Das Fragment geht zurück auf das 1930 veröffentlichte Stück "Die Geschichte von der Ausländerhure Okichi" des japanischen Dramatikers Yamamoto Yuzo. Es handelt von der Sängerin und Geisha Okichi, einer in Japan legendären Figur.
1856 bei der zwangsweisen Öffnung Japans durch amerikanische Kanonenboote hat sie die Hafenstadt Shimoda vor der Bombardierung bewahrt. Als Brecht, seit 1933 vor den Nazis auf der Flucht, auf dem Landgut der finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki im Sommer 1940 drei Monate verbrachte, wurde er von seiner Gastgeberin auf die englische Fassung hingewiesen.
Brecht war begeistert. Das Stück fand er gut. Gemeinsam mit Hella Wuolijoki machte er sich an die Überarbeitung. Im "Tagebuch" notierte er am 25. September 1940: "Ich entwerfe schnell eine Rahmenhandlung und gewisse Markierungen anhand der englischen (schlechten) Übersetzung."
Von dem Ergebnis der Brechtschen Bearbeitung fanden sich im Nachlaß neben einem Rahmenspiel nur 5 von 11 geplanten Szenen, die Szenen 5-9 und 11 fehlten. Erstmals abgedruckt wurde das brechtsche Fragment 1997 in Band X der Großen Brechtausgabe. Als sich danach zufällig in Hella Wuolijokis Nachlaß eine Fassung des ganzen Stücks in finnischer Sprache fand, übersetzte der Brecht-Experte Hans Peter Neureuter den finnischen Text und vereint ihn mit den von Brecht bearbeiteten Szenen.
Das Ergebnis verblüfft. Zwar ist die Freude bei der Lektüre nicht ungetrübt, denn die aus dem Finnischen übersetzten Szenen 5-9 und 11 sind deutlich schwächer und sie markieren so einen Bruch. Es ist nicht klar, inwieweit Brecht hier noch Hand angelegt hat. Dafür aber zeigen die im Brechtnachlaß aufbewahrten Szenen sowie das aus einem Vorspiel, zehn durchgängig eingefügten Zwischenspielen und einem Nachspiel bestehende Rahmenspiel eindeutig die meisterliche Handschrift Brechts. Sie sind - im Rhythmus, in Stilistik, Bildkraft, Aussparung und intellektueller Präzision - echter und bester Brecht. Und sie machen die Schwäche der finnischen Spielfassung - den zumeist bloß noch sich ins Informierende und Triviale verlaufenden Bericht über das weitere Lebensschicksal der Sängerin und Geisha Okichi - fast vergessen.
In Brechts Bearbeitung ist Okichi eine markant gezeichneter Bühnencharakter, eine kompakte Frauenfigur. Als der amerikanische Generalkonsul im Stil imperialistischer Kanonenbootspolitik die Bombardierung Shimodas androht, sofern Japan nicht seine Isolation aufgibt und in Handelsbeziehungen mit den USA eintritt, bittet der Magistrat von Shimoda die junge Frau um ein Opfer: Sie soll den US-Konsul "besänftigen". Als Geisha sein Lager teilen. Als Okichi - die eigentlich ihren Verlobten heiraten will - das in 'patriotischer' Pflichterfüllung tut und der Konsul daraufhin von der Kanonade der Stadt abläßt, sind ihre Landsleute freilich dennoch nicht bereit, ihr dieses Opfer nachzusehen. Im Gegenteil: Sie schmähen sie fortan als "Ausländerhure" und "Amerikaner-Okichi".
Okichi verfällt der Trunksucht. Ihr Mann betrügt sie. Als er sie verläßt, wird sie wieder Prostituierte. Im letzten Stadium des Alkoholismus bricht sie zusammen - in der letzten Szene. Als Stück spielbar ist "Die Judith von Shimoda" nicht allein der Figur Okichi und ihres Opferschicksals und nicht nur der - typisch brechtschen - epischen Rahmenhandlung wegen. Das Stück ist verblüffend aktuell. Um ihre wirtschaftlichen Machtinteressen durchzusetzen - das heißt sich Japan als Absatzgebiet für amerikanische Waren und Produkte zu erschließen -, setzen die USA ihre unangefochten überlegene Militärmacht skrupellos ein. Der Stärkere erpreßt den Schwächeren mit der Drohung der völligen physischen Vernichtung. "Sag ihr, daß sie bombardieren, wo sie nicht Geschäfte treiben können", mit diesen Worten überzeugt der japanische Verhandlungsführer Fürst Isa Okichi, dem amerikanischen Generalkonsul zu Diensten zu sein. Und er fügt im brechtschen Duktus hinzu: "Sag ihr, daß unsere Insel für sie ein Haus ist, in das sie hinein wollen, um Geschäfte zu treiben. Wenn wir sie nicht einladen, werden sie über uns hinweg in das Haus brechen. Denn das Gesetz heißt: Die Grenzen, welche die Waren nicht überschreiten können, werden die Armeen überschreiten." Die Parallelen zum Heute drängen sich geradezu auf: Daß zum Beispiel der Welthegemon USA seine ökonomisches Ressourcensicherungsprogramm zugleich einkleidet in das edle Gewand des westlichen Demokratieexports. Oder in den Worten von Jürgen Habermas ausgedrückt: "Geben wir es zu: Der Westen präsentiert sich tatsächlich in normativ entkernter Gestalt, solange er mit Menschenrechten nicht viel mehr als den Export von Marktfreiheiten im Sinn hat".
Der junge Sanitätssoldat Bertolt Brecht blickte 1918 fasziniert auf die Neue Welt der USA. War sie mit ihrer freiheitlichen Verfassung nicht God's own country. Ernüchtert wurde er durch den New Yorker Börsencrash 1929. Brecht studierte Gustavus Myers "Geschichte der großen amerikanischen Vermögen" und die Praktiken an der Weizen- und Fleischbörse Chicagos sowie die Mechanismen kapitalistischer Krisenzirkelei.
Danach begann er Widerspruch anzumelden gegen eine von Oligarchen dominierte Wirtschaftsdemokratie, die es zum Beispiel mit der in Verfassung und Menschenrechtserklärung geforderten Verteilungsgerechtigkeit nicht mehr erst nahm (und nimmt). Amerika war (und ist) - trotz aller Freiheitsversprechen der Verfassung - Inbegriff sozialer Ungerechtigkeit. Soziale Gewalt im inneren und ihr Pendant - die Gewaltbereitschaft nach draußen in die Welt - ist Teil ihres Selbstverständnisses. Der Colt sitzt zu locker. Die Bomben fallen zu schnell. Auch daran erinnert Brechts Stückbearbeitung "Die Judith von Shimoda". Theater, bitte spielen!
1856 bei der zwangsweisen Öffnung Japans durch amerikanische Kanonenboote hat sie die Hafenstadt Shimoda vor der Bombardierung bewahrt. Als Brecht, seit 1933 vor den Nazis auf der Flucht, auf dem Landgut der finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki im Sommer 1940 drei Monate verbrachte, wurde er von seiner Gastgeberin auf die englische Fassung hingewiesen.
Brecht war begeistert. Das Stück fand er gut. Gemeinsam mit Hella Wuolijoki machte er sich an die Überarbeitung. Im "Tagebuch" notierte er am 25. September 1940: "Ich entwerfe schnell eine Rahmenhandlung und gewisse Markierungen anhand der englischen (schlechten) Übersetzung."
Von dem Ergebnis der Brechtschen Bearbeitung fanden sich im Nachlaß neben einem Rahmenspiel nur 5 von 11 geplanten Szenen, die Szenen 5-9 und 11 fehlten. Erstmals abgedruckt wurde das brechtsche Fragment 1997 in Band X der Großen Brechtausgabe. Als sich danach zufällig in Hella Wuolijokis Nachlaß eine Fassung des ganzen Stücks in finnischer Sprache fand, übersetzte der Brecht-Experte Hans Peter Neureuter den finnischen Text und vereint ihn mit den von Brecht bearbeiteten Szenen.
Das Ergebnis verblüfft. Zwar ist die Freude bei der Lektüre nicht ungetrübt, denn die aus dem Finnischen übersetzten Szenen 5-9 und 11 sind deutlich schwächer und sie markieren so einen Bruch. Es ist nicht klar, inwieweit Brecht hier noch Hand angelegt hat. Dafür aber zeigen die im Brechtnachlaß aufbewahrten Szenen sowie das aus einem Vorspiel, zehn durchgängig eingefügten Zwischenspielen und einem Nachspiel bestehende Rahmenspiel eindeutig die meisterliche Handschrift Brechts. Sie sind - im Rhythmus, in Stilistik, Bildkraft, Aussparung und intellektueller Präzision - echter und bester Brecht. Und sie machen die Schwäche der finnischen Spielfassung - den zumeist bloß noch sich ins Informierende und Triviale verlaufenden Bericht über das weitere Lebensschicksal der Sängerin und Geisha Okichi - fast vergessen.
In Brechts Bearbeitung ist Okichi eine markant gezeichneter Bühnencharakter, eine kompakte Frauenfigur. Als der amerikanische Generalkonsul im Stil imperialistischer Kanonenbootspolitik die Bombardierung Shimodas androht, sofern Japan nicht seine Isolation aufgibt und in Handelsbeziehungen mit den USA eintritt, bittet der Magistrat von Shimoda die junge Frau um ein Opfer: Sie soll den US-Konsul "besänftigen". Als Geisha sein Lager teilen. Als Okichi - die eigentlich ihren Verlobten heiraten will - das in 'patriotischer' Pflichterfüllung tut und der Konsul daraufhin von der Kanonade der Stadt abläßt, sind ihre Landsleute freilich dennoch nicht bereit, ihr dieses Opfer nachzusehen. Im Gegenteil: Sie schmähen sie fortan als "Ausländerhure" und "Amerikaner-Okichi".
Okichi verfällt der Trunksucht. Ihr Mann betrügt sie. Als er sie verläßt, wird sie wieder Prostituierte. Im letzten Stadium des Alkoholismus bricht sie zusammen - in der letzten Szene. Als Stück spielbar ist "Die Judith von Shimoda" nicht allein der Figur Okichi und ihres Opferschicksals und nicht nur der - typisch brechtschen - epischen Rahmenhandlung wegen. Das Stück ist verblüffend aktuell. Um ihre wirtschaftlichen Machtinteressen durchzusetzen - das heißt sich Japan als Absatzgebiet für amerikanische Waren und Produkte zu erschließen -, setzen die USA ihre unangefochten überlegene Militärmacht skrupellos ein. Der Stärkere erpreßt den Schwächeren mit der Drohung der völligen physischen Vernichtung. "Sag ihr, daß sie bombardieren, wo sie nicht Geschäfte treiben können", mit diesen Worten überzeugt der japanische Verhandlungsführer Fürst Isa Okichi, dem amerikanischen Generalkonsul zu Diensten zu sein. Und er fügt im brechtschen Duktus hinzu: "Sag ihr, daß unsere Insel für sie ein Haus ist, in das sie hinein wollen, um Geschäfte zu treiben. Wenn wir sie nicht einladen, werden sie über uns hinweg in das Haus brechen. Denn das Gesetz heißt: Die Grenzen, welche die Waren nicht überschreiten können, werden die Armeen überschreiten." Die Parallelen zum Heute drängen sich geradezu auf: Daß zum Beispiel der Welthegemon USA seine ökonomisches Ressourcensicherungsprogramm zugleich einkleidet in das edle Gewand des westlichen Demokratieexports. Oder in den Worten von Jürgen Habermas ausgedrückt: "Geben wir es zu: Der Westen präsentiert sich tatsächlich in normativ entkernter Gestalt, solange er mit Menschenrechten nicht viel mehr als den Export von Marktfreiheiten im Sinn hat".
Der junge Sanitätssoldat Bertolt Brecht blickte 1918 fasziniert auf die Neue Welt der USA. War sie mit ihrer freiheitlichen Verfassung nicht God's own country. Ernüchtert wurde er durch den New Yorker Börsencrash 1929. Brecht studierte Gustavus Myers "Geschichte der großen amerikanischen Vermögen" und die Praktiken an der Weizen- und Fleischbörse Chicagos sowie die Mechanismen kapitalistischer Krisenzirkelei.
Danach begann er Widerspruch anzumelden gegen eine von Oligarchen dominierte Wirtschaftsdemokratie, die es zum Beispiel mit der in Verfassung und Menschenrechtserklärung geforderten Verteilungsgerechtigkeit nicht mehr erst nahm (und nimmt). Amerika war (und ist) - trotz aller Freiheitsversprechen der Verfassung - Inbegriff sozialer Ungerechtigkeit. Soziale Gewalt im inneren und ihr Pendant - die Gewaltbereitschaft nach draußen in die Welt - ist Teil ihres Selbstverständnisses. Der Colt sitzt zu locker. Die Bomben fallen zu schnell. Auch daran erinnert Brechts Stückbearbeitung "Die Judith von Shimoda". Theater, bitte spielen!