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"Ich glaube, er ist fallen gelassen worden"

Warum gerade jetzt? Der pakistanische Geheimdienst, der den Terror-Chef lange beschützte, habe sein Interesse an der Figur verloren, sagt der Terrorismus-Experte Michael Pohly. Und auch für die USA habe bin Laden als "internationales Feindbild" ausgedient.

Michael Pohly im Gespräch mit Christian Bremkamp | 02.05.2011
    Christian Bremkamp: Jubel, Freudenfeiern, spontane Straßenpartys, knapp zehn Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 feiern Tausende US-Bürger die überraschende Nachricht vom Tod des Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden. Unter "USA, USA"-Rufen, dem Singen der Nationalhymne und begeistertem Schwenken der US-Flagge "Stars and Stripes" versammeln sich die Menschen vor dem Weißen Haus in Washington, auf dem Santa Monica Boulevard in Los Angeles und dem Ground Zero in New York, dem Ort, wo bei den Anschlägen vor zehn Jahren die Türme des World Trade Centers eingestürzt waren.

    Osama bin Laden lebt nicht mehr, die Menschen in den USA freuen sich. Doch wie wird diese Meldung in Pakistan aufgenommen, dort wo er aufgespürt und getötet wurde? Osama bin Laden war der meist gesuchte Mann der Welt und wurde in Verstecken in Afghanistan beziehungsweise Pakistan vermutet. Die USA machten ihn für die Terroranschläge vom 11. September verantwortlich, bei denen fast 3000 Menschen getötet wurden. Auf seine Ergreifung oder Tötung war ein Millionen-Kopfgeld ausgesetzt.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den Islam-Forscher und Terrorismus-Experten Michael Pohly. Er ist Herausgeber des Buches "Osama Bin Laden und der internationale Terrorismus". Guten Tag, Herr Pohly.

    Michael Pohly: Guten Tag, Herr Bremkamp.

    Bremkamp: Der Jubel in den USA scheint, keine Grenzen zu kennen. Teilen Sie die Euphorie der Menschen dort?

    Pohly: Nun, den Jubel der Amerikaner kann man insofern verstehen, weil sie sehr stark geneigt sind zu personifizieren. Also das Böse wird hier sozusagen mit Personen konfrontiert oder identifiziert. Und sie haben natürlich mit Osama bin Laden jetzt jemanden getroffen, der sie am tiefsten selber getroffen hatte, und Rache ist natürlich auch eines der Phänomene und sie haben jetzt sozusagen ihrer Rache Genugtuung getan.

    Bremkamp: Können Sie das verstehen, diesen menschlichen Zug?

    Pohly: Nicht so ganz. Das kann man höchstens so sagen, Auge um Auge, Zahn um Zahn, dieses alte biblische Motiv, das scheinbar immer noch in den USA gelehrt und gelebt wird ein Stück weit, hier anders als in Europa. Ich denke aber, dass die Euphorie in der Form sicherlich nicht gut ist, weil das Netz, das Osama bin Laden geschaffen hat, ein anderes geworden ist, als es noch vor zehn oder vor 15 Jahren war.

    Bremkamp: Das wollte ich Sie gleich sowieso noch fragen. Ist denn Al Kaida nun geschwächt, oder haben vielleicht längst andere Köpfe Führungsrollen übernommen?

    Pohly: Nun, Al Kaida ist sicherlich massiv geschwächt, weil ihre große Identifikationsfigur, derjenige, der das Charisma hatte, der ist weg. Also die Bedeutung von Osama bin Laden und Al Kaida lag eher daran, dass er geschaffen hat, widerspenstige, miteinander verfeindete Gruppierungen und Personen zusammenzubringen, was sicherlich im Moment niemand so richtig in der Lage ist nach ihm.

    Sawajiri, der noch da ist, der sicherlich für die Logistik und für das militärische Engagement wichtig und notwendig ist, hat nicht dieses Format, hat nicht dieses Charisma, diese ganzen Gruppen zusammenzuhalten.

    Bremkamp: War denn Osama bin Laden zuletzt noch voll eingebunden in dieses Netzwerk?

    Pohly: Man muss dazu sagen, dass man über die letzten Jahre so gut wie gar nichts weiß. Er ist im Prinzip 2002 und 2003 aus dem Fokus verschwunden. Es gab immer wieder mal Berichte, dass er eigentlich schon getötet worden ist. Wir konnten den Meldungen aus Pakistan nie trauen, weil eines kann man sicherlich sagen: Es muss irgendwas in Pakistan passiert sein, dass der ISI, das heißt der pakistanische Geheimdienst, nicht mehr die Hand über Osama bin Laden halten konnte.

    Bremkamp: Haben Sie eine Idee warum?

    Pohly: Das weiß ich nicht. Ich denke, dass die politischen Verhältnisse sich in Pakistan geändert haben, dass sie inzwischen den Islamismus selber als Gefahr und als Bedrohung sehen und nicht mehr damit so offen kokettieren können wie in den letzten Jahren, wie sie das immer gemacht haben. Ich denke, das ist einer der Hauptgründe, warum es dazu gekommen ist, dass Osama bin Laden überhaupt hier den Amerikanern quasi offen freigegeben worden ist, weil dass der ISI und Osama bin Laden zusammenhängen, das ist von Anfang an bekannt gewesen.

    Bremkamp: Inwieweit hat sich das Netzwerk eigentlich verändert seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, speziell vielleicht auch in Pakistan?

    Pohly: Man muss dazu sagen, dass das Netzwerk sich ja in Afghanistan hat ausleben können eine Zeit lang, hat dort sozusagen sein Schreckensregime errichten können, wobei die Afghanen selber, was Osama bin Laden anbelangt, ihn eher als einen Fremdkörper empfunden haben und nicht als ein Vorbild. Entscheidend ist, dass der pakistanische ISI, das heißt der Geheimdienst, hat die logistischen Fäden gesponnen. Das heißt, ohne diesen pakistanischen Geheimdienst und das Geld, das aus dem Drogenhandel kommt, das auch wiederum über den Geheimdienst gelaufen ist und auch zum Teil aus Saudi-Arabien gekommen ist, ist Osama bin Laden und el-Kaida gar nicht zu denken.

    Das Netzwerk hat sich insofern geändert, als es doch zunehmend in die Defensive gedrängt worden ist. Sie haben wichtige Leute verloren international und sie konnten lokal eben nicht mehr auf ein erfolgreiches Emirat, wie sie es eine Zeit lang in Afghanistan errichtet hatten, zurückblicken, sondern sie sind eigentlich seit dem 11. September 2001 in der Defensive gewesen.

    Bremkamp: Hat es Sie eigentlich verwundert, dass bin Laden nun in einer Stadt mitten in Pakistan aufgespürt wurde und nicht in einer Berghöhle, wie ja häufiger mal spekuliert wurde?

    Pohly: Also wenn man weiß, dass bin Laden auf medizinische Hilfe angewiesen ist, weil er ja angeblich schwer zucker- oder nierenkrank sein soll, oder beides, bedarf er einer permanenten medizinischen Versorgung. Das ist in den tribal areas nicht zu gewährleisten. Das heißt, er musste unmittelbar in einer Umgebung leben, wo er einen Zugang zu medizinischer Versorgung hat.

    Bremkamp: Und Unterstützung von oben hatte, bis gestern zumindest.

    Pohly: Selbstverständlich. Ohne die Unterstützung des pakistanischen Geheimdienstes wäre es ihm nicht möglich gewesen, so lange unterzutauchen. Und wenn Sie sehen, Islamabad ist das Zentrum, Raval Pindi ist das Zentrum des pakistanischen Geheimdienstes, dort wo er gefunden worden ist, das sind sicher knapp, was weiß ich, 40, 50 Kilometer weg, also das ist in unmittelbarer Nachbarschaft. Und es kann mir niemand erzählen, dass in Pakistan niemand wusste, wo dieser Mann sich befunden hat.

    Bremkamp: Hatte er denn keine Beschützer, sage ich mal? Ist er wirklich Ihrer Meinung nach völlig überrumpelt worden?

    Pohly: Ich glaube, er ist fallen gelassen worden.

    Bremkamp: Auch von seinen eigenen Leuten?

    Pohly: Nicht von seinen eigenen Leuten, von den Pakistani.

    Bremkamp: Gibt es denn noch genug eigene Leute?

    Pohly: Ich glaube, er kann schon auf ein bestimmtes Heer zurückblicken. Aber diese Leute, die aktiven Kämpfer, die sind eher in den tribal areas oder befinden sich in Karatschi, in den ganz, ganz großen Städten. In seiner unmittelbaren Umgebung wird er mehr, ich sage jetzt mal, unter Hausarrest vom ISI gestanden haben, weil man hat ihm ja mehr oder weniger untersagt, Botschaften, vor allem keine Videobotschaften mehr zu schicken.

    Man hat ja seit ein paar Jahren immer nur verbale Botschaften von ihm bekommen, die sind immer wieder über denselben Zug eingespeist worden. Das heißt, man hatte immer den Kontakt hier zum ISI gehabt, weil die Art und Weise, wo sie abgegeben worden sind, waren immer dieselben.

    Bremkamp: Fast zehn Jahre nach dem 11. September - haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Zugriff gerade jetzt erfolgte und zudem erfolgreich war?

    Pohly: Wenn man böse spekulieren sollte oder darf, dass die Amerikaner ihn auch als Feindbild nicht mehr brauchen.

    Bremkamp: Das heißt?

    Pohly: Die Amerikaner haben genügend Probleme weltweit. Sie haben im Irak ein Problem, sie haben in Afghanistan ein Problem, sie haben eine neue Front in Libyen aufgemacht, Obama hat mit der Heimatfront zu kämpfen und er muss jetzt Erfolge vorweisen. Ich glaube, die Amerikaner brauchten ihn als internationales Feindbild nicht mehr, weil im Moment die gesamte arabische Welt im Umbruch ist, so dass man nicht mehr auf Osama bin Laden rekurrieren muss.

    Bremkamp: Der Islam-Forscher und Terrorismus-Experte Michael Pohly war das. Herzlichen Dank.

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    2004: Bin Laden bekennt sich zu Anschlägen am 11. September
    2004: Bush begrüßt Abschlussbericht zum 11. September
    2004: Al-Kaida wollte am 11.9. offenbar zehn Ziele angreifen

    Bin Laden ist tot - Tagesthema bei DRadio Wissen