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"Ich habe einen großen Ehrgeiz"

Die Schauspielerin Birgit Minichmayr ist derzeit Ensemblemitglied am Münchner Residenztheater und am Wiener Burgtheater. Für viele Kritiker ist sie das größte Schauspieltalent ihrer Generation. Diese Woche kommt ihr Film "Gnade" ins Kino, da spielt sie eine Ehefrau an der Seite von Jürgen Vogel.

Von Sigrid Fischer | 15.10.2012
    Sigrid Fischer: Neben Ihren Theaterengagements - zurzeit in München und Wien - drehen Sie eher gelegentlich Filme. Ist das dann ein Ausflug ins vielleicht leichtere Fach?"

    Birgit Minichmayr: Ernst nehmen tu ich beides, ernst nehmen tu ich meinen Beruf. Aber man spielt anders. Es ist ein anderer Energieaufwand für 1300 Leute zu spielen oder für den Partner und die Kamera, oder nur für den Partner und die Kamera schaut zu. Das ist energetisch eine ganz andere Geschichte. Je nachdem mit welcher Figur oder Geschichte man konfrontiert ist. Dementsprechend beschäftige ich mich, im speziellen Fall mit dieser Maria, der Figur aus Gnade, hab ich ja im Zuge dessen auch Norwegisch gelernt.

    Fischer: Ja das ist erstaunlich, Wie kann man in wenigen Wochen eine Sprache so lernen, dass ich als Zuschauer Ihnen glaube, dass Sie die richtig beherrschen?

    Minichmayr: Ja, ich hatte zwei Privatlehrer. Das wäre in einem Kurs nicht gegangen, weil die nur auf meine Bedürfnisse eingegangen sind. Ich hatte Grammatikunterricht, und jeden Tag zwei bis drei Stunden Konversation und dann auch noch Aussprache und am Abend kamen Freunde und haben mich Vokabeln abgeprüft. Aber ich hatte diesen Ehrgeiz, Matthias Wunsch zu erfüllen, zu improvisieren. Und das wollte ich einfach, ich wollte wissen, wie die Sprache funktioniert. Ich wollte den Satzaufbau kennen. Wie sprechen die? Was ist das für eine Melodie? Ich wollte die Sprache einigermaßen können und verstehen. Das war zu viel zu reden, als dass ich das rein phonetisch auswendig hätte lernen wollen. Und das ging auch mit Norwegisch in sieben Wochen, weil die Grammatik sehr einfach ist, und es hat sehr viele Wörter vom Altdeutschen, oder Norddeutschen auch. "Schnacken" sagt man ja auf Hamburgerisch, und "snocke" heißt es auf Norwegisch. Von daher waren die Vokabeln jetzt nicht nur fremd.

    Fischer: Das heißt Sprachen lernen ist für Sie keine Qual, sondern macht Ihnen Spaß?

    Birgit Minichmayr: Ja total! Im Zuge dessen merke ich schon, was für einen tollen Beruf ich habe, in welche Bereiche der mich immer bringt und mit welchem Wissen man konfrontiert werden darf.

    Fischer: Positive Kritiken bekommen Sie bei Film und Theater Birgit Minichmayr. Aber die Theaterkritiken sind besonders überschwänglich und euphorisch. Im Filmbereich wird so nicht über Schauspieler geschrieben, zum Beispiel lese ich da: "Sie gibt sich ganz. Sie liefert sich aus, ist ungestüm, zerbrechlich" und so weiter. Wie empfinden Sie das selbst – sehen Sie sich da richtig beschrieben, oder denken Sie: Na ja, das ist doch mein Beruf.

    Minichmayr: Ich mach den natürlich mit einer ganz großen Leidenschaft, kann gar nix anderes. Vielleicht hab ich das, ich reflektier das gar nicht so. Vielleicht ist das von außen so und für mich ist das normal. Es gibt bestimmt Leute, die schonen sich mehr in dem Beruf. Es gibt aber auch Schauspieler, die besessener sind. Das weiß ich nicht. Ich reflektier das nicht, weil das für mich nicht wichtig ist, in welchem Grad ich mich da reinstürze oder wie viel Prozent ich gebe. Ich hab einen großen Ehrgeiz, das kann ich bestätigen. Die Sachen, die ich mache, dafür zu stehen und auch haftbar gemacht zu werden. Aber das ist schon immer von einer Außenstilisierung, die mit mir und meinem Leben nicht so viel zu tun hat. Weil ich mich Gott sei Dank nicht beschreiben muss und auch nicht beschreiben möchte. Ich könnte das gar nicht. Ich tu mich schon schwer, meine Figuren zu beschreiben. Wie haben Sie sich das erarbeitet? Keine Ahnung, weiß ich nicht. Das entsteht am Set. Das hat auch viel mit Tagesverfassung zu tun. Da spielt soviel mit. Auch diese Figur, vom Kopf her hab ich die zuerst auch nicht verstanden, hab nur intuitiv was geahnt. Ich schöpf aber natürlich schon aus einer Erlebnisfähigkeit und aus einer Vorstellungskraft, sonst müsste ich ja tatsächlich ein Kind umfahren, damit ich weiß, wie ich das spielen soll. Wovon ich mir abraten würde.

    Fischer: Wie vereinbaren Sie Film- und Theaterarbeit – Sie sind ja in festen Produktionen und Spielzeiten am Theater. Wie können Sie dann einige Wochen nach Hammerfest fahren zum Filmdreh? Ist das nicht schwierig zu verbinden?
    Minichmayr: Ja, aber ich krieg dann frei. Da wird dann geblockt. Also in diesem Fall haben sie mich acht Wochen lang geblockt. Die Theater profitieren auch davon. Ich könnte dann am Theater nicht so arbeiten. Das ist einfach je nachdem, wie man den Vertrag aushandelt.

    Fischer: Durch diesen Drehort Hammerfest bei "Gnade" ist vermutlich automatisch eine relativ intime Arbeitssituation entstanden. Man war zwangsläufig eng beieinander, denn man konnte nicht weg.
    Minichmayr: Ja, aber ich bin generell ein Fan davon, wenn man mit einem Filmteam nicht in Städten dreht, wo jeder dann auch sein Privatleben führt. Ich hab das schon gerne, wenn man eine Zeit miteinander verbringt, wo es kein Entfliehen gibt, sondern wo sieben bis acht Wochen jeder an diesem Film arbeitet. Das genieße ich sehr. Heißt nicht, dass ich harmoniesüchtig bin. Man verbindet das immer miteinander. Sparringpartner sein für diese Zeit, gemeinsam an einem Strang ziehen, nicht gegeneinander arbeiten.

    Fischer: Sie suchen sich scheinbar schon sehr genau aus, mit wem Sie Filme drehen – da war Maren Ade mit "Alle Anderen", Michael Haneke, Tom Tyker, jetzt Matthias Glasner. Was ist Ihnen da wichtig? Das persönliche Verhältnis? Oder reicht ein tolles Drehbuch?

    Minichmayr: Nein, das ist schon: Wer erzählt die Geschichte und was hat das alles mit mir zu tun. Matthias Glasners Filme kannte ich alle und hab schon lange gehofft, dass es eine Begegnung gibt. Ich muss jemand nicht total mögen, damit ich mit ihm arbeite, aber interessieren muss er mich schon. Sonst weiß ich nicht, was eine gemeinsame Sprache werden kann, wenn man kein Interesse hat füreinander. Was Matthias Glasner für mich auszeichnet ist, der hat keine Angst davor, Schauspieler eine Eigenständigkeit zu überlassen. Das schätze ich sehr. Manchmal haben Regisseure ja Angst, weil sie denken, zu viel Eigenständigkeit macht ihnen den Film kaputt, so wie sie ihn sich vorstellen. Ich finde es großartig, wenn er einem vertraut, dass man selber auch bescheid wissen kann über das, was man da spielen will.

    Fischer: An einen anderen Ort gehen, neu anfangen, darum geht es in Ihrem Film "Gnade". Sie, Birgit Minichmayr, wechseln ja auch gelegentlich die Spielorte, sind vor einem Jahr von Wien aus ans Residenztheater München gegangen. Muss man sich die Publikumsgunst an einem neuen Haus dann jeweils neu erarbeiten?

    Minichmayr: Vorwiegend arbeite ich ja mit den Kollegen und den Regisseuren an einem Stück, man macht sich Gedanken und dieses Material zeigt man. Das kann unser Antrieb nicht sein - natürlich ist es schön, wenn das Haus voll ist und die Leute können damit was anfangen. Umgekehrt hab ich auch nix dagegen. Wir sind Geschmackssache.

    Fischer: "Gnade" lief auf der Berlinale im Wettbewerb dieses Jahr. Da gab es hinterher Buhrufe – in der Vorführung für die Presse. Die stecken Sie einfach so weg?

    Minichmayr: Wenn man sich nicht einlässt, glaub ich, dass man vielleicht verärgert rausgeht. Sollen sie machen, mein Gott.

    Fischer: Haben Sie auch schon Buhrufe im Theater erlebt?

    Minichmayr: Ja, ganz viel. Bei uns kriegen das mehr die Regisseure ab. Ich hab’s auch schon mal abbekommen. Wahrscheinlich auch zurecht, ich war auch nicht so glücklich mit dem, was ich da gespielt habe. Was soll ich machen? Da muss man durch. Das gehört dazu.

    Fischer: Das heißt, im Theater wird nicht höflich geklatscht und erst hinterher gelästert?

    Minichmayr: Nee, die entäußern sich schon und das ist auch voll in Ordnung. Können sich ruhig noch mehr entäußern, ich habe nichts dagegen. Ich habe da kein Problem. Ich mag auch, wenn die Leute lachen.