Dienstag, 07. Mai 2024

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"Ich habe dieses Projekt immer kritisch gesehen"

Der Startschuss für die Ostseepipeline ist gefallen. Das über sieben Milliarden Euro teure Projekt soll Gas für mehr als 25 Millionen Haushalte liefern. Reinhard Bütikofer, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, fürchtet, dass die Rohre im Meeresboden mit Altlasten aus Weltkriegszeiten kollidieren könnten.

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.04.2010
    Friedbert Meurer: Sie heißt "Nord Stream", weil es auch eine südliche Leitung in Planung gibt, und die Vorbereitungen für diese nördliche Gaspipeline, die laufen seit Jahren. Der Meeresboden ist mit Kameras unter die Lupe genommen worden, um die best mögliche Trasse zu finden. Alle Anrainerstaaten rund um die Ostsee mussten ihr Plazet geben und ein Konsortium wollte dann natürlich auch gefunden werden, das die Baukosten trägt, die immerhin über sieben Milliarden Euro betragen. Beteiligt sind auf russischer Seite Gazprom und auf deutscher die Energiekonzerne E.On und Wintershall. Gerhard Schröder hatte sich als Bundeskanzler und gerade auch danach für das Projekt stark gemacht, als Vorsitzender im Betreiberkonsortium, wurde viel dafür kritisiert, heute Morgen aber vom CDU-Politiker und EU-Energiekommissar Günther Oettinger bestätigt.

    O-Ton Günther Oettinger: Mit jeder weiteren Pipeline wird die Versorgungssicherheit erhöht und die Pipeline, die durch die Ostsee führen wird, hat einen modernen Standard, hat hohe Kapazitäten. Damit ist die Versorgungssicherheit für Europa auf einem guten Wege.

    Meurer: Günther Oettinger heute Morgen im Deutschlandfunk. Heute also Baubeginn auf russischer Seite für die Nord-Stream-Gaspipeline, die unter der Ostsee verlegt werden soll. Es gab eine Reihe von Vorbehalten und Kritik, heftige Diskussionen sogar, Deutschland mache sich zu sehr abhängig von russischem Erdgas. Das war ein Punkt und ein anderer, dass sich Polen und Balten an unselige Zeiten erinnert fühlten und sich übergangen fühlten von der Vereinbarung zwischen Deutschland und Russland. Reinhard Bütikofer war Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, sitzt heute für seine Partei im Europaparlament. Guten Tag, Herr Bütikofer.

    Reinhard Bütikofer: Ich grüße Sie, Herr Meurer.

    Meurer: Befürworten Sie persönlich rundum die Gaspipeline unter der Ostsee?

    Bütikofer: Nein! Ich habe dieses Projekt immer kritisch gesehen, wobei man sicherlich einräumen wird, dass eine Versorgung mit Gas in einer Übergangsperiode zwischen der heute noch sehr stark fossil orientierten Energiewirtschaft und einer künftigen regenerativen Energiewirtschaft durchaus sinnvoll ist – schlicht deswegen, weil Gas pro Kilowattstunde gerechnet viel weniger CO2-Emissionen verursacht als sagen wir die ostdeutsche Braunkohle.

    Meurer: Aus welchem Grund sind Sie dann dagegen, gegen die Pipeline?

    Bütikofer: Es gab die Umweltbedenken und es gab auch die, sage ich jetzt mal, außenpolitischen Aspekte, die nicht nur polnische und baltische sind, sondern da spielt ja auch das Verhältnis zwischen dem Westen beziehungsweise Russland und der Ukraine mit hinein. Eines der Hauptargumente von russischer Seite war ja, jetzt mal ein bisschen polemisch zusammengefasst, die Ukraine ist unzuverlässig als Transitland, lasst uns doch diese Kerle außen vor lassen, wir machen eine Umgehung und dann müssen wir uns damit nicht mehr befassen. Da klingt im Hintergrund ja durchaus eine nach wie vor vorhandene Unzufriedenheit in Russland mit dem Weg der Ukraine an, und wenn Russland nicht mehr auf eine Partnerschaft mit der Ukraine in Transitfragen angewiesen ist, oder nicht mehr so stark darauf angewiesen ist, wächst natürlich der Hebel, mit dem dieses Land zwischen Russland und der EU unter Druck gesetzt werden kann. Diese strategischen Fragen spielen alle mit hinein.

    Meurer: Die Interessen der Ukraine kann man ja nachvollziehen, Herr Bütikofer, aber was hindert uns daran, an unsere Energieversorgung zu denken und zu sagen, wir wollen nicht die Scherereien über die Transitländer haben?

    Bütikofer: Wen meinen Sie denn jetzt mit "uns"? Meinen Sie mit "uns" jetzt wirklich nur die Deutschen?

    Meurer: Europa und Deutschland.

    Bütikofer: Da sind wir auf der EU-Ebene einen Schritt weiter. Wir haben mit dem Lissabon-Vertrag jetzt eine Formulierung, die eine europäische Energiesolidarität als Ziel formuliert. Wir sagen nicht mehr "wir" und meinen damit die Deutschen, und die Balten und die Polen können uns gestohlen bleiben, sondern wenn wir heute "wir" sagen, dann meinen wir die europäische Perspektive. Insofern, glaube ich, haben wir gelernt aus diesen verschiedenen Krisenwintern, als es immer wieder Kalamitäten gab. Ich halte das für richtig und wenn man es mal von der stofflichen Seite her betrachtet: Wie viel künftige Gasversorgung aus dem Osten werden wir denn brauchen? Sicherlich kann man sagen, jede zusätzliche Pipeline schafft weniger Abhängigkeiten bezüglich derer, die vorher schon da waren.

    Meurer: Es heißt, es geht um Gas für 25 Millionen Haushalte.

    Bütikofer: Na ja, ich glaube halt, dass man bei der Gasversorgung immer auch darauf sehen muss, dass man nicht nur den Input berechnet, sondern auch die Effizienz im Verbrauch berechnet. Heute verwenden wir Gas in Deutschland überwiegend im Wärmebereich, und dort wird so uneffizient operiert, dass man sagen kann, von jedem Euro, den wir dafür ausgeben, sind 60 Cent verschwendet. Da heizen wir sozusagen zum Fenster heraus oder zur Wand heraus, weil die Häuser so schlecht isoliert sind. Würden wir also energieeffizient mit dem importierten Gas umgehen, wären wir viel weniger von zusätzlichen Importen abhängig.

    Meurer: Aber reicht das aus? Wenn ich richtig zusammenfasse, Herr Bütikofer: Ihre Partei ist gegen Kohlekraftwerke, Sie sind gegen die Gaspipeline unter der Ostsee und Sie sind gegen eine verlängerte Laufzeit für Atomkraftwerke, und erneuerbare Energien stehen noch nicht ausreichend zur Verfügung. Wie soll da die Lösung aussehen?

    Bütikofer: Das ist jetzt keine Zusammenfassung, sondern das ist der ungeschickte Versuch, polemisch zu werden.

    Meurer: Es ist eine Zusammenfassung des Naheliegenden.

    Bütikofer: Nein, nein. Sehen Sie, ich habe ja nicht gesagt, jetzt stellen wir die Gasversorgung ein, und das sollten Sie mir auch nicht unterschieben wollen. Ich habe gesagt, damit habe ich angefangen, dass Gas in dieser Übergangsperiode durchaus eine sinnvolle Ressource ist, weil es weniger CO2-Belastung verursacht als Kohle oder Braunkohle gar. Das war mein Ausgangsstatement. Wenn wir aber über eine Gasversorgung nachdenken, dann müssen wir über eine effiziente Gasversorgung nachdenken und wir müssen schon – das habe ich betont, als wir über die Frage geredet haben, was meinen wir eigentlich mit "wir" – einen europäischen Blickpunkt nehmen und nicht nur sagen wir mal den Standpunkt der BASF oder einen vermeintlich deutschen Standpunkt.

    Meurer: Um Sie dann richtig und nicht falsch zusammenzufassen, Herr Bütikofer, Sie sagen, wenn es nach Ihnen ginge, keine Pipeline unter der Ostsee, sondern Status quo?

    Bütikofer: An dem Tag, an dem der Baubeginn ist, werde ich doch jetzt keine fiktive Debatte darüber führen, ob es richtig wäre, das Projekt zu planen, wenn wir noch mal ein paar Jahre in der Geschichte zurückwandern würden. Was wir im Europäischen Parlament im Auswärtigen Ausschuss gesagt haben, als in dieser Woche darüber noch mal diskutiert wurde, wir haben gesagt, wir wollen, dass darauf geachtet wird, dass der Beschluss des Europäischen Parlaments vom Juli des Jahres 2008 über die Umweltwirkungen dieser Pipeline ernst genommen wird. Das schließt zum Beispiel ein, dass man ernst nimmt, wenn jetzt BUND und WWF sagen, 50 Kilometer dieser Strecke nahe Greifswald bedrohen die Pflanzen und die Tiere in dieser Gegend, und dann muss man entsprechend damit vernünftig umgehen.

    Meurer: Da sagt das Konsortium, wir legen die Rohre nicht einfach auf den Meeresboden im Greifswalder Bodden, sondern wir buddeln sie ein. Reicht das?

    Bütikofer: Das wäre jedenfalls schon mal ein Schritt nach vorne.

    Meurer: Was muss noch kommen?

    Bütikofer: Ich finde, die Frage mit den Altlasten auf dem Grund der Ostsee aus Weltkriegszeiten ist nach wie vor eine große Gefahr. Ich bin mir nicht sicher, dass das Problem wirklich im Griff ist. Diese Fragen alle müssen, wenn jetzt dieser Baubeginn stattfindet – da führen wir ja keine illusionären Diskussionen -, berücksichtigt werden. Was Sie mich gefragt hatten war: Wie sehe ich die Begründung? Die Begründung für dieses Vorhaben wird ja im Moment auch von russischer Seite ein bisschen in Frage gestellt. Die Russen haben immer gesagt, wir nehmen das Gas von dem Stockmann-Gasfeld, das wir jetzt entwickeln, und bringen das über diese Ostseepipeline nach Europa. Jetzt haben sie gerade beschlossen, die Ausbeutung des Stockmann-Gasfeldes um ein paar Jahre zu verschieben. Also da bewegt sich so viel auf diesem Markt, unter anderem deswegen, weil in den USA jetzt die Ausbeutung von unkonventionellen Gasressourcen, sogenanntes Shale-Gas, plötzlich große Konjunktur hat und deswegen die LNG, also die Flüssiggas-Transporte, von den USA zum Teil nach Europa umgeleitet werden können. Da bewegt sich so viel, dass jeder, glaube ich, schief gewickelt ist, der da mit einer dogmatischen Position herangeht und sagt, je mehr Pipelines desto besser.

    Meurer: Danke schön! Das war Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, hier im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören.