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"Ich glaube, dass ich durchaus diplomatisch sein kann"

Pharmazie.- Morgen beginnt der Medizinprofessor Jürgen Windeler einen neuen Job. Er wird neuer Leiter des Arzneimittelprüfinstituts IQWiG. Im Interview mit Ralf Krauter spricht er über die Reize dieser neuen Herausforderung.

31.08.2010
    Ralf Krauter: Seine Eignung für den Job als oberster Medizingutachter hatte Professor Peter Sawicki eigentlich nie jemand abgesprochen. Dass sein Vertag als Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, IQWiG, nach sechs Jahren dann doch nicht verlängert wurde, hatte deshalb wohl vor allem politische Gründe. Sawicki galt als kompromissloser Pharma-Schreck und war manchen ein Dorn im Auge. Wer allerdings glaubt, sein Nachfolger werde auf Schmusekurs mit der Industrie gehen, könnte sich täuschen. Denn auch Professor Jürgen Windeler ist ein bekannter Vorreiter der evidenzbasierten Medizin und jetzt am Telefon. Herr Professor Windeler, bereits in Ihrer Doktorarbeit in den 1980ern haben Sie gezeigt, dass ein damals eifrig eingesetzter Krebstest den Patienten nachweislich gar nichts brachte. Auch Ihr weiterer beruflicher Werdegang liest sich so, als hätten Sie sich seit Jahren nur auf die neue Aufgabe vorbereitet. Ist das Ihr Traumjob, den sie da morgen antreten?

    Jürgen Windeler: Also ich träume eigentlich andere Dinge. Es ist, glaube ich, richtig was sie sagen, dass ich relativ viele Facetten dieser Arbeit, die mich ab morgen erwartet, kennengelernt habe - von einer klinischen Tätigkeit, auch einer Tätigkeit als Pflegekraft, über eine Tätigkeit in der Wissenschaft, über eine längere Tätigkeit jetzt beim Medizinischen Dienst, also im engeren Umfeld der gesetzlichen Krankenversicherung. Insofern ist richtig, dass ich eine ganze Reihe von Perspektiven eingenommen habe und kennengelernt habe, die mir wahrscheinlich ab morgen sehr hilfreich sein werden.

    Krauter: Welche Rolle wird das IQWiG künftig, also unter Ihrer Leitung, im deutschen Gesundheitswesen spielen?

    Windeler: Ich hoffe und werde daraufhin arbeiten, dass es eine gute und auch hoffentlich einflussreiche Rolle spielen wird. Denn es ist natürlich schon im Sinne eines solchen Instituts und auch im Interesse eines solchen Instituts, dass die Bewertungen, die Arbeitsergebnisse, die dieses Institut vorlegt, möglichst auch Realität in der Gesundheitsversorgung gewinnen. Also es sollte möglichst schon so sein, dass Entscheidungen im gemeinsamen Bundesausschuss getroffen werden, bei denen die Ergebnisse, die das IQWiG erarbeitet hat, eine sehr tragende Rolle spielen.

    Krauter: Sie sollen ja die Fakten liefern, auf deren Grundlage dann entschieden wird. Was genau wollen Sie anders machen als ihr Vorgänger, Professor Peter Sawicki?

    Windeler: Also ich glaube nicht, dass sehr viel Bedarf besteht, etwas anders zu machen. Ich glaube, dass das IQWiG in der Vergangenheit sehr überzeugende Ergebnisse vorgelegt hat, übrigens Ergebnisse, die international von allen Institutionen genauso geteilt worden sind, die auch international sehr hochrangig publiziert worden sind zu einem Teil. Insofern habe ich nicht den Eindruck, dass jetzt auf der fachlichen Ebene irgendwie größere Änderungen oder auch größere Kurskorrekturen erforderlich sind.

    Krauter: Also eine Aufweichung der relativ strengen Qualitätskriterien für klinische Studien zum Beispiel ist nicht geplant. Die hat ja unter anderem zum Beispiel dazu geführt, dass man relativ lange über Analogstoffe für Insulin und so weiter diskutiert hat.

    Windeler: Eine Aufweichung der Kriterien ist im Moment nicht geplant, auch nicht sinnvoll. Ich betone nochmal: auch im internationalen Vergleich nicht sinnvoll, die sind teilweise strenger als das IQWiG, andere Institutionen. Die Diskussion, die sie ansprechen, hat auch weniger etwas mit Maßstäben an die Studien zu tun, sondern hat teilweise etwas mit Erwartungen zu tun, Erwartungen die Ärzte an die Bewertungsergebnisse hatten oder auch Erwartungen, die Patienten an die Ergebnisse hatten. Die Diskussionen tauchen natürlich immer dann auf, wenn die Erwartungen, die Einzelne oder einzelne Gruppen an die Ergebnisse des IQWiG haben, nicht erfüllt werden. Da die Erwartungen meistens positiv sind, gehen die Diskussionen über die Methodik in der Regel dann los, wenn das IQWiG skeptische Ergebnisse liefert. Und man kann nicht mit jedem skeptischen Ergebnis, was das IQWiG erarbeitet, die Methode infrage stellen oder komplett neu diskutieren.

    Krauter: Die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat Ihrem Vorgänger Peter Sawicki einmal geraten: Seien Sie doch diplomatischer. Wie diplomatisch wollen Sie sein?

    Windeler: Ich glaube, dass ich durchaus diplomatisch sein kann. Andererseits geht es mir schon sehr klar und sehr zielgerichtet um die Sache und um die Umsetzung bestimmter Ergebnisse, weil ich einfach glaube, dass es für die Patienten sehr notwendig ist, die Spreu die vom Weizen im Gesundheitswesen zu trennen und sehr deutlich zu sagen, das und das macht Sinn, das sollte auch unterstützt und gefördert werden. Und das und das macht nicht so viel Sinn oder kein Mensch weiß, wie viel Sinn es macht. Dem sollte dann auch mit Zurückhaltung und Skepsis begegnet werden. Ob ich jetzt in allen Fällen mit meiner Vorstellung eines diplomatischen Vorgehens erfolgreich sein werde, werden wir mal sehen. Diplomatie hat natürlich auch sagen wir mal ein konkretes Ziel. Nämlich Ergebnisse, die man sich vorstellt zu erreichen. Aber Diplomatie heißt nicht, dass man nicht auch sehr klar und deutlich seine Position vertritt.

    Krauter: Kluge Empfehlungen basieren auf klaren Fakten. Die Rolle der klinischen Studien haben wir schon angesprochen. Ein Vorschlag Ihres Vorgängers, kürzlich geäußert gegenüber dem Ärzteblatt, lautete nun: Die Krankenkassen sollen selbst klinische Studien in Auftrag geben und auch bezahlen, um künftig unabhängiger von der Pharmaindustrie zu werden. Sehen Sie das auch so?

    Windeler: Also der Vorschlag wird schon seit vielen Jahren diskutiert, immer wieder mit auch neuen Varianten angereichert. Ich kann mir einen solchen Vorschlag im Grundsatz auch vorstellen, wobei es gar nicht so sehr darum geht, dass die Krankenkassen das bezahlen, sondern es darum gehen würde, dass das Gesundheitssystem eben einen Teil und - alle sind sich klar darüber - einen vergleichsweise sehr kleinen Teil für Studien und für die Erforschung von Anwendungen aufbringen könnte. Ich möchte allerdings ganz ausdrücklich darauf hinweisen, dass es dann mindestens so intensiv darum gehen muss, nicht Arzneimittel zu bewerten und in Studien zu bewerten als Arzneimittel, denn wir haben im Gegensatz zu Arzneimitteln im Bereich von nicht-medikamentösen Anwendungen das Problem, dass dort teilweise gar keine Studien gemacht werden, sodass wir also dort ein größeres Defizit in der Zahl und in der Ausgestaltung ... als bei Arzneimitteln.

    Krauter: Was glauben Sie, abschließend gefragt, wird in den kommenden drei Monaten die größte Herausforderung, Herr Professor Windeler?

    Windeler: Die nächst Herausforderung wird erst einmal, das Institut so kennenzulernen, dass ich alle Arbeitsabläufe, alle Menschen, die dort arbeiten und alle Inhalte gut verstehe und beurteilen und nachvollziehen kann. Und es wird sicherlich, so ist es im Moment absehbar, die Ausgestaltung des neuen Arzneimittelbewertungsgesetzes, des sogenannten AMNOG werden, wo das IQWiG eine sehr wichtige und auch neue Rolle bekommt. Das ist eine große Herausforderung, einfach was die Menge der Bewertungen und auch die damit verbunden Zeitvorstellungen angeht.