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"Ich bin kein Lehrer, der nur für Migranten zuständig ist"

Gelsenkirchen-Horst ist vom Zechensterben gebeutelt. Ein Großteil der Einwohner ist zugewandert, hier leben viele "bildungsferne" Familien – auch viele deutsche. Kein leichtes Umfeld für die Gesamtschule Horst. Doch sie arbeitet erfolgreich, und trägt das "Gütesiegel individuelle Förderung".

Von Stephanie Kowalewski | 05.06.2010
    "Guten Morgen zusammen."

    Auf dem Studenplan der Oberstufe steht Türkisch als Hauptfach. Abbas Mordeniz hat seinen Schülern das Gedicht "Max und Gülestan" mitgebracht. Doch bevor sie darüber reden, möchte er von den Schülern wissen, unter welchen Kriterien sie ihren Partner aussuchen würden.

    Die 18-jährige Gizen meint, dass es egal ist, welche Haarfarbe der Partner hat, das aber seine Augen wichtig sind. Die Atmosphäre ist locker, die Schüler reden offen und lachen viel. Das liegt auch an Abbas Mordeniz. Der 35-jährige Lehrer für Türkisch, Sport und Mathematik ist sehr beliebt und - wie viele hier sagen – einer von ihnen. Er war 15, als er aus der Türkei nach Deutschland kam, einem fremden Land mit einer fremden Sprache.

    "Musste öfters umziehen, daher musste ich immer die Schulen wechseln. Das war nicht einfach, die Zeit. Aber irgendwie hab ich das geschafft. Dank der lehrer, die ich damals hatte. Und daher wollte ich auch immer Lehrer werden, weil sie mich so unterstützt haben, dass ich gesagt habe, dass muss du irgendwann wieder zurückgeben."

    In der Gesamtschule Horst hat er schließlich sein Refendariat gemacht und ist geblieben. Er ist Klassen – und Vertauenslehrer, engagiert sich im Integrationsauschuss und setzt sich für die Förderung von Zuwanderern ein.

    "Ich bin kein Lehrer, der nur für Migranten zuständig ist, ich habe eine Klasse und ich bin auch für deutsche Kinder zuständig. Ich möchte für alle da sein."

    Und die Schüler – ganz gleich welcher Nationalität – finden es gut und inzwischen auch selbstverständlich, dass es nicht nur deutsche Lehrer an ihrer Schule gibt, sagen Gianna, Murat, Serife und Lena.

    "Ist halt Türke, aber sonst ist das wie bei deutschen Lehrern halt. Ich sehe da keinen Unterschied. / Also wenn ich zum Beispiel über den Pausenhof laufe und ich sehe den Herrn Mordeniz, dann - ja wie soll ich sagen – dann bin ich auch etwas stolz, weil das es sozusagen einer von uns geschafft hat und ich möchte selber auch eines Tages Lehrer werden./ Für mich wäre es halt komisch, wenn es nur deutsche Lehrer geben würde./ Ist schon vorteilhaft für alle Seiten.""

    Gut 1000 Schüler gehen auf die Gesamtschule Horst. Die meisten sind Deutsche, doch es gibt auch Türken, Polen, Russen, Italiener, Kroaten, Griechen, Spanier und, und, und.

    "Es sind 19 Nationen, ganz vielfältig. Die größte Gruppe, das sind sicherlich die türkischstämmigen Schüler."

    Deshalb freut sich die didaktische Leiterin der Schule, Gudrun Loose, darüber, dass seit einigen Jahren von gut 90 Lehrern zehn einen Migrationshintergrund haben.

    "Und seitdem hat sich – trotz Zunahme der Schüler mit Migrationshintergrund – ganz viel entschärft. Die Probleme sind geringer geworden."

    Auch weil die türkischen Lehrer viele zusätzliche Aufgaben übernehmen. Abbas Mordeniz übersetzt Briefe an die Eltern, dolmetscht in Gesprächen oder führt Telefonate für seine Kollegen mit Eltern, die nicht ausreichend Deutsch sprechen. Doch noch viel wichtiger, sagt Gudrun Loose, sind die türkischstämmigen Lehrer, wenn es Probleme gibt.

    "Bei Konflikten in den Familien. Das ist ganz, ganz wichtig, weil da lassen die uns an bestimmte Dinge nicht ran. Der türkische Kollege oder die türkische Kollegin, die kommen da viel eher ran. Und da brauchen wir die also dringend. Und Jugendliche in der Pubertät, auch wenn die Mädchen einen Freund haben etc., da sind wir wirklich drauf angewiesen, weil diese Gespräche, die können wir vielfach so nicht führen."

    In solchen Situationen ist es eben hilfreich, bestätigen auch die Schüler Gizen und Can, dass ihr Lehrer ihre Muttersprache spricht und die türkische Kultur aus eigener Erfahrung kennt.

    "Ich hab viele deutsche Freunde, ich verstehe mich auch mit vielen deutschen Lehrer gut, aber wenn was ist, also was richtig wichtiges, dann würde ich wirklich Herr Mordeniz bevorzugen/ So ein Lehrer weiß dann, wie die kulturellen Verhältnisse sind und was man sich erlauben kann, und was nicht. Und da fühle ich mich schon in der Schule aufgehoben."

    Das Vertrauen der Schüler macht Abbas Mordeniz stolz, ebenso wie die Tatsache, dass er gerade für die türkischen Schüler ein Vorbild ist, doch es ist auch eine Bürde, sagt er nachdenklich.

    " Man hat sehr viel Verantwortung hier. Man wird in einer Rolle gedrängt, man sagt, du bis dafür verantwortlich. Ich mache es gerne und bin auch gerne Vorbild, aber manchmal fühlen wir uns auch überfordert, weil Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte das alleine nicht bewältigen können."

    Sagt es und tippt einen Elternbrief – auf Türkisch - für eine Kollegin. Gudrun Loose schätzt das Engagement des jungen Lehrers, weiß aber auch, dass sie ihn hin und wieder etwas bremsen muss.

    " In der Schulleitung fällt oft der Satz, wir müssen auf Herrn Mordeniz aufpassen. Er hat schon so viele Aufgaben"