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"Ich habe mit Gudrun Wagner ausgezeichnet zusammengearbeitet"

Nach Einschätzung des Dirigenten und Münchner Generalmusikdirektors Christian Thielemann ist der Tod von Gudrun Wagner eine künstlerische Zäsur für die Bayreuther Festspiele. Gudrun Wagner sei in Festspielangelegenheiten sehr sachkompetent gewesen, sagte Thielemann am Mittwoch im Deutschlandfunk: "Viele Leute haben versucht, ihr das abzusprechen. Aber das stimmt nicht. Sie hatte ein unglaubliches Gespür und einen Instinkt", auch wenn sie selbst keine Musikerin gewesen sei.

Moderation: Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Wenn in den vergangenen Monaten und Jahren von Bayreuth die Rede war, dann wurde mindestens so viel, wie über die Musik, auch über die Personalquerelen bei den Wagnerfestspielen gesprochen. Die nämlich fanden schon lange nicht mehr nur hinter den Kulissen statt, sie wurden auf offener Bühne ausgetragen. Im Zentrum stand aber immer die Frage, wann der Greise Wolfgang Wagner die künstlerische Leitung abgeben würde und an wen. Seine Frau, Gudrun Wagner, war eine Zeit lang im Gespräch. Als Sekretärin hatte sie in Bayreuth angefangen, dann erst den Herausgeber der Tagebücher von Cosima Wagner, Dietrich Mack, und schließlich den Leiter der Festspiele auf Lebenszeit, Wolfgang Wagner, geheiratet. Der wollte die Gattin zur Nachfolgerin machen, der Stiftungsrat lehnte aber ab. Trotzdem galt Gudrun Wagner vielen als heimliche Chefin auf dem Grünen Hügel. Heute nun ist die gebürtige Ostpreußin überraschend im Alter von 63 Jahren gestorben. Der Münchener Generalmusikdirektor Christian Thielemann, der oft in Bayreuth dirigiert hat, unter anderem den Ring, bewirbt sich im Team mit Katharina Wagner, der Tochter von Wolfgang und Gudrun Wagner, um deren Nachfolge. Ich habe ihn gefragt, wen den Musikwelt in Gudrun Wagner verliert.

    Christian Thielemann: Wissen Sie, ich habe mit Gudrun Wagner ganz ausgezeichnet zusammengearbeitet, und wir hatten irgendwie so eine gewisse Ähnlichkeit, die aber sich so in der Arbeit in einem unglaublich zupackenden und auch ehrlichen Umgang miteinander äußerte. Das habe ich immer sehr geschätzt bei ihr. Und wir waren auch sehr freundschaftlich miteinander, und man konnte zu ihr hingehen, und wenn man zu ihr den richtigen Zugang hatte, konnte man mit ihr eigentlich über alles reden. Und ich habe das sehr geschätzt, und was vor allen Dingen ganz wichtig war, man konnte sich auf sie hundertprozentig verlassen. Wenn sie gesagt hat, das machen wir so, oder so, oder so, dann war daran nichts zu deuteln, und da hat es auch nie irgendwelchen organisatorischen Ärger gegeben, sondern das Ganze im Gegenteil.

    Koldehoff: Für Außenstehende sind die inneren Strukturen von Bayreuth nicht immer ganz klar zu ersehen. Künstlerischer Leiter ist Gudrun Wagners Mann, Wolfgang Wagner. Welche Rolle hatte sie? Was hat sie gemacht?

    Thielmann: Na ja, ich glaube, dass sie natürlich viele Ideen mit eingebracht hat, allerdings war alles und ist nach wie vor alles mit Wolfgang Wagner zu besprechen. Und ich habe das auch immer so erlebt, dass sie zu mir immer gesagt habt, ja, das muss ich alles erst mit meinem Mann besprechen. Also es war keine Entscheidung, von der ich das Gefühl hatte, die wurde da alleine getroffen, sondern es war grundsätzlich mit Herrn Wagner zu besprechen, weil er ja auch die Verträge halt zu unterschreiben hatte.

    Koldehoff: Was also heute auch in den ersten Nachrufen manchmal zu lesen ist, sie sei so etwas wie die heimliche Chefin in Bayreuth gewesen, das würden Sie so nicht sagen?

    Thielmann: Ach, wissen Sie, das sind immer so Schlagworte. Ich würde sagen, sie war eine Person, ohne die das ziemlich schwierig wird in Bayreuth, aber der Festspielleiter ist der Festspielleiter. Und ich meine, wissen Sie, das kennen Sie doch aus Ihrem eigenen Beruf, ohne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sieht der Chef manchmal alt aus.

    Koldehoff: Wie wird es jetzt weitergehen? Was bedeutet das für das System Bayreuth?

    Thielmann: Ja, das ist ja noch ein bisschen zu früh zu sagen. Also man überlegt sich jetzt, wie man diese Lücke schließt, aber das ist doch alles recht frisch. Wissen Sie, ich habe das erst heute früh, um halb acht, erfahren.

    Koldehoff: Ist dieser Tod auch in künstlerischer Hinsicht eine Zäsur für Bayreuth?

    Thielmann: Ja, natürlich! Sie hat ja sehr viel da von den Dingen verstanden. Viele Leute haben immer versucht, ihr das abzusprechen. Aber das stimmt nicht. Sie hat ein unglaubliches Gespür und so einen Instinkt gehabt, auch wenn sie selber ja in dem Sinne keine Musikerin, also ein Instrument spielte oder gesungen hat oder so weiter, aber sie hat so viel von den Sachen verstanden, hat natürlich auch mit ihrem Meinungen oft nicht hinterm Berg gehalten, aber das ist doch immer besser, als wenn jemand es nicht sagt. Also ich persönlich habe mit ihr hervorragend gearbeitet.

    Koldehoff: Was fällt Ihnen spontan als Erstes ein, wenn ich Sie jetzt frage, was Sie am stärksten vermissen werden?

    Thielmann: Ich werde am stärksten vermissen, dass man einfach hat anrufen können und sagen können, wie geht es, was gibt es Neues, und man sofort drin war. Das ist so etwas, was mit manchen Leuten halt nicht geht, und mit ihr ging das.

    Koldehoff: Der Münchener Generalmusikdirektor Christian Thielemann zum Tod von Gudrun Wagner.
    Christian Thielemann, Generalmusikdirektor an der Deutschen Oper Berlin
    Der Dirigent Christian Thielemann (AP Archiv)