Freitag, 19. April 2024

Archiv


Ich bin ganz Totem und Tabu

Vor 100 Jahren schrieb Sigmund Freud seine faszinierende Schrift "Totem und Tabu". Die Sendung berichtet von ihrer wechselvollen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Welche Denkaufgabe stellte sich Freud, als er von "Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker" sprach?

Von Manfred Bauschulte | 25.02.2012
    Wie übertrug er den "Familienroman der Neurotiker" auf die menschliche Frühgeschichte und die Totemreligion der "Wilden"?

    Schrittweise erzählt die Sendung einen kulturhistorischen Detektivroman.

    Freud wollte nämlich nachweisen, dass in der Frühzeit der allmächtige Vater von den Rivalen um die Frauen des Stammes, den eigenen Söhnen, ermordet und in einem Fest verzehrt wurde.

    Vom Vatermord spannt die Sendung einen weiteren Bogen zu Freuds Ideal der Vaterlosigkeit, das in Elementen der Mosesgestalt der jüdischen Religion und der Mosesstatue des Bildhauers Michelangelo sichtbar wird.

    In der ersten Stunde berichtet der Ethnologe Karl Heinz Kohl (Direktor des Frankfurter Frobenius-Instituts über die Herkunft und Bedeutung der Begriffe "Totem und Tabu", die vor Freud im Deutschen überhaupt noch nicht geläufig waren.

    In der zweiten Stunde gibt der Psychoanalyse-Historiker Bernd Nitzschke umfassend Auskünfte über den "Familienroman der Neurotiker" und schildert jene Patientengeschichten Freuds, die von Vater-Sohn-Konflikten handelten. Freud gab den Individualgeschichten nämlich eine kollektive Erklärung. Er wollte den Beweis führen, dass in der menschlichen Frühzeit der allmächtige Vater von den Rivalen um die Frauen des Stammes, den eigenen Söhnen, ermordet und in einem Fest verzehrt wurde.

    Die dritte Stunde fragt im Gespräch mit dem Berliner Religionsphilosophen Klaus Heinrich nach der aktuellen Bedeutung von "Totem und Tabu". In der Ausrichtung der Psychoanalyse Freuds auf die kollektive Geschichte der Menschen sieht Heinrich die Ansätze zu einer Gattungsanalyse, die im 21. Jahrhundert nötig denn je erscheint, um vor Selbstzerstörung zu bewahren.

    Abschließend spannt die Sendung vom Vatermord einen Bogen zu Freuds Ideal der Vaterlosigkeit, das in Elementen der Mosesgestalt der jüdischen Religion und der Mosesstatue des Bildhauers Michelangelo sichtbar wird.

    Zitierte und verwendete Literatur:


    Sigmund Freud, Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. Einleitung von Mario Erdheim. Frankfurt/M. 1991, neunte, unveränderte Auflage 2009.

    Sigmund Freud, Schriften zu Kunst und Literatur. Frankfurt/M., 1987.

    Sigmund Freud, Kulturtheoretische Schriften. Frankfurt/M., 1986

    Ernest Jones, Sigmund Freud. Leben und Werk. Drei Bände, München 1984.

    Emile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt/M., 2007.

    Klaus Heinrich, Dahlemer Vorlesungen. 7 Bände (seit 1981), Basel - Frankfurt/M..

    Thomas Mann, Die Erzählungen. Frankfurt/M., 2005.

    Sigmund Freud / Sandor Ferenczi - Briefwechsel. Bände I, 1 (1908-1911) und I, 2 (1911-1914) Wien, 1993.

    Sigmund Freud / Carl Gustav Jung - Briefwechsel. Frankfurt/M., 1974.

    Sigmund Freud / Lou Andreas-Salome - Briefwechsel. Frankfurt/M., 1966.

    Franz Kafka, Brief an den Vater. Faksimile. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Joachim Unseld. Frankfurt/M., 1994.

    Daniel Paul Schreber, Denkwürdigkeiten eines Geisteskranken. Frankfurt/M. - Berlin - Wien, 1973.

    Manfred Bauschulte: "Über das Ende der neolithischen Revolution"
    Gespräche und Versuche mit Klaus Heinrich
    Klever 2012