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"Ich hatte eine Farm in Afrika"

Die dänische Schriftstellerin Tania Blixen wurde vor allem durch ihren Roman "Jenseits von Afrika" bekannt, in dem sie ihre Zeit als Kaffeefarmerin von 1914 bis 1931 schildert. Zu Blixens 125. Geburtstag liegt nun eine von Gisela Perlet überarbeitete Version des Klassikers vor.

Von Peter Urban-Halle | 15.04.2010
    Tania Blixen gehört zu jenen Propheten, die im eigenen Land nichts gelten, Propheten, unruhige Geister und aparte Großdenker werden von den Dänen nicht besonders gemocht, Andersen, Kierkegaard und eben Blixen sind solche Fälle. Das ist auch ein Grund, weshalb Blixen normalerweise zunächst auf Englisch schrieb.

    Ihr erstes Buch erschien 1934: Die "Seven Gothic Tales", "Sieben phantastische Geschichten", geschult an den Schauerromanen von Horace Walpole und Ann Radcliffe, waren in jener Zeit sozialrealistischer Literatur in Dänemark ein Fremdkörper, das deutsche Motto des Buches "Frei lebt, wer sterben kann" wurde wahrscheinlich als zynisch aufgefasst; in der "Berlingske Tidende" erschien damals ein Verriss, der einer Hinrichtung glich und noch heute zitiert wird.

    Nostalgisch und vornehm war Tania Blixen immer, auch in ihrem nächsten Buch 1937, das später ein Welterfolg werden sollte: "Out of Africa", die dänische Version hieß "Den afrikanske Farm". Aber hier tritt echte Schönheit in Stil, Haltung und Geist hinzu. Schon auf der ersten Seite werden wir darauf vorbereitet:

    Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuß des Ngong-Gebirges. Die Äquatorlinie zog sich 25 Meilen weiter nördlich durchs Hochland, doch meine Farm lag 2000 Meter über dem Meer. Mitten am Tag konnte man diese Höhe und die Nähe der Sonne wohl empfinden, aber nachmittags und abends war es klar und kühl, und die Nächte waren kalt.

    Nach allen Seiten war die Aussicht weit und unendlich. Alles in dieser Natur strebte nach Größe, Freiheit und hohem Adel.


    Der letzte Satz ist ebenso einfach wie komplex, ein Schlüsselsatz, und es bleiben keine leeren Worte, hier und auf den nächsten Seiten wird eine Totalität erschaffen, die undenkbar scheint: auf der einen Seite der Reiz des Kargen, auf elementare Linien Reduzierten und das beschwingt Federnde, auf der andern Seite die schwere Üppigkeit und das romantisch Heroische. Das geht wohl nur, weil die Autorin sich selbst als Luftgeist sieht und sich dem Himmel, der "blauen Kraftquelle", mindestens so nah fühlt wie der Erde; nur in einer solchen Sphäre sind dann sogar die antagonistischen Widersprüche der Französischen Revolution vereinbar: Freiheit und Adel.

    Aus taktischen Gründen hat sich der Verlag für den Titel "Jenseits von Afrika" entschieden, was natürlich an den Hollywoodstreifen von 1985 erinnern soll. Richtig wäre nur der Titel "Die afrikanische Farm"; Blixen wollte sogar schon ihre englische Version so nennen. Das Buch kann als autobiografischer Roman oder als Memoiren gelesen werden, es hat von beidem etwas, sicher ist es auch eine landes- und völkerkundliche Studie. Es ist selten, dass große Faszination und scharfe Analyse so in eins gehen wie hier. Und zwar gerade deshalb, weil zur afrikanischen Natur auch die Afrikaner selbst zählen:

    Die Eingeborenen, das war Afrika in Fleisch und Blut. Die Mimosenbäume am Fluss, die Elefanten und die Giraffen, das alles war nicht so sehr Afrika, wie es die Eingeborenen waren. In diese Landschaft brachten wir Weißen, mit unseren schweren Stiefeln und fast immer in Eile, ständig einen schrillen Misston. Die Eingeborenen waren mit ihr in Einklang, und wenn ihre hohen, schmalen, dunklen und dunkeläugigen Gestalten sie durchwanderten, dann war es Afrika selbst, das da wanderte, lachte, seine Herden zählte, tanzte und von alten Tagen berichtete."

    Das Motto lautet "Reiten, Bogenschießen und die Wahrheit sagen", ein Herodot-Zitat, wie die Anmerkungen erklären. Durch Beobachtung und Erfahrung kommt man hier zu einer Wahrheit, die subjektiv ist, aber mit einigem Recht objektive Gültigkeit beansprucht. Sie destilliert Gesetzmäßigkeiten: die Vorurteilslosigkeit der Afrikaner; ihren Sinn für das Ergebnis, nicht für das Motiv; ihre Unaufgeregtheit im Angesicht des Unerwarteten; ihr mangelndes Gefühl für Risiken; ihre Liebe zu Fantasie und Mythos; ihre Feindschaft gegen jedes System - und Blixen erkennt auch die Reaktionen der Schwarzen auf die kolonialen Machtverhältnisse.

    Sie beobachtet und konstatiert, aber sie beurteilt eigentlich nicht - übrigens auch nicht die Inder in Kenia, die, neben den englischen Kolonialherren, die führende Schicht bilden, nicht einmal einen Landsmann, den alten Knudsen. Sie ist eine Plantagenbesitzerin und Patriarchin, die sich für ihre Leute verantwortlich weiß und ihre Besonderheiten und Macken akzeptiert, sogar bewundern kann. Dabei gibt es auch einen Lernprozess, im Laufe der Geschichte opfert die Erzählerin zunehmend ihre Überlegenheit, den Luftgeist gibt es am Ende nicht mehr.

    Im Grunde ist "Jenseits von Afrika" natürlich eine Liebeserklärung: an den Kontinent, seine Menschen, darunter vor allem ihren Koch Kamante, an die Tiere und Landschaften, an den Ehemann Bror Blixen und an ihren Geliebten Denys Finch-Hatton. Und es ist zugleich die Geschichte von Verlusten, der Ehemann ist schon am Anfang abwesend, der Geliebte stirbt bei einem Flugzeugabsturz, die Farm geht verloren; selbst das Afrika, das das Buch beschreibt, existiert zur Zeit der Niederschrift nicht mehr. Blixen erfindet Afrika als Paradies, aber besitzen lässt sich hier nichts. Das Paradies ist eben nur Gottes Eigentum, sonst niemandes.

    Der Unterschied dieser Übersetzung aus dem Dänischen zu "Afrika, dunkel lockende Welt", der Version aus dem Englischen also, ist bedeutend. Nicht nur im Stil. So heißt der oben zitierte Schlüsselsatz in der vorliegenden Perlet-Übersetzung - wir wiederholen:

    Alles in dieser Natur strebte nach Größe, Freiheit und hohem Adel.

    Die alte Übersetzung aus dem Englischen von Rudolf von Scholtz ist dagegen beinah banal und holpernd:

    Alles, was man sieht, atmet Größe und Freiheit und unvergleichliche Vornehmheit.

    Vor allem aber ist die Fassung aus dem Dänischen textkritisch gesichert und nach neuester Forschung ergänzt. Sie war ohnehin schon 50 Seiten länger als die englische. Darüber hinaus hat Rudolf von Scholtz noch gekürzt, darunter ganze Seiten, die für Blixens Selbstverständnis unabdingbar sind, zum Beispiel das Kapitel "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn", ein Zitat aus dem ersten Buch Mose, Jakobs Kampf mit dem Engel Gottes.

    Wer aus Blixens Afrika-Buch zitieren will, muss es also nun aus dieser Version tun. Uns steht jetzt die klare, stilistisch und sprachlich einwandfreie Übersetzung eines modernen Klassikers zur Verfügung. Sie wird auf lange Jahre gültig sein.

    Tania Blixen: Jenseits von Afrika
    Aus dem Dänischen übersetzt von Gisela Perlet
    Manesse Verlag, Zürich/München 2010, 416 Seiten, 22,95 Euro