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"Ich bin nicht die verfolgte Unschuld vom Lande"

Seit der Causa Wulff wird der "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann gern auf seine Handymailbox angesprochen. So auch von Studenten der Friedrichshafener Uni, die ihm kritische Fragen stellten.

Von Thomas Wagner | 20.01.2012
    Kai Diekmann:
    "Nein, ich habe meine Mailbox nicht dabei. Und nein: Ich spiele sie nicht vor!"

    Da sitzt er also lässig-locker in einem Sessel, vor über 600 Zuhörern der Zeppelin-University Friedrichshafen: Fast ginge Kai Diekmann selbst als Student durch. Dabei ist der "Bild"-Chefredakteur einen Tag lang in die Rolle des Hochschuldozenten geschlüpft: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sprach er mit Studierenden über seine Arbeit als Chef der größten deutschen Boulevardzeitung - ein Termin, der lange vor der Affäre Wulff vereinbart war. Doch um die geht es in der Hauptsache bei der großen öffentlichen Abschlussdiskussion vor. Dort will Kai Diekmann vor allem einen Vorwurf entkräften: Dass nämlich sein Ziel darin bestehe, ausgerechnet das Staatsoberhaupt zum Rücktritt zu treiben.

    " Das ist überhaupt nicht die Aufgabe von Medien. Ich finde: Unseren Job haben wir getan. Wir haben eine Geschichte recherchiert. Wir haben aufgedeckt. Und es ist jetzt nicht Aufgabe der Medien, so lange zu treiben, bis jemand jetzt zurücktritt oder nicht zurücktritt."

    Wenn es um Bundespräsident Christian Wulff geht, gibt sich Kai Diekmann als Wolf im Schafspelz: Einerseits sieht er sich gerne als Bewahrer journalistischer Grundsätze, andererseits aber auch als Kämpfer mit harten Bandagen.

    "Natürlich, wir sind die "Bild"-Zeitung. Ich bin nicht die verfolgte Unschuld vom Lande. Wir sind in unserer Kritik heftig. Und wir teilen auch heftig aus"."

    Dass diese Gratwanderung zwischen journalistischer Correctness und der Grobschlächtigkeit eines Boulevardmediums legitim sein soll, stellen die Studierenden in der Diskussion immer wieder infrage. Simon Berg studiert in Friedrichshafen "Communications and Cultural Management", kurz CCM:

    " "Wenn er sagt: Die "Bild" würde keine Meinung machen oder Politiker nicht zu Fall bringen, finde ich das eher indirekt. Der Wolf im Schafspelz - er hat den Moderatoren ziemlich nach dem Mund geredet. Er hat nicht wirklich seine eigene Meinung vertreten. Ich habe nicht wirklich Einblick in die Redaktionsarbeit bei "Bild" bekommen."

    Denn da werde mutmaßlich mit deutlich härteren Bandagen gearbeitet, als es Diekmann zugeben mag. Und er bleibt im Übrigen auch dabei, dass er eine gezielte Kampagne gegen den Bundespräsidenten habe er nie im Sinn gehabt.

    "Das war ja ein Anruf auf meiner Mailbox mit dem klaren Bewusstsein: Wenn ich da jetzt drauf spreche, bin ich damit einverstanden, dass das aufgezeichnet wird. Ich bin mir selber unsicher gewesen. Und was überhaupt nicht unüblich ist: Ich rufe Kollegen an und bitte sie um ihre Meinung."

    Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe die Nachricht an sich aber die Redaktionsräume der "Bild"-Zeitung verlassen - mit allerdings absehbaren Folgen, wie Diekmann zugeben muss:
    "Versuche mal, die Zahnpasta zurück in die Tube zu kriegen. Das schaffst Du nicht. Journalisten leben mit dem Geschäft der Indiskretion. Da waren einfach zu viele Leute damit befasst, als dass so etwas nicht den Weg in die Medien gefunden hätte. Mich hat es auch nur gewundert, dass es so lange gedauert hat."

    Staunende, ungläubige Blicke in den Zuhörerreihen. Dennoch bleibt Diekmanns Darstellung unwidersprochen. Sein Auftritt, das wissen die Zuhörer, wird nach einer Stunde zu Ende sein; die Möglichkeit der Wortmeldungen ist begrenzt. Vor allem die Studierenden finden sich aber in ihren Vorurteilen gegenüber der "Bild"-Zeitung bestätigt. Anne Kruse hat sich als CCM-Studentin bereits mit Boulevardmedien beschäftigt. Eigentlich, meint sie, müsse man deren Arbeitsmethoden einer viel breiteren Öffentlichkeit nahebringen. Und dies sei keineswegs unrealistisch.

    "Ich hab‘ gehört, dass selbst viele Bauarbeiter, von denen man glaubt, sie nehmen das alles ernst, was da drin steht, nicht nur daraus ihre Meinung bilden, sondern auch noch zusätzlich andere Medien zur Meinungsbildung hinzuziehen."

    Doch auch für ihren eigenen Studiengang wünscht sie sich eine stärkere Beschäftigung mit dem Boulevardjournalismus. Gerade die Affäre Wulff habe gezeigt, wie wichtig das sei.

    "Das sollte auf jeden Fall Teil des Studiums sein. Ich bin kritischen Auseinandersetzungen von irgendwelchen Professoren dazu lesen in guten Texten."

    Deria Rastiran geht noch einen Schritt weiter. Der Diekmann-Vortrag hat sie nachdenklich gemacht - vor allem, dass ausgerechnet der Mann an der Spitze eines Boulevardblattes das Staatsoberhaupt ins Wanken bringt. Ihre Schlussfolgerung: Massenmedien, auch privatwirtschaftlich organisierte, müssten demokratisch legitimiert sein.

    "Ich würde die Medien gerne freier sehen - freier, das nicht nur ein "Bild"-Chef da steht: Ich bin die Redaktion - und meine Meinung zählt. Sondern dass jeder seine Meinung frei äußern kann."

    Am "Bild"-Chef selbst prallen solche Argumente indes ab. Wird die Kritik gar zu heftig, zieht Kai Diekmann ganz einfach seine ganz persönliche, rhetorische Reißleine:

    "Es gibt in Deutschland noch kein Gesetz, das verpflichtet, die "Bild"-Zeitung zu lesen."