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'Ich gebe die Hoffnung nicht auf'

Die etwas gebeugte alte Dame am Rednerpult lässt keinen Zweifel: sie hat die islamische Mystik nicht nur studiert, sie liebt deren Spiritualität und poetische Sprache. Und deshalb gestattet sich die Literatur- und Religionswissenschaftlerin bei ihrem Vortrag über die Rezeptionsgeschichte des Sufismus, ein wenig über die neueren amerikanischen Übersetzungen des mittelalterlichen Mystikers Rumi zu lästern:

    Es mögen nette amerikanische Gedichte sein, aber wo ist der wahre Rumi, wo ist die Spiritualität? Das ist die gleiche Haltung, die wir bei Leuten finden, die sich als Sufis bezeichnen, weil sie vielleicht mal etwas Sufi-Tanz gemacht haben. Das ist genau diese moderne Einstellung zum Sufismus, die wir in den USA so häufig finden. Aber ich möchte nicht allzu viele unflätige Bemerkungen über diesen Trend machen,

    sagt Annemarie Schimmel, die für ihr tiefes Verständnis der islamischen Kultur im gesamten Vorderen Orient verehrt wird. Nach ihrem Vortrag scharen sich türkische Wissenschaftler um sie, Autogramme und Gruppenfotos mit Dame sind gefragt. 1954 war Schimmel als Professorin für Religionsgeschichte an die Islamisch-Theologische Fakultät der Universität Ankara berufen worden.

    Meine Generation wuchs mit Ihren Büchern auf. Jetzt lehre ich Religionswissenschaften und gebe sie meinen Studenten zu lesen.

    Wir sind ihr dankbar, sagt ein anderer junger Türke, dessen Professor bei Annemarie Schimmel studiert hat. Aber auch die Laien auf dem Gebiet der islamischen Mystik zieht die Orientalistin in ihren Bann. Eindrucksvoll ist, dass sie voll konzentriert mit geschlossenen Augen einen einstündigen Vortrag auf Englisch hält, den man verstehen kann, auch wenn man kein Spezialist ist.

    Trotz der Begeisterung für die Brückenbauerin: insgesamt sind schwere Zeiten für die Verständigung zwischen Morgenland und Abendland angebrochen, Annemarie Schimmel ist jedoch zuversichtlich, dass das neu erwachte Interesse am Islam irgendwann zur Abkehr von alten Vorurteilen führt:

    Manche schreiben mir, ich sei romantisch. Ich gebe die Hoffnung nicht auf.

    Ohne das wäre sie wohl nicht geworden, was sie ist, die große alte Dame der Orientalistik, die als 15-Jährige im Dritten Reich anfing, Arabisch zu lernen:

    Schon als Kind wusste ich, wo ich hingehöre, das war nicht politisch .. als Kind, klar... im Arbeitsdienst haben sie mir meine arabische Grammatik weggenommen, das war schlimmer als Schweineställe sauber zu machen.