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"Ich fühle mich ein bisschen als die Mutter dieser Ostpartnerschaft"

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner geht davon aus, dass die sogenannte Östliche Partnerschaft Vorteile für alle Seiten bringt. Durch die Intensivierung der Beziehungen zu den sechs Nachbarländern stiegen die Stabilität und der Wohlstand in der gesamten Region. Auch die 27 EU-Mitgliedstaaten profitierten von der Annäherung, zum Beispiel bei der langfristigen Energiesicherheit. Sorgen Russlands nannte sie unbegründet.

Benita Ferrero-Waldner im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Und wieder ein EU-Gipfel in Prag. Mit einer Ostpartnerschaft will die Europäische Union sechs ehemalige Sowjetrepubliken enger an sich binden, sie bei der Entwicklung hin zur Demokratie unterstützen.

    Am Deutschlandfunk-Telefon ist nun die für die Außenpolitik zuständige EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner. Guten Morgen, Frau Ferrero-Waldner!

    Benita Ferrero-Waldner: Guten Morgen!

    Spengler: Wird die Ostpartnerschaft genauso eine Nullnummer wie die Mittelmeerunion?

    Ferrero-Waldner: Erstens ist die Mittelmeerunion keine Nullnummer, sondern ist nur derzeit in Schwierigkeiten; das wird sich wieder geben. Zweitens ist, glaube ich, ein großer Tag heute für die Ostpartnerschaft, denn es ist sozusagen eine Verstärkung, eine Intensivierung der ja schon seit vielen Jahren laufenden europäischen Nachbarschaftspolitik, und ich fühle mich so ein bisschen als die Mutter dieser Ostpartnerschaft, wenn es auch mehrere Väter gibt, mehrere Länder, die natürlich das vorangetrieben haben.

    Ich sage Ihnen warum, denn ich glaube, es ist enorm wichtig, dass wir den Ländern, die selber näher an die Europäische Union herankommen wollen - und das wollen alle sechs in der einen oder anderen Form -, wirklich unter die Arme greifen, sozusagen in einem Quantensprung ihnen alles das anbieten, was wir anbieten können. Das sind zum Teil verstärkte politische Abkommen, das ist aber auch dann immer ein Freihandelsabkommen - das heißt, der Handel wird dadurch erleichtert -, zum ersten Mal auch verstärkte Mobilität, die Möglichkeit, dass die Bürger leichter reisen können, aber natürlich müssen dazu vorher alle Kriterien erfüllt sein. Es ist natürlich keineswegs so, dass sich die Grenzen ganz weit öffnen, sondern ganz gezielte Möglichkeiten, dann eine ...

    Spengler: Frau Ferrero-Waldner, lassen Sie es uns Punkt für Punkt abhandeln. Ich will trotzdem vorher noch ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Weißrusslands Diktator Lukaschenko, der kommt heute ebenso wenig nach Prag wie Moldawiens Staatschef Voronin, und auch Nicolas Sarkozy, Gordon Brown, José Luis Zapatero schwänzen. So wichtig scheint der Termin aber doch nicht zu sein, oder?

    Ferrero-Waldner: Nun, ich glaube, der Termin ist sehr wichtig.

    Spengler: Warum kommen die dann nicht?

    Ferrero-Waldner: Weißrussland, fangen wir mal so an. Hier wurde Weißrussland eingeladen und es wird der Vizepremier und der Außenminister kommen. Ich glaube, in einem Moment, in dem es immer noch Sanktionen gegen Weißrussland gibt, die auch zum Teil suspendiert sind, ist es natürlich richtig, dass wir irgendwo auf einer unteren Ebene beginnen.

    Spengler: Welche Sanktionen meinen Sie da?

    Ferrero-Waldner: Es gibt immer noch Sanktionen, das sind Visa-Sanktionen gegen bestimmte Persönlichkeiten, die aber im Augenblick suspendiert sind.

    Spengler: Auch gegen den Präsidenten?

    Ferrero-Waldner: Unter anderem waren das Sanktionen gegen den Präsidenten. Sie sind aber im Augenblick suspendiert, wie ich sage. Daher ist es klar: Gerade Weißrussland ist natürlich das Land, das sozusagen noch am weitesten weg ist, ist auch noch nicht voll eingebunden in die Nachbarschaftspolitik. Es ist aber unsere Politik, ein großes Angebot, eine große Antwort auf die Forderungen und auch Aspirationen dieser Länder. Auch Weißrussland möchte - ich habe es gerade gehört in Ihrer Anmoderation, und so ist es auch - mehr die Außenpolitik ausbalancieren. Es sind ja gemeinsame Nachbarn, gemeinsame Nachbarn gegenüber Russland, aber auch zur Europäischen Union.

    Spengler: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum zum Beispiel Nicolas Sarkozy oder Gordon Brown nicht kommen?

    Ferrero-Waldner: Wissen Sie, das sind unsere eigenen Mitgliedsstaaten, ...

    Spengler: Ja, ja, ich weiß!

    Ferrero-Waldner: Die sind natürlich eingeladen. Ich muss sagen, ich bin auch darüber verwundert, aber das ist nicht die Frage, dass diese Länder nicht über die Ostpartnerschaft eigentlich begeistert sind. Die haben ja sehr enthusiastisch zugestimmt beim letzten Europäischen Rat. Das ist nun erst die erste Ausformung. In Wirklichkeit geht es hier darum, dass wir mit den sechs Partnerländern erstmals diese multilaterale Plattform entdecken, das heißt gemeinsam sie in einer Gruppe zusammenbringen.

    Spengler: Wie muss man sich das praktisch vorstellen? Das heißt, da wird zusammen diskutiert über Menschenrechte, oder wie?

    Ferrero-Waldner: Nein. Man muss es sich so vorstellen, dass heute in alle Bereiche hineingegangen wird, die in der Zukunft gemeinsam behandelt werden, aber die auch natürlich nach wie vor die Elemente der Nachbarschaftspolitik sind.

    Spengler: Das ist mir noch zu abstrakt, Frau Ferrero-Waldner. Machen Sie das konkret. Wie muss man sich das vorstellen?

    Ferrero-Waldner: Ja, ja, ich bin dabei. Wenn Sie mir die Möglichkeit geben, mache ich das sehr gerne.

    Spengler: Gerne! Bitte schön!

    Ferrero-Waldner: Sie haben gerade zur Demokratie gefragt. Selbstverständlich werden Fragen wie die Demokratisierung, wie die weitere Institutionenbildung, wie Menschenrechte auch hier wichtig sein. Es wird aber auch um andere konkrete Fragen gehen, wie zum Beispiel die Frage der Energiesicherheit. Wie können gemeinsam hier zum Beispiel Stromnetzwerke zwischen den einzelnen Staaten aufgebaut werden? Wie können wir in der Zukunft Produzentenländer, Transitländer und Konsumenten - das sind wir - zusammenbringen? Daher ist es ja auch interessant, dass am Tag danach bereits der sogenannte Südkorridor-Gipfel stattfindet, der über Pipelines spricht.

    Spengler: Wird unsere Energiesicherheit größer?

    Ferrero-Waldner: Unsere Energiesicherheit wird sicher auf die Dauer größer, denn es wird ein ganz wichtiger erster Lancierungspunkt sein für die Möglichkeiten der Diversifizierung. Da gehört natürlich Kaukasus-Pipeline absolut dazu.

    Spengler: Frau Kommissarin, dient die Ostunion dazu, auch die Länder langfristig ins EU-Boot zu holen, oder dient sie im Gegenteil dazu, sie draußen zu halten?

    Ferrero-Waldner: Im Augenblick ist die Ostpartnerschaft so wie die Nachbarschaftspolitik eine Politik, die derzeit jedenfalls die Mitgliedschaft nicht vorsieht. Gleichzeitig wollen wir diesen Staaten - manche wollen ja in die Europäische Union - natürlich alles anbieten, was ihnen eine Annäherung erleichtert, und in Wirklichkeit wollen wir dadurch für die Staaten selbst mehr Stabilität schaffen, mehr Wohlstand, mehr Wirtschaftlichkeit, aber dasselbe wollen wir auch für uns tun. Und wenn Sie sehen, dass es noch viele Schwierigkeiten gibt, dann gibt es nur eine Antwort: mit diesen Ländern noch mehr arbeiten als vorher. Das tun wir auch, indem wir zum Beispiel noch stärker maßgeschneiderte Programme anbieten, die dann wieder mit jedem einzelnen Land individuell ausgehandelt werden.

    Spengler: Auf Kritik stößt diese Ostpartnerschaft in Russland. Moskau sieht darin einen Versuch der EU, die Einfluss-Sphäre nach Osten auszuweiten. Wenn man jetzt ehrlich ist: eigentlich hat Russland damit doch Recht, oder?

    Ferrero-Waldner: Nein, hat es nicht, sondern ich sagte ja schon vorhin: es ist ja eine gemeinsame Nachbarschaft. Es müsste doch genauso von Russland gesehen werden als eine Stärkung der Stabilisierung auch ihrer eigenen Nachbarschaft. Und was ist denn wichtiger, auch um den Aufbau nicht nur von Frieden, sondern auch von verbesserter Wirtschaftlichkeit? Die Menschen selber müssen ja endlich besser leben können. Und da kann ich nur sagen: Russland soll sich keine Sorgen machen. Im Übrigen ist es sogar so, dass bei diesen Plattformen, die dann eben zu den einzelnen Themen ganz früh in den nächsten Monaten stattfinden werden, grundsätzlich ad hoc ja auch Drittländer - unter anderem Russland - eingeladen werden können. Nur heute bei der Lancierung sollen es eben die sechs plus die 27 der EU sein.

    Spengler: Also Russland muss sich nicht sorgen, Frau Ferrero-Waldner.

    Ferrero-Waldner: Nein, nein.

    Spengler: Vielleicht zum Schluss noch ein kurzer Blick zurück auf gestern. Ihnen dürfte nach dem Votum des tschechischen Senats für den Lissabon-Vertrag vermutlich ein Stein vom Herzen gefallen sein. Was macht denn die EU, wenn der Präsident Vaclav Klaus sich weiter weigert, den Vertrag zu unterzeichnen?

    Ferrero-Waldner: So weit sind wir noch lange nicht. Ich war selber dabei, als Vaclav Klaus am Beginn der Präsidentschaft sagte, wenn der Vertrag durch die demokratischen Gremien geht - und das hat gestern der Senat bewiesen -, dann werde am Ende er auch kein Veto einsetzen beziehungsweise er werde unterschreiben. Aber noch sind wir nicht so weit; jetzt sind die Iren am Zug.

    Spengler: Danke schön für das Gespräch.

    Ferrero-Waldner: Danke Ihnen.

    Spengler: Das war die EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner.