Archiv


"Ich hatte nie eine Verurteilung der Schlümpfe im Sinn!"

Antoine Buéno hat eine pseudowissenschaftliche Gesellschaftsstudie über die Schlümpfe verfasst. Auf knapp 200 Seiten untersucht er die Schlümpfe des belgischen Zeichners Peyo auf nationalsozialistisches, kommunistisches und totalitäres Gedankengut – und er wird fündig.

Von Tilla Fuchs |
    Frankreich ist erschüttert. Erschüttert von einem "kleinen blauen Buch", das ein kleiner Pariser Verlag herausgegeben hat. Großer Schlumpf, Schlaubi-Schlumpf und Co, die Comichelden mindestens zweier Generationen von Kindern, sollen totalitäres Gedankengut transportieren? Dieses blaue Wunder hat den französischen Lesern der knapp 30-Jährige Autor Antoine Buéno bereitet - den die allgemeine Erschütterung eher amüsiert:

    "Schon bei der bloßen Ankündigung der Veröffentlichung gab es einen Mordsaufstand. Völlig aberwitzige Kritiken. Leute, die nicht eine Zeile gelesen hatten, griffen das Buch an und vermischten so einiges. Sie dachten, ich stünde in der Tradition der "Läuterungsschriften", wie sie während der "Tim-und-Struppi-Affäre" erschienen sind. Dabei hatte ich nie eine Verurteilung der Schlümpfe im Sinn! Im Gegenteil: Ich liebe die Schlümpfe! Alles, was ich vorschlage ist: vielleicht ein bisschen anders mit ihnen zu spielen."

    Im Gegensatz zur so genannten "Tim-und-Struppi-Affäre", in deren Verlauf der belgische Zeichner Hergé posthum des Rassismus bezichtigt worden war, richtet sich Buénos Kritik nicht an Peyo persönlich. Er versucht vielmehr, eine Fiktion zu analysieren, die ein – wie es bei Buéno heißt – gänzlich apolitischer Autor und Zeichner "quasi unbewusst geschaffen" habe. "Das kleine blaue Buch" beginnt mit einer Einführung in die Welt der Schlümpfe. Buéno analysiert ihre Sprache: Dann und wann wird ein Nomen oder ein Verb durch das Wort "Schlumpf" oder "schlumpfen" ersetzt. Er analysiert ihre Nahrung: Sie essen mit Vorliebe Schlumpfbeeren und Sarsaparilla, Stechwinden. Er analysiert ihre Sexualität: Sie haben keine.

    Schlumpfine ist die einzige weibliche Erwachsene des Dorfes. Alle anderen Schlümpfe sind entweder männlich oder asexuelle Wesen. Wenn sich die Schlümpfe von Schlumpfine angezogen fühlen, dann natürlich auf rein platonische Art und Weise. Nie, niemals sieht man je kopulierende Schlümpfe. Anderes Merkmal ihres Puritanismus: Sie sind schamhaft. In "Die Schlümpfe und der Heulvogel" verlangt der Große Schlumpf von einem kleinen Schlumpf, der bis auf ein um die Hüften gewundenes Handtuch nackt ist, ihm eben jenes Handtuch zu reichen, um den bösen Vogel zu bekämpfen. Und der kleine Schlumpf antwortet ihm: "Aber großer Schlumpf, man wird meinen Schlumpf sehen".

    Im ersten Kapitel analysiert Buéno das Gesellschaftssystem der Schlümpfe als ideale Staatsform, als Utopie. Von den sozialistischen Utopisten – Buéno unterrichtet "Utopie" in einem Creative-Writing-Kurs am Pariser Institut für politische Studien – ist es nur mehr ein kleiner Schritt bis zu Karl Marx. Der weiße Rauschebart des Großen Schlumpfs erinnere an ihn. Buéno zieht auch Parallelen zwischen Stalins Russland und Schlumpfhausen: Hammer und Sichel tauchten auffällig oft in Peyos Comics auf, der Schlumpf, der ins All will, heiße nach der Sowjetterminologie Kosmoschlumpf und nicht Astroschlumpf und der gehänselte Schlaubi-Schlumpf wird für Buéno zum blauen Trotzki. Doch er entdeckt ebenso viele Parallelen zum Nazismus:
    "Da ist Gargamels Antlitz, das eindeutig an eine antisemitische Karikatur erinnert. Dann die Tatsache, dass seine Katze Azrael heißt, was klanglich wirklich nah an Israel liegt. Dann Gargamels Geldgier (…). Aber ich stellte mir eben auch die Frage, warum der große Schlumpf rot gekleidet ist. Das ist eine offenkundig kommunistische Gemeinschaft! Da bin ich aufmerksam geworden und (…) habe angefangen, nach Erklärungen zu suchen. Mir ist dann aufgefallen, dass dieses Werk der Populärliteratur noch niemals wirklich analysiert wurde. Also hab ich den Job übernommen."

    Er habe sich einfach ein bisschen amüsieren wollen, antwortet Antoine Buéno aufbrausend auf die Frage, warum er diesen "Job" denn übernommen habe. Er könne nicht verstehen, warum ihm diese Frage immer wieder gestellt werde. Buéno, selbst als Moderator tätig, ist gern gesehener Studiogast: Er ist schlagfertig, witzig, polemisch. Und so ist auch das "Kleine blaue Buch" geschrieben, das wie eine feuilletonistische Diplomarbeit anmutet, mit Fußnoten und Sprechblasen, die Seiten mit kleinen Fliegenpilzen verziert. In universitärem Duktus erforscht Buéno die "Anthroposchlumpfie", überprüft seine politischen Thesen anhand surrealer Syllogismen - was Teile der akademischen Welt bewog, das "Kleine blaue Buch" zunächst als wissenschaftliche Abhandlung zu werten.

    "Eine andere Form der Kritik, die fast noch haarsträubender war, kam von universitärer Seite: Die Wissenschaft entdeckte völlig verdutzt, dass ein kleines Buch von weniger als 200 Seiten, dessen Cover blau ist, dessen Untertitel in einer Sprechblase steht und das mit einem Zitat der französischen Comicserie "Die Shadoks" beginnt, kurz – dass dieses Buch keine wissenschaftliche Analyse ist. Wow! Was für eine Entdeckung. Ich kündige es hiermit feierlich an: Nein, es ist keine universitäre Arbeit und ich habe nie behauptet, dass es eine sei!"

    Jedenfalls ist es eine einträgliche Arbeit: Das "Kleine blaue Buch" erscheint punktgenau und medienwirksam wenige Wochen bevor im August der neue Schlumpf-Film in die französischen Kinos kommt. Dennoch überzeugt Buéno mit seinem augenzwinkernden Buch und seinem Aufruf zu "amüsierter Wachsamkeit" - auch gegenüber den eigentlich unantastbaren blauen Helden unserer Kindheit.

    Antoine Buéno: Le petit livre bleu: Analyse critique et politique de la société des Schtroumpfs
    Hors Collection, 250 Seiten, 12.90 Euro
    ISBN 978-2-258-08891-7