Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Ich hatte mit Politik nicht das Leiseste zu tun"

Hanna Reitsch war eine außerordentlich begabte Fliegerin. Sie brach Rekorde, wurde eine der ersten Berufspilotinnen – und sie gehörte zu den größten Propagandastars Hitlers. Bis ans Lebensende blieb sie seine uneinsichtige Anhängerin. In Reitschs Karriere zeigen sich die kruden Paradoxien der NS-Herrschaft.

Von Ulrike Rückert | 29.03.2012
    "Also, ich startete, der Wind blies prächtig, und da er fünf oder sechs Stunden blies, so blieb ich so lange oben. Und als ich dann landete, da rief jeder: Hurra, Weltrekord!"

    Segelfliegen war der Nationalsport der Weimarer Republik, eine kollektive Trotzreaktion auf den Versailler Vertrag, der die motorisierte Luftfahrt in Deutschland weitgehend stillgelegt hatte. Ein Männersport, in den erst um 1930 auch Frauen drängten. Hanna Reitsch, geboren am 29. März 1912 im schlesischen Hirschberg, war eine der ersten.

    "Und ich wurde in keiner Weise von den Burschen etwa mit Freude begrüßt."

    Kaum hatte sie den Flugschein in der Tasche, brach sie den Weltrekord. 1933 wurde Hermann Göring Luftfahrtminister, steckte die Segelflieger in Uniformen und begann, unter der Tarnkappe der Sportclubs insgeheim eine Luftwaffe aufzubauen. Frauen waren nun erst recht unerwünscht, doch das braune Regime zeigte sich flexibel. Das Ausnahmetalent Hanna Reitsch war als Versuchspilotin an der Forschungsanstalt für Segelflug angestellt, sie nahm an Wettkämpfen und Flugschauen von Lissabon bis Cleveland teil und präsentierte den ersten funktionstüchtigen Hubschrauber vor internationalem Publikum in Berlin. Denn, wie der Luftfahrtautor Rolf Italiaander bemerkte:

    "Seit alters her hat sich die Frau als gute Propagandistin bewährt."

    Konnte ein Regime, das technikbegeisterte junge Frauen förderte, reaktionär sein? Bewies die kleine, zierliche Person mit dem strahlenden Lächeln nicht, dass die deutsche Fliegerei zivil und friedlich war? Dabei arbeitete Hanna Reitsch bald auch direkt für das Militär, nachdem Göring seine Luftwaffe 1935 enttarnt hatte.

    "Ich wurde hier zum ersten Mal in eine Aufgabe hineingestellt, die ausschließlich dem Mann vorbehalten war."

    In Hanna Reitschs Karriere zeigen sich die kruden Paradoxien der nationalsozialistischen Herrschaft: als unverheiratete, kinderlose Frau, die in eine abgeschottete Männerdomäne eindrang, war sie das Gegenteil der "deutschen Mutter", wie sie das Regime propagierte – und einer seiner größten Stars. Zum Lohn für ihre zivilen Testflüge durfte sie sich als erste Frau mit dem Titel "Flugkapitän" schmücken, für ihre Arbeit mit Stukas, Jägern und Bombern heftete ihr Hitler 1941 das Eiserne Kreuz zweiter Klasse an und nach einem Absturz mit sechsfachem Schädelbruch auch das erster Klasse. Besessen von der Fliegerei, scheinen ihr Hitlers Aufrüstung und der Krieg vor allem ein großes Flugfest gewesen zu sein.

    "Jeder Typ hat seine Besonderheiten, nicht wahr. Die Bomber oder Verkehrsmaschinen haben ihre besonderen Reize, wenn man sie testet, die Jagdflugzeuge sind in ihrer Geschwindigkeit und Beweglichkeit wunderbar, eine Raketenmaschine ist ein Rausch, als ob Sie ein – ein Münchhausen-Märchen selbst erleben."

    Als sie begriff, dass die Niederlage unvermeidlich war, wollte sie mit Selbstmordkommandos auf V1-Raketen zumindest noch genug englische Rüstungsfabriken sprengen, um dem Führer eine bessere Verhandlungsposition zu verschaffen. Beim Tee auf dem Obersalzberg erläuterte sie ihren Plan. Doch Hitler wollte den Krieg nicht verloren geben. Reitsch warb trotzdem junge Männer für das "Selbstopfer" an. Als die Rote Armee schon Berlin besetzte, flog sie noch mit dem Luftwaffengeneral von Greim zum Führerbunker und dann wieder aus der Stadt heraus.

    "Nach allem, was Sie uns erzählt haben, gnädige Frau, hatte Ihr ganzes Leben, Ihr Fliegerleben, wenn ich so sagen darf, nicht das Geringste mit Politik zu tun."

    "Nein, gewiss nicht! Ich lebte in der Forschung und hatte mit Politik nicht das Leiseste zu tun."

    So stellte sie sich nach dem Krieg dar. Aber ihre ergebene Verehrung für Hitler war ungebrochen. Das Angebot, wie Wernher von Braun und andere Experten nach Amerika zu gehen, lehnte sie ab und blieb fünfzehn Monate in amerikanischer Haft. Die Naziverbrechen erklärte sie zu Geschichtsfälschungen der Sieger, und noch 1978 schrieb sie:

    "Nun sind schon über 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg vergangen, und die Lügen, die über unser Land verbreitet wurden, scheinen als Geschichte ‚Realität’ geworden zu sein."

    Dass sie öffentlich kritisiert und angegriffen, zweimal auch von internationalen Meisterschaften ausgeschlossen wurde, schrieb sie den Machenschaften amerikanischer Geheimagenten zu. Hanna Reitsch starb 1979, eine herausragende Fliegerin im Dienste eines verbrecherischen Regimes, dem sie stur und unbelehrbar die Treue hielt.