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"Ich habe gelernt, dass ich vor dem normalen Afghanen keine Angst haben muss"

Eines der Aufbauziele für Afghanistan ist die Ausbildung der örtlichen Polizei. Sie soll so schnell wie möglich selbst für Recht und demokratische Ordnung sorgen. Doch der Weg dorthin ist nicht einfach - weder für die deutschen Ausbilder - noch für die Schüler.

Von Sabina Matthay |
    Eine Polizeiwache in Mazar e Sharif. Acht Männer in der olivgrünen Uniform der afghanischen Polizei ANP drängen sich unter surrenden Ventilatoren. Sie haben Besuch:

    "I am from Germany, from the southern part of Germany,"
    Die deutsche Polizeitrainerin Steffi will den Afghanen an diesem Morgen zusammen mit einem Kollegen ein paar Grundfertigkeiten vermitteln:

    "Today we came here to make a pretty quick training with AK 47"

    Weil das Berühren fremder Männer für Frauen im konservativen Afghanistan tabu ist, übt der Kollege das Durchsuchen von Personen mit den Polizisten. Steffi zeigt ihnen den Umgang mit dem Sturmgewehr AK47:

    Eine Stunde später haben die acht den Bogen weitgehend raus. In kleinen Schritten hat die Trainerin aus Deutschland ihnen das Zerlegen und Zusammensetzen der Kalaschnikow gezeigt. Und ist zufrieden:

    "Machen, Machen, Machen, keine Theorie – machen, machen, machen lassen. Kein Theorieunterricht über Munition oder Reichweite, sondern Waffe in die Hand, gleich auf die Fehler hinweisen, und machen lassen, machen lassen."

    Das war sehr nützlich, meint der 22-jährige Hafizullah hinterher. Zwar ist er seit einem Jahr bei der ANP, doch Training haben er und seine Kameraden bisher nicht erhalten.

    Nicht ungewöhnlich, sagt Polizeidirektor Jürgen Bielor:

    " … dass es hier in Afghanistan Polizisten gibt, die Uniform tragen, die Waffen tragen, die aber nie irgendeine Form von Polizeiausbildung genossen haben. Die werden nach und nach alle in sogenannte Basiskurse gebracht und bekommen eine Art Grundausbildung."

    Jürgen Bielor leitet das Deutsche Polizei Projekt Team in Mazar e Sharif.

    Am Ende des sechswöchigen Kurses im dortigen Polizeitrainingszentrum können die Afghanen einfache polizeiliche Aufgaben verrichten: Fesseln, Schießen, Durchsuchen zum Beispiel, Selbstverteidigung und die Arbeit an Checkpoints.

    "Der normale Mannschaftsdienstgrad ist sehr kindlich."

    Olav, Polizeikommissar aus Niedersachsen, ist als Langzeittrainer ein Jahr lang in Afghanistan.
    " Es ist schwer, denen Sachen zu erklären, weil sie noch nie Frontalunterricht genossen haben, viele waren noch nie in der Schule. Man muss dann anfangen, am besten in Geschichten die Problematik umschreiben, dass die Leute sich das auch merken können."

    Denn die meisten Rekruten können weder Lesen noch Schreiben, ihre Motorik ist schlecht trainiert, die Konzentrationsfähigkeit gering.

    Damit sie das Gelernte nicht vergessen, gibt es Mentoren wie Olav.
    In gepanzerten Wagen, geschützt von Bundeswehrsoldaten, besuchen deutsche Teams die Afghanen nach der Ausbildung regelmäßig in den Bezirken.

    An einem Checkpoint treffen die Polizei-Mentoren einen Leutnant ohne Schutzweste und Waffe an.

    "… wenn jetzt der Nahsicherer ausfällt aus irgend einem Grund, ... sich selber nicht verteidigen."

    Geduldig lässt Mentor Jörg dem Mann per Übersetzer erklären, warum er seine Ausrüstung besser dabeihaben sollte.

    "Faulheit. Es ist warm, Kalaschnikow ist schwer. Das müssen sie selber lernen, wir können sie zwar darauf aufmerksam machen, aber wenn wir nicht da sind und sie tragen es nicht – es ist ihr eigenes Leben."

    Und afghanische Polizisten verlieren ihr Leben immer noch eher als andere Sicherheitskräfte am Hindukusch: im vergangenen Jahr 646, im Vergleich zu nicht mal 300 afghanischen und knapp 400 ausländischen Soldaten.

    "Einfach, weil sie das schwächste Element sind, das am schlechtesten ausgerüstete und auch das am schlechtesten ausgebildete."

    Hauptmann Fabian Ganter ist Kompaniechef des Feldjägerausbildungskommandos in Mazar e Sharif.

    Denn die deutschen Polizisten in Afghanistan wohnen nicht nur bei den Soldaten in den Feldlagern, zusammen mit Feldjägern der Bundeswehr bilden sie auch die Mentorenteams im Rahmen des Forward District Development Programms FDD.

    Absolut notwendig, sagt Fabian Ganter:

    "Der afghanische Polizist hier behandelt in der Regel keinen Diebstahl, sondern er besetzt check points, macht Zugriffsoperationen auf Insurgenten, die sind ausgerüstet mit schweren Maschinengewehren, Panzerabwehrwaffen, das sind ja alles militärische Fachexpertisen und weniger polizeiliche."

    Eine gute Ergänzung, findet Jörg, Polizeihauptmeister in der Bundespolizei:

    "Wir können die Ethik, das Polizeirecht in dem Sinne übernehmen, können Vernehmungen beobachten, ob die nach Menschenrechten verhaftet werden, gut behandelt werden. Wenn es an den robusteren Polizisten geht, würde ich an's Militär verweisen."

    In der Praxis klappt das, bestätigen die Mitglieder seines Teams.

    Deshalb ist hinderlich, dass die Feldjäger mit jedem Bundeswehrkontingent wechseln, während die Polizisten ein ganzes Jahr lang bleiben – alle vier Monate müssen die Teams sich neu zusammenfinden, erläutert DPPT-Chef Bielor:

    "Die Menschen im PMT, die Kollegen und die Soldaten, müssen sich kennenlernen, der jeweilige Distrikt muss neu erkundet werden. Man muss auch am Anfang noch mal zusammen üben und trainieren. Das bringt gewisse Reibungsverluste mit sich. Und wenn man bedenkt, das in einem Jahr ungefähr drei Kontingentswechsel stattfinden alle vier Monate, dann ist das schon eine gewisse Effizienzminderung."

    Ebenfalls nachteilig: Weil die regulären Kräfte der Bundeswehr, die die Mentorenteams sichern sollen, jetzt stattdessen in den Krisenregionen des afghanischen Nordens eingesetzt werden, sind nur noch ein, zwei mal pro Woche Ausfahrten in die Distrikte möglich.

    Das nagt an der Motivation der Teams und gefährdet die Nachhaltigkeit des FDD-Programms:

    "Dass es schwierig ist, eine gute persönliche, am besten freundschaftliche Beziehung aufzubauen. Dass die Leute, die es auch anders kennen gelernt haben, irgendwann auch enttäuscht von einem selber sind, weil sie die Zusammenhänge nicht verstehen, auch wenn man es ihnen versteht. Und vielleicht denken, dass man vielleicht kein Interesse mehr an ihnen selber hat oder auch an dem Distrikt."

    Denn die Mentoren begleiten nicht nur Polizisten, sie pflegen auch Beziehungen zu denen, die in den Bezirken das Sagen haben, zu Gouverneuren und Polizeichefs, Imamen und Stammesältesten.

    "Wir brauchen den Rückläufer durch die Bevölkerung, wir müssen wissen, wie kommen die durch uns ausgebildeten Polizisten in der Bevölkerung an, funktioniert das alles. Wenn wir jetzt einen Rückläufer von unserem Malik oder Gouverneur bekommen, dass dauernd da Probleme sind, dann versuchen wir die zu lösen. In dem kleine Rahmen, den wir haben, darum ist das sehr wichtig."

    Der Aufbau einer afghanischen Polizei, die auf eigenen Beinen stehen kann, gilt ohnehin als Generationen-Aufgabe – ungeachtet aller politischen Willensbekundungen.

    Dennoch möchten die Polizeimentoren in Mazar e Sharif die Erfahrungen, die sie gesammelt haben, nicht missen:

    "Ich habe gelernt, dass ich vor dem normalen Afghanen keine Angst haben muss, dass er ein Mensch ist wie wir. Am Anfang überwog die Abenteuerlust, mal was neues zu sehen und ... aber inzwischen ist das so, dass man mit dem Herzen dabei ist, an die Aufgabe glaubt und die Erfolge sich langsam einstellen, aber sie stellen sich ein. Das das die Sache ist, die man nach Hause nehmen kann und nach einem Jahr sagen kann, wo man hier war, das man sagen kann, jawohl, man konnte was bewirken."