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"Ich bin nicht überrascht von diesen Zahlen"

Zoologie.- In Panama hat es wahrscheinlich angefangen. Mittlerweile hat das Amphibiensterben, ausgelöst durch eine Pilzepidemie, aber nicht nur Mittelamerika im Griff. Auch Europa und Australien sind bedroht. Manfred Niekisch, Direktor des Frankfurter Zoos, erläutert im Interview mit Michael Böddeker die Hintergründe.

20.07.2010
    Michael Böddeker: Chytridiomykose - so heißt die Pilzkrankheit, an der Amphibien in aller Welt leiden. Schon seit einiger Zeit vermuten Forscher, dass sie die Ursache für ein weltweites Artensterben ist. Nun konnten Wissenschaftler in einem Nationalpark in Panama erstmals beziffern, wie viele Amphibien wegen des Chytridpilzes ausgestorben sind, 40 Prozent nämlich oder in Zahlen 30 von vormals 74 Arten. Das schreiben sie im Fachmagazin "PNAS". Manfred Niekisch ist Direktor des Frankfurter Zoos und Professor für internationalen Naturschutz an der Uni Frankfurt. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, ob ihn diese dramatischen Zahlen überrascht haben.

    Manfred Niekisch: Nein, ich bin nicht überrascht von diesen Zahlen, man hat sie erwarten müssen. Aber was eben überraschend ist, wie klar jetzt das Bild zutage tritt und wir wissen inzwischen auch, dass da eben ein riesiges Gefährdungspotenzial für die Amphibien vorhanden ist.

    Böddeker: Auf welche weise schadet den dieser Chytridpilz den Amphibien?

    Niekisch: Der Chytridpilz befällt - und zwar zunächst mal als mikroskopisch kleine Pilzsporen - die Haut der Frösche. Bei den Kaulquappen die Hornlippen, mit denen die Kaulquappen die Algen von den Blättern raspeln beispielsweise, um sich zu ernähren. Er befällt also die hornigen Teile und schädigt sie. Das führt einmal dazu, dass die erwachsenen Frösche sterben, das führt aber dazu dass die Kaulquappen sich nicht mehr ernähren können und dann schon im Larvenstadium sterben. Und das Ganze geht schleichend vor sich. Man hat also nicht plötzlich an einem Teich viele tote Frösche, sondern die Frösche und Kaulquappen verschwinden einfach und man weiß gar nicht warum. Das war auch Ende der 80er-Jahre das große Rätsel, als in Costa Rica die Wappenkröte eines Schutzgebietes, Monteverde, die Goldkröte, plötzlich verschwunden war. Wir wissen heute, dass das durch den Pilz verursacht war.

    Böddeker: Also dass die Amphibien wegen dieses Pilzes sterben, ist schon seit längerem bekannt. Aber es ist ja anscheinend so, dass das im Moment noch mal verstärkt auftritt, dass mehr Amphibien aussterben. Wie kommt das denn?

    Niekisch: Das liegt ganz einfach daran, dass der Pilz sich rapide ausbreitet. Man hat in Panama sogar vorhersagen können, weil man die Ausbreitegeschwindigkeit kennt, wann er wo auftauchen wird. Und inzwischen beobachten wir ihn eben auch in Europa, da sind unsere Kenntnisse noch sehr beschränkt. In Südamerika hat man gehofft, dass das große Waldgebiet zwischen Panama und Kolumbien ein Ausbreiten des Pilzes verhindert. Wir haben aber jetzt schon Informationen, dass unabhängig von diesem Ausbreitungsweg in Panama, auch in Bolivien und wahrscheinlich in anderen Ländern schon neue Herde bestehen, von denen aus sich der Pilz auch ausbreitet.

    Böddeker: Dann richten wir den Blick noch einmal speziell auf den Nationalpark in Panama, in dem man jetzt beziffert hat, wie viele Arten ausgestorben sind. Wie haben das Forscher das gemacht? Sie haben sich ja nicht nur die Tiere einfach angeschaut und beobachtet, sondern auch ein gentechnisches Verfahren benutzt.

    Niekisch: Ja, das ist eine Mischung aus einem gentechnischen und einem statistischen Verfahren, in dem man über das sogenannte Barcoding, also das Ablesen des genetischen Codes, erst einmal feststellt: Wie viele Arten gibt es? Beziehungsweise, wie viele Arten in einem ökologischen Kontext gibt es, die anfällig sind für diesen Pilz und daraus kann man dann einiges hochrechnen. Wir können aber heute, mal abgesehen von diesem statistisch aufwendigen, aber sehr aussagekräftigen Barcoding, auch schon ganz konkret sagen, welche Arten durch den Pilz ausgestorben sind, welche besonders gefährdet sind. Und das Beunruhigende ist, dass das eben nicht nur in Panama oder Mittelamerika vor sich geht, sondern inzwischen auch in Australien, Europa und anderen Kontinenten. Gekommen ist dieser Pilz wahrscheinlich mal über Clownfrösche aus Afrika, die über die ganze Welt verbreitet worden sind als Labortiere.

    Böddeker: Das heißt, man hat sich einmal vor dem Ausbruch dieses Pilzes die Gensequenzen angeschaut und dann nochmal danach und das dann verglichen. Kann man das so sagen?

    Niekisch: So einfach kann man das sagen, ja. Aber das statistische Verfahren ist wirklich aufwendig, aber eben auch aussagekräftig.

    Böddeker: Aber wie aussagekräftig ist es, wie verlässlich sind diese Zahlen? Es sind ja diesmal auch beim zweiten Mal als man sich das angeschaut hat, da hat man auch fünf Arten gefunden, die man vorher gar nicht kannte, die bis dahin noch unbekannt waren, die jetzt aber auch ausgestorben sind.

    Niekisch: Das ist eben die große Unbekannte. Wir entdecken gerade bei den Amphibien ja ständig neue Arten, die man zum Teil äußerlich kaum unterscheiden kann, die man aber an den Rufen unterscheiden kann oder jetzt eben auch sehr gut durch die Analyse der Gene. Und das ist die große Unbekannte. Wir wissen gar nicht, wie viele Amphibienarten noch unentdeckt sind und wie viele davon durch den Pilz schon ausgerottet worden sind. Denn die ausgerotteten Arten entdecken wir einfach nicht mehr. Aber ich glaube, was für den Naturschutz das Entscheidende ist, ist dass die Zahl der bedrohten Froscharten und das Gefährdungspotenzial durch den Pilz eben enorm groß ist. Es gibt in den Zoologischen Gärten der Welt jetzt eine ganze Reihe von Bemühungen, Zuchten aufzubauen, die frei sind von diesem Pilz, um bestimmte Arten vor dem Aussterben zu retten, vor dem Pilz in Sicherheit zu bringen. Aber das kann natürlich längst nicht für alle Amphibienarten funktionieren. Das sind viel zu viele. Und wie gesagt, viele kennen wir auch noch gar nicht.

    Böddeker: Das ist die eine Möglichkeit. Man kann versuchen, die Tiere in Zoos zu bringen. Kann man denn auch irgendwie verhindern, dass das Artensterben weitergeht, dass sich dieser Pilz so ausbreitet?

    Niekisch: Die Ausbreitung des Pilzes zu stoppen ist sehr, sehr schwer, weil er viele Möglichkeiten hat, sich auszubreiten. Das geht also über die Schuhe von Touristen, über das Transportwasser von Fischen, die ja weite Strecken oft transportiert werden zu den Fischzuchtanstalten und so weiter. Es geht auch über die Netze von Anglern und Fischern und so weiter. Eine einfache Möglichkeit für die heimischen Angler, das Ausbreiten des Pilzes etwas zu bremsen, ist, indem man beispielsweise die Netze trocknet, bevor man sie an einem anderen Ort einsetzt. Das ist eine ganz einfache Methode. Aber weltweit sind die Vektoren, die Möglichkeiten dieses Pilzes, sich auszubreiten, unglaublich groß. Und eine wichtige Rolle spielt eben das Wasser, in dem Fische transportiert werden.