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"Ich hab Hip-Hop gerettet, und ich mach's noch mal"

1997 hat er Stefan Raab das Nasenbein gebrochen, seitdem war Moses Pelham der liebste Bösewicht des deutschen Raps. Lange vorbei: Mit "Geteiltes Leid III" vollendet er jetzt seine Album-Trilogie und lässt den Battle-Rap hinter sich. Richtig böse ist er auf niemandem mehr, aber er hat noch immer etwas zu sagen.

Das Gespräch führte Sascha Verlan |
    Sascha Verlan: Mitte der 90er-Jahre sind Sie bekannt geworden mit dem Rödelheim-Hardtheim-Projekt. Genau genommen war es 1994. Vor allem damals mit Battle-Raps, mit Battle-Texten. Das spielt auch auf dem neuen Album jetzt eine wichtige Rolle …

    Moses Pelham: Ehrlich?

    Verlan: Ja. "Ultra" … "Hooo"

    Pelham: Ja aber das sind ja die beiden Stücke, die, wenn überhaupt, noch im entferntesten an Battle erinnern. Aber ansonsten ist ja diese Platte eigentlich gänzlich frei von jeder Form des Battle-Reims. Also auch in den beiden Stücken ist es ja nur, wird es so gestreift, na.

    Verlan: "Ich will gar nicht wissen, was die Kinder grade labern, was für infantile Sprüche die mit Fingerfarben malen". Das ist doch die beste Battle-Rap-Zeile der letzten Jahre.

    Pelham: Also wie gesagt, da sind ein paar Sprüche drin in beiden Stücken, und deshalb erinnert es an Battle-Rap noch. Aber der Witz beim Battle-Rap ist ja teilweise auch, dass man ganz ausdrücklich einen ganz bestimmten Menschen anspricht, und das tu ich ja nun überhaupt nicht mehr.

    Verlan: Nein, das ist ja aber auch verloren gegangen, diese direkte Auseinandersetzung. Trotzdem die Frage, wer ist denn gemeint, mit den Kindern?

    Pelham: Das sind so Zeilen, die man aufschreibt, wenn man mal alleine sitzt und sich ein bisschen unverstanden fühlt oder sich Dinge anguckt, die einem nicht besonders gefallen. Also das will ich jetzt auch nicht auf die Goldwaage legen.

    Verlan: Trotzdem lese ich dann eine Zeile: Ich hab Hip-Hop schon mal gerettet, ich werd's auch noch mal tun.

    Pelham: "Denn ich hab Hip-Hop gerettet, und ich mach's noch mal." Also ich mein, ich spiel natürlich auch mit meiner Rolle in der Sache, das ist doch klar.

    Verlan: Wie ist denn die Rolle, wie würden Sie die beschreiben?

    Pelham: Vor 17 Jahren, da gab's ein Stück auf Rödelheim-Hardtheim-Projekt, auf "Direkt aus Rödelheim", das hieß "Papa", und dann bin ich jetzt der Opa … Ich hätte heute Morgen diese Clownies nicht frühstücken sollen …

    Verlan: Das ist ja aber schon, zumindest, wenn man das in Deutschland betrachtet, ja eine interessante Sache, dass überhaupt jemand jenseits der …

    Pelham: … in meinem Alter noch auf die Bühne geht, meinen Sie?

    Verlan: Nicht auf die Bühne per se, aber auf die Rap-Bühne. Was hat Sie dazu bewogen, sich das noch mal …

    Pelham: … anzutun, wollten sie sagen?

    Verlan: Ich war jetzt kurz am zögern, einfach um zu gucken -

    Pelham: Also ganz einfach das dringende Bedürfnis, gewisse Dinge zu formulieren und daraus Stücke zu machen. Also es ist ja nicht so, dass man mich dazu gezwungen hätte oder so was. Oder dass das grade in 'nem Flow war, dass man sagt, ach guck mal, wir haben vor zwei Jahren diese erfolgreiche Platte gemacht, jetzt muss spätestens nach zwei Jahren die Nächste kommen. Sondern das sind irgendwie acht Jahre.

    Das macht man dann nicht, weil irgendjemand einen dazu drängt oder so was, sondern weil man unbedingt will, weil man das Gefühl hat, was zu sagen zu haben. Also ich hab auch das Gefühl gehabt, dass die beiden vorherigen Teile lieb und nett sind, aber überhaupt kein Zeugnis für den Menschen ablegen, der ich heute bin. Und ich hätte gerne eine Platte, die das formuliert, was mir heute am Herzen liegt und wie ich die Dinge heute sehe.

    Verlan: Muss die Platte denn kommerziell erfolgreich sein?

    Pelham: Ja ist immer schöner, wenn man ein gewisses, positives Feedback bekommt, na, ist doch klar. Wir wollen doch alle irgendwie in Arm genommen werden, wollen, dass unsere Arbeit gewertschätzt wird. Das ist doch klar, dass ich mir das wünsche.

    Verlan: Früher gab es ja ähnliche Diskussionen. Also 94, 95, da war die Diskussion um Rödelheim-Hardtheim-Projekt, dann jetzt 2005, 06, 07, die letzten Jahre war dann die Diskussion um Aggro-Berlin. Gibt es da Unterschiede? Gibt’s da - Also früher, ich erinnere mich noch, SWF hat sich dann darüber mokiert, dass es um Pflastersteine geht, die geworfen werden oder die jemand fressen muss …

    Pelham: Ich hab das natürlich nie so empfunden. Es kann sein, dass wenn man das von außen betrachtet als 'ne ähnlich polarisierende Bewegung wahrnimmt. Aber für mich war das tatsächlich ganz anders in meiner persönlichen Wahrnehmung. Das zweite, was ich dazu sagen muss, ist, dass ich aus heutiger Perspektive einfach sagen muss, dass da echt ganz viele dumme Sachen im Eifer des Gefechts gesagt wurden. Das ist ganz einfach.

    Und als sie eben diese Sache mit dem Bordstein zitierten, da ist mir ganz kurz wirklich übel geworden. Und das waren ja meine Worte. Und das ist mir wirklich fürchterlich unangenehm. Ich find' das, wenn ich könnte, würde ich sie sofort zurücknehmen.

    Verlan: Sie sagten grade, dass sie gerne ein Album haben, das den Menschen Moses Pelham 2012 repräsentiert. Jetzt ist auf der Platte auch ein Song "Himmelfahrtskommando". Da heißt es: "Scheiß mal auf 'n Text, auf 'n Beat und so Sachen. Das ist 'n bisschen zu komplex, um ein Lied draus zu machen." Zwei Fragen. Erstens: Es ist ja dann doch ein Lied draus geworden. Das heißt, es ist gereimt, rhythmisch gesprochen auch. Und auf der anderen Seite dann doch die Frage …

    Pelham: … aber den Beat gibt’s wirklich nicht in dem Lied.

    Verlan: Der Beat ist weggelassen, okay. Aber ich höre ihn genau, weil der Text ja mit seinem Flow ja doch trotzdem …

    Pelham: … ja und da ist ja auch ne gewisse Perkussion von diesen Glöckchen, die schon ganz klar vorgeben, wo man ist, das stimmt. Aber das Stück spielt ja dauernd mit dem Fehlen von irgendwas. Also wenn's keine Worte dafür gibt, dann singen wir nicht, und dann gibt’s auch keinen Refrain nach der Strophe und so, also darum geht’s in dem Stück halt einfach, dass was fehlt.

    Verlan: Weil mich diese zwei Zeilen direkt an Chuck D erinnert haben, dass Rap immer nur ein Einstieg sein kann, und wenn man wirklich was über die Welt erfahren will, jetzt als Rezipient beziehungsweise umgedreht, wenn man wirklich etwas über die Welt aussagen will, dann müsste man eigentlich Bücher schreiben. Also gibt’s Sachen, die wir jetzt nicht erfahren können, weil wir eben nur eine Rap-Platte haben?

    Pelham: Ja, da ist bestimmt was dran. Also diese Platte kann ja niemals ganz und gar, egal was, erklären, sondern kann nur Sie oder einen andern Rezipienten an einen gewissen Zusammenhang erinnern, den er bereits in sich hat. Und darin besteht die Freude in der Sache. Also weil dann, zu allem andern ist es ja wirklich zu knapp.

    Aber wenn in Ihnen das gerührt wird, das bei mir gerührt war, als ich es niedergeschrieben habe, dann entsteht da eine Verbindung, die glaub ich viel Freude macht und eine gewisse Geborgenheit spendet. Das ist ein bisschen wie einen Witz erzählen, wenn man dann am Ende gemeinsam drüber lachen kann. Wissen Sie, was ich meine?

    Verlan:
    Wenn ich mir das "Für die Ewigkeit", ich nehm' den Songtitel, ich schau mir den Text an, ich schau mir das Video an, das ist ein Vermächtnis, oder?

    Pelham: Hmm, absolut, ja …

    Verlan: Alte Weggefährten kommen im Video vor, die alten eigenen Videos werden zitiert, das Sofa, steht 's auf dem Sperrmüll, Fragezeichen?

    Pelham: Nee, steht eigentlich bei mir zuhause, aber für die Geschichte des Videos fand ich witzig, dass es auf dem Sperrmüll steht.

    Verlan: Ist das ein Abschied, ist das ein Vermächtnis?

    Pelham: Es ist auf jeden Fall mal eine Zusammenfassung dessen, was da bisher passiert ist und so ein Blick darauf, eine Bewertung meinerseits, wie sieht denn dieser Weg aus der heutigen Perspektive aus, wenn man zurückschaut, und was ist aus meiner Perspektive der vernünftigste Weg, damit umzugehen. Und damit hört das Stück halt auch auf. Und falls ich's schaff, sag ich dir, liebe selbst deinen Mörder mit aller Kraft, das sind die letzten sieben Wörter. Also ich wär auch, wenn das das Letzte wäre, das ich jemals Gelegenheit hatte zu entäußern, wäre ich damit auf jeden Fall zufrieden.

    Verlan: Das Video hört ja anders auf. Da ist ja am Schluss ja dann noch diese Zeile: "Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende". Das ist natürlich eine Abwandlung von dem ursprünglichen Anfangsslogan, sag ich mal: "Wenn es nicht hart ist, dann ist es nicht das Projekt." Und jetzt: "Wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende?"

    Pelham: Ahh, das ist ein Zusammenhang, den ich nie gesehen habe.

    Verlan: Der ist aber auf der reinen Satzebene, und ich jetzt von der Literatur her kommend, ja gar nicht …

    Pelham: … hab ich nie so empfunden. Ich hab dabei immer … es gab vor 15 Jahren mal ein T-Shirt auf dem stand hinten halt 3P und vorne: "Am Ende siegt das Gute". Und das zitier ich ja auch in "Für die Ewigkeit", also "am Ende siegt das Gute, das kann das Ende nicht sein". Und der Satz, der da am Ende dann eingeblendet wird, der ganz oft Oskar Wilde zugeschrieben wird, ist halt als Formulierung für mich catchier gewesen und deckt sich tatsächlich mit dem, wie ich es empfinde.

    Nee, das ist nicht als Ende meiner Karriere als Solokünstler geplant, aber wie ich gerade sagte, sollte das das Ende sein, so wäre ich damit sehr zufrieden und halte das für ein würdiges, für ein vernünftiges.

    Verlan: Das war das Schlusswort.