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"Ich fand die Entscheidung verantwortungslos"

Die Absetzung der Oper "Idomeneo" in Berlin führt nach Ansicht von Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet dazu, dass die Muslime auf der Islam-Konferenz unter Rechtfertigungszwang geraten. Die Entscheidung der Intendantin sei unverantwortlich und setze die Freiheit der Presse und der Kunst aufs Spiel, sagte der CDU-Politiker.

Moderation: Bettina Klein | 27.09.2006
    Bettina Klein: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht aus Angst vor gewaltbereiten Radikalen immer mehr zurückweichen. Selbstzensur aus Angst ist nicht erträglich." Das war ein Zitat der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur gestrigen Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo in Berlin. Die Intendantin, Kirsten Harms, verteidigt ihr Vorgehen. Sie wollte sich nicht einfach so über die Warnungen vor islamistischen Anfeindungen hinwegsetzen und hielt ihre Entscheidung für verantwortungsbewusst. Ich habe unter anderem darüber vorhin mit Armin Laschet gesprochen, er ist Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, der einzige in dieser Republik. Und ich habe ihn zunächst gefragt, ob er die Entscheidung der Intendantin für richtig hielt.

    Armin Laschet: Nein, ich fand die Entscheidung verantwortungslos, weil sie damit erneut Hysterie geschürt hat, und erneut nun auch die Muslime, die heute zur Islamkonferenz zusammenkommen, unter einen Rechtfertigungszwang gesetzt hat. Es hat keine konkreten Bedrohungen, keine Aufforderungen und keine Proteste gegen diese Oper gegeben und sie dann so spektakulär abzusetzen ist unverantwortlich. Und deshalb kann ich diese Entscheidung auch nicht verstehen.

    Klein: Nur deswegen unverantwortlich, weil die teilnehmenden Muslime sich heute unter Druck gesetzt fühlen?

    Laschet: Nein, es ist unverantwortlich, weil zum einen man Presse- und Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit nicht prophylaktisch, in vorauseilendem Gehorsam quasi, auf das Spiel setzen darf. Und das hat sie damit getan. Aber sie unterstellt damit gleichzeitig, dass es eine Bedrohung, eine Forderung, gegen diese Oper gegeben hätte, was gar nicht der Fall war. Ich finde, in dieser Diskussion sind es nicht immer die Muslime, die Schuld sind, sondern auch unsere eigene Feigheit, für unsere Werte, unsere Überzeugungen nicht mehr einzutreten, auch eine kritische Oper zu zeigen. Und außerdem wird ja nicht nur - über die Gestaltung dieser Oper, ob das geschmackvoll ist, kann man sicher streiten - es wird ja nebenbei auch der Kopf von Jesus, von Buddha und von Poseidon, neben dem von Mohammed, dort zur Schau gestellt. Aber die Frage ist, wie hoch ist Kunstfreiheit bei uns, sind wir bereit, das noch zu zeigen. Und da hat sie, aus meiner Sicht, eine unverantwortliche Entscheidung getroffen.

    Klein: Inwiefern muss dieses Thema heute auch grundsätzlich bei der Islamkonferenz behandelt werden?

    Laschet: Ja, das wird ein Thema sicher sein, weil es tagesaktuell ist. Da ist die Frage wie hoch ist Presse- und Kunstfreiheit, wie sind die Werte des Grundgesetzes gegenüber einer Religion. Das ist eine Grundsatzfrage und ich denke, dass die auch erörtert wird.

    Klein: Herr Laschet, Sie selbst sind Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, der einzige mit diesem Amt in der Bundesrepublik, und Sie sind heute bei dieser Konferenz nicht geladen. Ist Ihr Sachverstand nicht gefragt?

    Laschet: Das weiß ich nicht, man muss ja nicht an jeder Konferenz teilnehmen. Wir führen hier den Dialog mit den Muslimen. Nordrhein-Westfalen hat ja die meisten Muslime. Aber der Bundesinnenminister hatte sich dazu entschieden, die Innenministerkonferenz und die Kultusministerkonferenz einzuladen, und da ist ein Integrationsminister nicht vorgesehen.

    Klein: Was würden Sie heute einbringen, wenn Sie dabei wären? Was sind Ihre Wünsche an die Ziele und Ergebnisse dieser Konferenz heute?

    Laschet: Also ich finde, das Wichtige ist, dass der Bundesinnenminister diesen Dialog führt. Wir haben drei Millionen Muslime im Land und es gibt bisher keinen strukturierten Dialog zwischen Staat und muslimischer Gemeinschaft. Und ich würde mir wünschen, dass in dem Prozess, der jetzt ja zwei bis drei Jahre dauert, zum einen ein Dialog über die Werte des Grundgesetzes stattfindet, dass man auch von den Muslimen ein Bekenntnis zu diesen Werten noch einmal auch in eine strukturierte Form bringt. Aber das andererseits der Staat auch anerkennt, dass wir eine solch große Glaubensgemeinschaft hier haben und all die konkreten Fragen, vom Moscheebau, über Bestattungsregeln, bis hin zum islamischen Religionsunterricht, in einem Ergebnisprozess am Ende dieser Zeit festlegt. Vieles davon werden die Länder machen müssen - Religionsunterricht ist keine Sache des Bundes. Aber dass man als Staat mit den Muslimen zu einer Vereinbarung kommt, das halte ich für sehr wichtig.

    Klein: Eine Schwierigkeit scheint zu sein, es gibt auch unter den hier lebenden Tausenden Muslimen wenig Einigkeit, wenig Homogenität. Das muss man vielleicht nicht bedauern, aber jedenfalls gibt es keinen wirklichen, einzigen Ansprechpartner, Adressaten, wie das bei anderen Religionsgemeinschaften der Fall ist, wo es auch nicht nur einen gibt, aber doch zumindest einige, die repräsentativ für diese Gruppen stehen. Was folgt daraus für den Islamgipfel heute und für uns auch für die Zukunft? Müssen, können, sollten wir eine solche repräsentative Einrichtung fordern?

    Laschet: Sie wäre wünschenswert. Es wäre auch im Interesse der Muslime, dass sie mit einer Einrichtung auftreten könnten. Und das macht ja auch die Probleme bei diesem Gipfel heute aus, dass so viele klagen, dass sie nicht eingeladen sind, dass manche sagen, die falschen sind eingeladen. Das ist die Folge davon, wenn man keinen einzigen repräsentativen Ansprechpartner hat. So lange das so ist, finde ich es richtig, dass man alle Strömungen des Islam mit einlädt, auch die kritischen Stimmen, und diesen Dialog führt. Aber wenn am Ende dieses Prozesses eine einheitliche Vertretung stünde, dann wäre das im Interesse beider, des deutschen Staates, aber auch der Muslime.

    Klein: Eine Frage, Herr Laschet, haben Sie bereits auch schon angedeutet. Nämlich, die Art und Weise des islamischen Religionsunterrichtes wird unterschiedlich gehandhabt in den verschiedenen Ländern, ist Ländersache. Sie haben in Nordrhein-Westfalen ein eigenes Modell entwickelt: Unterricht in deutscher Sprache, unter deutscher Schulaufsicht und von in Deutschland ausgebildeten Lehrern. Was spricht dafür?

    Laschet: Ja, das ist die Bedingung des Religionsunterrichts, dass er unter diesen drei Kriterien stattfindet. Deutsche Sprache ist selbstverständlich, denn es ist ja deutsches Unterrichtsfach. Deutsche Schulaufsicht gilt auch, nebenbei, für die christlichen Kirchen. Die vermitteln ihren bekenntnisorientierten Religionsunterricht, den sie ja in eigener Verantwortung machen können, auch unter deutscher Schulaufsicht. Und dass die Lehrer, die in deutschen Schulen unterrichten, auch in Deutschland ausgebildet werden, ist ebenfalls eine der Bedingungen. Wir haben gesagt, wir wollen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten, bis sich nun alle Verbände auf eine einheitliche Vertretung verständigt haben, sondern in Köln und Duisburg einmal mit den örtlichen Moscheegemeinden beginnen. Die könnten in einem Schulversuch eine Schura, also eine eigene Vertretung wählen, und dann könnte mit einem theologischen Beirat das Entwickeln eines Curriculums, also eines Lehrplans, beginnen. Das hat Bewegung in die Sache gebracht, die Verbände haben viel Bewegung in den letzten Tagen gezeigt und sich nun einmal als Ansprechpartner angeboten. Und ich hoffe, dass wir relativ konkret in der nächsten Zeit mit den Gesprächen beginnen können.

    Klein: Sie haben in Nordrhein-Westfalen gestern gerade auch einen Integrationsbeirat extra noch einmal eingerichtet. Weshalb brauchen Sie den? Weshalb reicht die Islamkonferenz nicht aus?

    Laschet: Also ich halte es sehr wichtig zu trennen, zwischen Integrationspolitik und Islam. Den Integrationsgipfel auf der Bundesebene hatte die Bundeskanzlerin im Juli. Da geht es um Sprache, um Sprachförderung, um Chancen von Zuwanderern. Und Zuwanderer sind, nebenbei, nicht nur Muslime, und längst nicht jeder Muslim ist ein gläubiger Muslim. Also müssen wir Integrationspolitik trennen vom Dialog mit dem Islam. Das ist für die, die an den Islam glauben, die sich bekennen, und die ihn auch praktizieren. Und deshalb, die islamischen Verbände sind nicht unser Ansprechpartner in der Integrationspolitik, das sind andere Menschen, die da engagiert sind. Und insofern sind das zwei Ebenen. Unser Beirat soll über den Stand der Integrationspolitik hinaus, den wir bis heute erreicht haben, über unseren Zwanzig-Punkte-Plan hinaus, konkrete weiterführende Analysen führen und sagen, wo stehen wir und was muss jetzt weiterhin passieren. Und das sind Persönlichkeiten aus Politik, aber auch aus Wissenschaft, aus Kultur, aus vielen Bereichen. Und dieser Beirat wird ab Ende diesen Jahres regelmäßig tagen, und nicht nur mit Personen aus Nordrhein-Westfalen.