"Ich bin keine Sängerin. Ich fühle mich nicht so. Ich bin auch keine Musikerin. Natürlich mache ich Musik, aber nur, weil ich spiele. Ich bin wirklich eine Schauspielerin, die singt."
Wenig Sängerinnen und Sänger würden so über sich selbst und ihre Arbeit sprechen, wie Natalie Dessay es tut. Die französische Sopranistin ist gnadenlos ehrlich: Singen ist für sie Hochleistungssport. Und auf der Bühne zu stehen und zu singen ohne zu spielen, das gilt für sie nicht viel. Auch auf ihrer neuesten Platte ist dieser Enthusiasmus zu spüren: Gemeinsam mit Concerto Köln hat sie italienische Opernarien aufgenommen: Frauengestalten, die auf dem Altar sozialer Konventionen geopfert werden. Diese Aufnahme möchte ich Ihnen heute vorstellen. Am Mikrofon begrüßt Sie Falk Häfner.
"Sempre Libera” aus Verdis "La traviata”, gesungen von Natalie Dessay. Und wie die Violetta, so scheint auch sie, die Dessay, eine Getriebene zu sein, scheint sie eilen zu müssen von Höhepunkt zu Höhepunkt. Im Herbst erst erschien Bellinis "Sonnambula" mit ihr in der Hauptpartie; kurz vor Weihnachten nun kam das Album mit italienischen Arien heraus, das Natalie Dessay erst im Sommer gemeinsam mit Concerto Köln und dem Dirigenten Evelino Pidò aufgenommen hat. Mit der "Traviata" erfüllt sich die Sopranistin einen Traum. Sie selbst weiß, dass die extrem anspruchsvolle Partie der Violetta grenzwertig für ihre Stimme ist; dass es ihr dabei an stimmlicher Dramatik und Durchschlagskraft fehlen könnte, die neben den Koloraturen und den lyrischen Passagen von Nöten ist.
Dennoch: Natalie Dessay wagt es; nicht zuletzt, weil diese Rolle sie auch spielerisch fordert. Die Aufnahme war ein Test - ein gelungener Test. Ihre Violetta ist eine leichtfüßige, eine zierliche und doch überzeugend agierende. Doch bei einer Aufnahme ist Vieles möglich - aber live ist live. Spannend wird es 2009. Dann folgt im amerikanischen Santa Fee ihr Rollendebüt auf der Bühne, später wird sie damit auch in Aix en Provence zu erleben sein.
Aber woher kommt dieser Mut zum Wagnis? Vermutlich speist er sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre, die die Sängerin haben reifen lassen: Im Jahr 2000 zwang sie eine Stimmband-Operation, zu pausieren. Die Folge des Eingriffs: Die extremen Spitzentöne hat die Sängerin verloren - dafür gewann ihre Stimme an Tiefe. Damit hat Natalie Dessay gelernt umzugehen. Partien wie die Königin der Nacht aus Mozarts "Zauberflöte", die Susanna aus seiner "Hochzeit des Figaro" oder die Olympia in "Hoffmanns Erzählungen" von Offenbach, mit denen sie Anfang der 90er auf den großen Bühnen von Wien und Paris reüssierte, sind für sie passé. Traurig ist sie darüber nicht. Ohnehin boten ihr diese Partien zu wenig Raum zum Spielen.
Natalie Dessay ist eine Perfektionistin. Was sie macht, möchte sie hundertprozentig abliefern. Das gilt auch für die Treue zum Notentext. Eigentlich war die Partie der Lucia für einen lirico-spinto-Sopran gedacht, nicht für einen lyrischen Koloratursopran. Aber das Werk wurde nach seiner Uraufführung 1835 schnell so populär, dass auch Sängerinnen aus dem Koloraturfach die Lucia sangen. So auch Natalie Dessay seit 2002. Es ist eine der Paraderollen für die Dessay geworden, wenn sie als Lucia den ihr aufgezwungenen Ehemann erdolcht und danach im Wahn von ihrem eigentlichen Liebsten fantasiert. In der vorliegenden Aufnahme folgt Concerto Köln hierbei der Originalpartitur, indem Lucia von einer Glasharmonika statt von einer Flöte begleitet wird. Das verleiht der Szene etwas wahnhaft-entrücktes - ein mystischer Effekt, den man sich auch im Opernhaus wünschte.
Ganze sechs Wochen hat Gaetano Donizetti gebraucht, um "Lucia di Lammermoor" zu schreiben. Wie ihn, gab es unzählige Komponisten, die Opern für italienische Bühnen schrieben. Oper - das war die Unterhaltungsgattung für das italienische Publikum. Nicht wenige der Komponisten beschränkten sich dabei auf solides Handwerk und kreiierten Bühnenwerke, die schnell wieder abgespielt waren und in Vergessenheit gerieten. Natalie Dessay nun hat auf ihrem Album mit italienischen Arien Partien zusammengestellt, die die Zeiten überdauert haben: Ihre Auswahl reicht von Verdis "La Traviata" über Donizettis "Maria Stuarda" und der "Lucia die Lammermoor" bis hin zu Bellinis "I puritani". Auch wenn Natalie Dessays Sopran in extrem hohen Lagen dabei gelegentlich etwas an Schärfe bekommen hat, so macht sie doch alles wett durch die bestechenden lyrischen Momente, in denen die Stimme so beweglich wie immer ist, in unzähligen Farben schillert, aus dem Nichts erscheint oder unmerklich verlischt.
Concerto Köln bereitet dafür den Boden. Die Musiker dieses Originalklangorchesters entwickeln einen durchsichtigen, vibratoarmen, fast zurückgenommenen Sound, der aber weder spröde und rauh wirkt, noch die Stimme jemals überdeckt - ideal für das Timbre von Natalie Dessay. Dazu kommt ein Raumklang, der sich mehr an einem großen Konzertsaal orientiert als an der trockenen Akustik der meisten Opernhäuser.
Dass Natalie Dessay dabei vor allem mit dem Herzen singt, das hört man und das fühlt man. Auch bei ""I Capuleti e i Montecchi" von Vincenzo Bellini - gewiß nicht dessen großartigste Oper, jedoch mit der ergreifenden und schlichten Arie "Oh quante volte", bei der Julia verzweifelt an die bevorstehende Hochzeit mit Tybalt denkt, sich aber nach Romeo sehnt ...
"Oh quante volte” aus Vinzenzo Bellinis Oper "I Capuleti e i Montecchi” - da war eine Aufnahme mit der französischen Sopranistin Natalie Dessay. Sie hat jetzt eine neue Platte mit Italienischen Opernarien herausgebracht. Begleitet wird sie dabei von Concerto Köln und dem Dirigenten Evelino Pidó. Die sängerischen Partner an Ihrer Seite sind Roberto Alagna, Franck Ferrari, Matthew Rose und Wolfgang Klose. Bei virgin classics ist das Album herausgekommen. Eine Empfehlung von Falk Häfner, der sich damit verabschiedet.
Natalie Dessay
Album: "Italian Opera Arias"
(virgin classics 0946 395243 2 7; LC: 07873)
Wenig Sängerinnen und Sänger würden so über sich selbst und ihre Arbeit sprechen, wie Natalie Dessay es tut. Die französische Sopranistin ist gnadenlos ehrlich: Singen ist für sie Hochleistungssport. Und auf der Bühne zu stehen und zu singen ohne zu spielen, das gilt für sie nicht viel. Auch auf ihrer neuesten Platte ist dieser Enthusiasmus zu spüren: Gemeinsam mit Concerto Köln hat sie italienische Opernarien aufgenommen: Frauengestalten, die auf dem Altar sozialer Konventionen geopfert werden. Diese Aufnahme möchte ich Ihnen heute vorstellen. Am Mikrofon begrüßt Sie Falk Häfner.
"Sempre Libera” aus Verdis "La traviata”, gesungen von Natalie Dessay. Und wie die Violetta, so scheint auch sie, die Dessay, eine Getriebene zu sein, scheint sie eilen zu müssen von Höhepunkt zu Höhepunkt. Im Herbst erst erschien Bellinis "Sonnambula" mit ihr in der Hauptpartie; kurz vor Weihnachten nun kam das Album mit italienischen Arien heraus, das Natalie Dessay erst im Sommer gemeinsam mit Concerto Köln und dem Dirigenten Evelino Pidò aufgenommen hat. Mit der "Traviata" erfüllt sich die Sopranistin einen Traum. Sie selbst weiß, dass die extrem anspruchsvolle Partie der Violetta grenzwertig für ihre Stimme ist; dass es ihr dabei an stimmlicher Dramatik und Durchschlagskraft fehlen könnte, die neben den Koloraturen und den lyrischen Passagen von Nöten ist.
Dennoch: Natalie Dessay wagt es; nicht zuletzt, weil diese Rolle sie auch spielerisch fordert. Die Aufnahme war ein Test - ein gelungener Test. Ihre Violetta ist eine leichtfüßige, eine zierliche und doch überzeugend agierende. Doch bei einer Aufnahme ist Vieles möglich - aber live ist live. Spannend wird es 2009. Dann folgt im amerikanischen Santa Fee ihr Rollendebüt auf der Bühne, später wird sie damit auch in Aix en Provence zu erleben sein.
Aber woher kommt dieser Mut zum Wagnis? Vermutlich speist er sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre, die die Sängerin haben reifen lassen: Im Jahr 2000 zwang sie eine Stimmband-Operation, zu pausieren. Die Folge des Eingriffs: Die extremen Spitzentöne hat die Sängerin verloren - dafür gewann ihre Stimme an Tiefe. Damit hat Natalie Dessay gelernt umzugehen. Partien wie die Königin der Nacht aus Mozarts "Zauberflöte", die Susanna aus seiner "Hochzeit des Figaro" oder die Olympia in "Hoffmanns Erzählungen" von Offenbach, mit denen sie Anfang der 90er auf den großen Bühnen von Wien und Paris reüssierte, sind für sie passé. Traurig ist sie darüber nicht. Ohnehin boten ihr diese Partien zu wenig Raum zum Spielen.
Natalie Dessay ist eine Perfektionistin. Was sie macht, möchte sie hundertprozentig abliefern. Das gilt auch für die Treue zum Notentext. Eigentlich war die Partie der Lucia für einen lirico-spinto-Sopran gedacht, nicht für einen lyrischen Koloratursopran. Aber das Werk wurde nach seiner Uraufführung 1835 schnell so populär, dass auch Sängerinnen aus dem Koloraturfach die Lucia sangen. So auch Natalie Dessay seit 2002. Es ist eine der Paraderollen für die Dessay geworden, wenn sie als Lucia den ihr aufgezwungenen Ehemann erdolcht und danach im Wahn von ihrem eigentlichen Liebsten fantasiert. In der vorliegenden Aufnahme folgt Concerto Köln hierbei der Originalpartitur, indem Lucia von einer Glasharmonika statt von einer Flöte begleitet wird. Das verleiht der Szene etwas wahnhaft-entrücktes - ein mystischer Effekt, den man sich auch im Opernhaus wünschte.
Ganze sechs Wochen hat Gaetano Donizetti gebraucht, um "Lucia di Lammermoor" zu schreiben. Wie ihn, gab es unzählige Komponisten, die Opern für italienische Bühnen schrieben. Oper - das war die Unterhaltungsgattung für das italienische Publikum. Nicht wenige der Komponisten beschränkten sich dabei auf solides Handwerk und kreiierten Bühnenwerke, die schnell wieder abgespielt waren und in Vergessenheit gerieten. Natalie Dessay nun hat auf ihrem Album mit italienischen Arien Partien zusammengestellt, die die Zeiten überdauert haben: Ihre Auswahl reicht von Verdis "La Traviata" über Donizettis "Maria Stuarda" und der "Lucia die Lammermoor" bis hin zu Bellinis "I puritani". Auch wenn Natalie Dessays Sopran in extrem hohen Lagen dabei gelegentlich etwas an Schärfe bekommen hat, so macht sie doch alles wett durch die bestechenden lyrischen Momente, in denen die Stimme so beweglich wie immer ist, in unzähligen Farben schillert, aus dem Nichts erscheint oder unmerklich verlischt.
Concerto Köln bereitet dafür den Boden. Die Musiker dieses Originalklangorchesters entwickeln einen durchsichtigen, vibratoarmen, fast zurückgenommenen Sound, der aber weder spröde und rauh wirkt, noch die Stimme jemals überdeckt - ideal für das Timbre von Natalie Dessay. Dazu kommt ein Raumklang, der sich mehr an einem großen Konzertsaal orientiert als an der trockenen Akustik der meisten Opernhäuser.
Dass Natalie Dessay dabei vor allem mit dem Herzen singt, das hört man und das fühlt man. Auch bei ""I Capuleti e i Montecchi" von Vincenzo Bellini - gewiß nicht dessen großartigste Oper, jedoch mit der ergreifenden und schlichten Arie "Oh quante volte", bei der Julia verzweifelt an die bevorstehende Hochzeit mit Tybalt denkt, sich aber nach Romeo sehnt ...
"Oh quante volte” aus Vinzenzo Bellinis Oper "I Capuleti e i Montecchi” - da war eine Aufnahme mit der französischen Sopranistin Natalie Dessay. Sie hat jetzt eine neue Platte mit Italienischen Opernarien herausgebracht. Begleitet wird sie dabei von Concerto Köln und dem Dirigenten Evelino Pidó. Die sängerischen Partner an Ihrer Seite sind Roberto Alagna, Franck Ferrari, Matthew Rose und Wolfgang Klose. Bei virgin classics ist das Album herausgekommen. Eine Empfehlung von Falk Häfner, der sich damit verabschiedet.
Natalie Dessay
Album: "Italian Opera Arias"
(virgin classics 0946 395243 2 7; LC: 07873)