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"Ich fühle mich von unseren Repräsentanten nicht repräsentiert"

Es ist kalt geworden in Frankfurt. In dem Camp an der Europäischen Zentralbank zu übernachten wird allmählich zur echten Herausforderung. Aber die kleine Zeltstadt steht auch nach inzwischen 34 Tagen, mehr noch, sie ist mittlerweile das größte Camp innerhalb der Occupy-Bewegung weltweit geworden.

Von Brigitte Scholtes | 17.11.2011
    Mit 120 Zelten und etwa 150 Dauerbewohnern und weiteren 50 bis 100, die tagsüber ins Camp kommen. Unter den Bewohnern sind viele Schüler und Studenten, die wiederum tagsüber zur Schule oder Uni gehen, aber auch Menschen wie Thomas und Jürgen:

    "Ich bin aus einer Generation von NATO-Doppelbeschluss und AKW Brokdorf und so etwas, ich war lange nicht mehr politisch aktiv, habe mich dann hier aber umgeguckt und umgetan. Und nach wenigen Tagen habe ich dann gesagt, diese Idee unterstütze ich. Ich bin Frührentner und kann mir meine Zeit aufteilen."

    "Ich bin Elektrotechnikingenieur, selbstständig und arbeite hauptsächlich für Telekom und Siemens."

    So unterschiedlich wie die Bewohner des Camps, so unterschiedlich sind auch ihre Ansätze und ihre Forderungen, Ralf etwa hat gerade sein Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen, Eric ist noch Student und jobbt als Elektriker:

    "Es geht schon auch um Kritik an den Banken, an unserem Finanzsystem, aber auch Kritik an der Form demokratischer Partizipation, der Form der Zivilgesellschaft et cetera."

    "Ich fühle mich von unseren Repräsentanten nicht repräsentiert, genau genommen: an der Nase herumgeführt. Und dementsprechend hätte ich gern, dass sich das ändert."

    Dass die Forderungen so breit sind, ist Absicht, sagt Thomas.

    "Unsere Stärke besteht darin, dass es basisdemokratisch und umfassend ist, weil wir grundlegende Veränderungen wollen. Uns ist nicht damit geholfen, dass jetzt jemand sagt, die Deutsche Bank wird verstaatlicht oder Derivatgeschäfte werden grundsätzlich verboten. Damit ist nicht geholfen."

    Die Ausdauer der Occupy-Bewegung macht inzwischen auch bei der Politik und den Banken Eindruck: Zu spüren ist das in dieser Woche auf der Euro Finance Week, einer Tagung, die knapp drei Kilometer entfernt stattfindet. So meint etwa Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, im Hinblick auf die Occupy-Bewegung:

    "Ich glaube, die Menschen, die da seit Wochen da demonstrieren, haben ganz unterschiedliche Motive. Sie haben unterschiedliche Ziele. Aber eines eint sie: Sie trauen Ihnen nicht mehr. Sie trauen auch uns nicht mehr, den Bankern, den Politikern, den Beamten.
    Auch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann scheint nachdenklich geworden zu sein."

    Insofern ist es für Banken unerlässlich, im Hinblick auf ihre Angebotspalette, immer auch zu prüfen, ob sie der realen Wirtschaft und den Menschen dienen, sowie potenzielle Reputationsrisiken und Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz stärker zu beachten.
    Dass gelegentlich der Eindruck entsteht, die Occupy-Aktivisten seien in Einzelfragen nicht gut informiert, protestierten lediglich aus Prinzip, das erklärt Elektroingenieur Jürgen so:

    "Das liegt aber daran, dass wir in diesem Camp auch Frankfurter Obdachlosen die Möglichkeit gegeben haben, hier eine Chance zum Überwintern zu haben mit warmem Essen. Das ist natürlich für viele eine Aussicht, die einem Grand Hotel gleichkommt. Die 'Mitstreiter', die haben natürlich weder eine politische noch eine inhaltliche Meinung – das ist auch verständlich."

    Bei manchen ist die Integration ins Camp sogar gelungen, andere kommen nur zum Essen und Schlafen ins Zeltlager. Auf jeden Fall dürfen die Obdachlosen offenbar herhalten, um Kritik abzufangen.
    Einen Sprecher möchte Occupy-Frankfurt nicht mehr vorschicken. In den ersten Tagen des Camps war ein junger Zwanzigjähriger zum Gesicht der Bewegung geworden. Doch er hat sich wegen anonymer Drohungen gegen ihn und seine Familie zurückgezogen. Die Bewohner des Camps vor der Europäischen Zentralbank fühlen sich aber sicher, sagt Jürgen. Jeder spreche für sich und übernehme selbst Verantwortung. Und die Sicherheit habe man auch dem guten Verhältnis zu den Ordnungsbehörden zu verdanken:

    "Die Polizeipräsenz ist sehr hoch und gewünscht, um das Camp zu schützen, weil das zunächst ein Selbstbedienungsladen war für Kleinkriminelle. Da haben uns die Ordnungsbehörden mit Präsenz unterstützt, und sind auch jetzt noch aktiv dabei."

    Das ist anders als in manchen der inzwischen mehr als 2400 Camps weltweit. Vor allem in den USA gehen die Ordnungskräfte gehen die einzelnen Occupy-Camps vor, wegen angeblicher krimineller Bedrohung. Sollte die Stadt Frankfurt irgendwann doch die Zeltstadt auflösen wollen, dann hätte Jürgen, der auch juristisch bewandert ist, eine Idee:

    "Noch besser wäre es – das widerspricht natürlich dem antihierarchischen Gedanken des Camps – wenn wir eine Gemeinde gründen würden, einen Ortsvorsteher wählen. Und dann stünde uns die Chance offen, hier in Frankfurt ein freistehendes Gebäude, das der Stadt gehört, zu besetzen, und es als Rathaus zu erklären. Dort könnte man uns dann erstmal nicht vertreiben, und wir könnten uns tatsächlich etablieren, und auch wenn die Stadt dann eine Räumung gegen uns verfügen wollte, würde dieser Verwaltungsakt mindestens zwei Jahre dauern. Zeit, in der wir uns sehr gut konstituieren könnten und uns dann eine alternative Möglichkeit geboten werden müsste. Man könnte uns dann nicht mehr einfach wegschicken."

    Doch das dürfte den meisten Camp-Bewohnern dann doch eine zu bürokratische Vorgehensweise sein. Aber immerhin: Uninformiert wirkt das nicht.