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"Ich habe keine Minute bereut"

Der ehemalige Botschafter in Tel Aviv, Rudolf Dreßler, hat sich anlässlich des Geburtstages des israelischen Staates begeistert gezeigt vom Bekenntnis junger Israelis zu ihrem Land. Der Unterschied zwischen Deutschland und Israel sei, dass Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg niemals in Frage gestellt worden sei. Israels Existenzrecht werde dagegen "dreimal wöchentlich" von den umliegenden Ländern negiert.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Israel also. Rudolf Dreßler war von 2000 bis 2005 Botschafter der Bundesrepublik in Israel, ist jetzt am Telefon bei uns. Guten Morgen Herr Dreßler!

    Rudolf Dreßler: Guten Morgen!

    Durak: Waren Sie es gern, Botschafter in Israel?

    Dreßler: Ja!

    Durak: Weshalb?

    Dreßler: Das kann ich mit einem eindeutigen Ja beantworten. Ich habe keine Minute bereut.

    Durak: Was war denn so gut daran?

    Dreßler: Es war ein Erlebnis der besonderen Art. Das Land, die Region selbst, die Menschen, eine völlig andere Gesellschaft als wir sie uns vorstellen können, viel lebhafter, viel freundlicher, viel lebensbejahender. Und ich habe festgestellt, dass eine Gesellschaft sich zu ihrem Staat bekennen kann, ganz anders als wir Deutschen dieses uns wegen unserer Geschichte haben leisten dürfen.

    Durak: Wir leisten uns manches andere nicht wegen unserer Geschichte, Herr Dreßler - so scheint es -, auch insbesondere gegenüber der israelischen Regierung. Was ist die Bundesrepublik Deutschland Israel schuldig?

    Dreßler: Ich glaube wenn man die jüngere Geschichte Deutschlands sich vergegenwärtigt, dann kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis, dass die Schaffung des Staates Israel, also der Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen von 1947 und dann die Gründung des Staates 1948 nicht zuletzt deshalb zu Stande kam, weil Deutschland ein Kriegsverbrechen, ein Menschheitsverbrechen der besonderen Art begangen hat. Wir haben damals eine Situation erlebt, in der Deutsche eine ganze Generation ihrer intellektuellen, ihrer geistigen Führungsschicht ermordeten oder aus dem Land jagten. Ein Tatbestand, den Deutschland wahrscheinlich in den nächsten zwei, drei, vier Generationen nicht kompensieren wird. Damit haben wir eine besondere Verpflichtung diesem Staat gegenüber.

    Durak: Das heißt wir sind schuldig bis ins letzte Glied?

    Dreßler: Es geht nicht um persönliche Schuld, sondern es geht um die Schuld unserer Gesellschaft. Ich bin selbst Jahrgang 1940 und bin nicht selbst persönlich Schuld, aber ich fühle mich mitverantwortlich für das, was mein Land in dieser Zeit angerichtet hat.

    Durak: Sind wir den Juden oder sind wir Israel verpflichtet, Herr Dreßler?

    Dreßler: Das ist keine Frage der Juden, sondern das ist eine Frage des Staates Israel. Israel ist ein religiöser Staat, ein jüdischer Staat, wie er sich nennt. Der Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen von 1947 hat ja nicht nur die Gründung des Staates Israel mit großer Mehrheit beschlossen, sondern gleichzeitig - das liegt ja in dem Begriff Teilungsbeschluss - festgestellt, dass auch die Palästinenser ihren Staat gründen können, was sie aber nie gemacht haben. Und wir sind glaube ich als Deutsche diesem Staat gegenüber verpflichtet, nachdem wir ganze Generationen aus Deutschland ermordet und ausgewiesen haben.

    Durak: Kritiklos verpflichtet?

    Dreßler: Nicht kritiklos. Die israelische Politik kann natürlich kritisiert werden - und das wird sie ja auch -, aber wir müssen erkennen, gerade wir Deutschen, dass es einen ganz schmalen Grat gibt zwischen einer massiven Kritik die übergeht in Antisemitismus. Dieses ist zugegeben sehr schwierig, aber das müssen wir leisten und ich glaube auch die deutsche Politik hat das in den vergangenen Jahrzehnten auf geradezu überparteiliche gute Art erbracht.

    Durak: Es gibt viele Menschen die sagen "viel zu vorsichtig gegenüber Israel", also gegenüber der israelischen Politik.

    Dreßler: Das kann ich nicht erkennen. Es gibt ja auch bei uns sehr massive Einwände gegen Beschlusslagen und es ist eine Frage auch des politischen Timings. Wenn ich mir etwa die Arbeit des ehemaligen Außenministers Fischer betrachte oder auch die der jetzigen Kanzlerin, die hinter verschlossenen Türen immer offen Kritik geübt haben, offen bewertet haben, es aber der israelischen Regierung nie über - ich sage es mal etwas burschikos - die Deutsche Presseagentur haben mitteilen lassen, dann haben sie sich dadurch auch ein Vertrauen aufgebaut, welches die israelische und die palästinensische Führung akzeptiert haben.

    Durak: Das ist interessant, was Sie sagen, weil ich bin hängen geblieben an einem Artikel, einem Gespräch mit dem Historiker Tom Segev, der abschließend sagt, Frau Merkel hätte die Regierung Israels - sie war ja kürzlich da - völlig kritiklos gewürdigt und sie bediente all diese mythologischen Klischees.

    Dreßler: Sie hat keine Kritik innerhalb ihrer Rede in der Knesset geäußert, sondern sie hat von unserer Verantwortung gesprochen und von den gewachsenen Beziehungen. Das ändert aber nichts daran, dass sie hinter verschlossenen Türen ihre Meinung sagt, genauso wie Außenminister Fischer das gemacht hat, und dass das bei der israelischen Regierung Wirkung zeigt. Das ist zum Beispiel ein großer Gegensatz zu anderen führenden Repräsentanten europäischer Länder, die bevor sie nach Israel reisen dieses was sie wollen bereits über Agenturmeldungen der israelischen Regierung mitteilen. Das ist eine Frage von politischer Empfindung und die ist nun mal bei Merkel und auch bei Fischer anders und sie ist wie ich finde auch ertragsträchtiger.

    Durak: Herr Dreßler, endet unsere Verantwortung gegenüber Israel, wenn dort Menschenrechte verletzt werden?

    Dreßler: Diese Verantwortung, wenn Menschenrechte verletzt werden, die endet deshalb, weil wir dann Kritik üben und auch üben werden und auch geübt haben. Das hat mit der Verantwortung, die wir für den Staat empfinden und für seine Sicherheit, nichts zu tun. Entscheidend ist, dass wir begreifen müssen, dass das Sicherheitsdenken in der israelischen Debatte alles bestimmt, alles bestimmt und logischerweise dann auch die Entscheidungen, die dort gefällt werden. Da haben wir einen großen Teil unserer Moderatorenfunktion in der Europäischen Union wahrzunehmen, was wir ja auch tun, und in den Vereinten Nationen.

    Durak: Kommen wir dieser Funktion wirklich wirksam gerecht? Man hört so wenig.

    Dreßler: Ich glaube, dass wir mehr erreicht haben, als man in Schlagzeilen registriert. Das hängt genau mit diesem Verfahren zusammen, was wir wählen. Ich finde solange die israelische Regierung jetzt sogar nach dem Libanon-Konflikt von sich aus eine deutsche Beteiligung bei der Aufstellung und Garantie der Sicherheit Israels erbittet oder einfordert, da können wir nicht davon reden, dass in irgendeiner Form das Vertrauensverhältnis zu uns politisch Schaden genommen hat.

    Durak: Herr Dreßler, ich möchte Sie noch einmal zum Beginn unseres Gesprächs zurückführen. Sie haben sich da so begeistert über Israel geäußert. Ich musste Sie dann aber ein bisschen auf die politischen Fragen lenken. Zurück also! Sie sagen, dieses Land hat Sie fasziniert - unter anderem weil es ein auch Bekenntnis zum Staat bei jungen Leuten gibt. Haben diese fünf Jahre in Israel Sie verändert? Wenn ja wie?

    Dreßler: Das was ich gelernt habe ist ein einfacher Sachverhalt, obwohl ich mich 20 Jahre um diesen Staat und seine Regierung gekümmert habe. Die Sozialisation eines Israelis ist für uns Deutsche nicht nachempfindbar. Ich bin jetzt 67 Jahre alt und habe mich nie in meinem Leben fragen müssen, dass mein Staat in Frage gestellt wird. Ich bin nie in Frage gestellt worden, obwohl Deutschland die Welt im vorigen Jahrhundert zweimal an den Abgrund brachte. Der israelische Bürger, der dort aufwächst, wird dreimal wöchentlich von seinen umliegenden Ländern in der Region, in der er lebt, in Frage gestellt. Ein Mensch, der so aufwächst, der sich so sozialisieren muss, hat ein ganz anderes Verhältnis zu seinem Staat als ich es mir leisten darf. Dieses habe ich erst durch mein Leben in Israel gelernt. Das habe ich vorher in dieser Dimension nicht erkannt.

    Durak: Wenn wir dies bei uns erreichen wollten, müssten wir uns bedrohen lassen. Ginge es auch anders?

    Dreßler: Es geht mit Sicherheit auch anders. Wir müssen uns ja nur an unsere Geschichte, unsere Verantwortung erinnern. Da fällt mir ein, dass der berühmte israelische Autor Amos Oz, der auch in Deutschland mit höchsten Ehren geehrt wurde, mal einen wichtigen Satz gesagt hat, in dem er erklärte, die Vergangenheit sei für uns Deutsche immer gegenwärtig - natürlich auch für Israelis - und wird immer gegenwärtig bleiben. Doch er sagt, man muss sich daran erinnern, dass die Vergangenheit uns gehört und nicht wir ihr. - Ich finde ein bemerkenswerter Satz, der alles deutlich macht.

    Durak: Danke schön, Herr Dreßler. Rudolf Dreßler war das, ehemals Botschafter der Bundesrepublik in Israel, SPD-Mitglied. Danke Herr Dreßler für das Gespräch!