwei Sätzen kondensiert oder en passant in den Text eingewoben. Schneider weiß viel mehr, als er ausschreibt, und das ist eine Verbeugung vor dem Leser (wir erinnern uns: dem Tageszeitungsleser), den er für weitaus gebildeter und erheblich weniger dumm hält, als das Redaktionen für gewöhnlich tun. Ja, er traut ihm sogar den Griff zum Nachschlagewerke zu, nicht aus elitärem Hochmut, sondern weil sein Gestus manchmal nach Worten verlangt, die selbst der aktuelle Fremdwörterduden nicht mehr aufführt, "Sordonie" zum Beispiel, versuchen Sie Ihr Glück! In der Beschreibung des eskalierenden Streits zwischen Heine und Börne, der bekanntlich im Duell endete, erzeugt diese sprachliche Entrückung genau das, was sie wohl meint: den gedämpften Ton.
Nicht allzu häufig beschert das Rezensentenleben mit seinem Fluch der Wiederholung solche Momente: Daß man Geschichten, die man so oder ähnlich andernorts gelesen hat, ein zweites Mal goutiert, weil sich die Zubereitung unnachahmlich vom Vorangegangenen unterscheidet. Das mag den warmen Ton der Empfehlung verständlich machen und gleichzeitig die Verwunderung erklären, die sich beim Blick ins "Verzeichnis lieferbarer Bücher" einstellt. Rolf Schneider - zu DDR-Zeiten ein Autor, der östlich und westlich der Elbe viel gelesen wurde - hat von der Wiedervereinigung ganz offensichtlich nicht profitiert; was um so mehr verwundert, als er schon die Jahre zuvor im westdeutschen Kulturbetrieb integriert schien. Hohe Zeit, ihn wiederzuentdecken, damit sich die Aufschrift auf seiner kleinen Pralineeschachtel nicht auf andere Weise gegen ihn wendet. Zu schreiben, obwohl man nicht mehr gehört wird, gleicht der Liebe, die niemand erwidert: "Ich bin ein Narr und weiß es".