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"Ich kandidiere nicht als SPD-Parteipolitikerin"

Die Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan will kein Coach für die SPD sein. Das Amt sei überparteilich, sagte die von den Sozialdemokraten aufgestellte Kandidatin. Sie habe "auch von potenziellen Wählern aus anderen Parteien gehört, es wäre besser, wenn das Amt nicht von der SPD okkupiert würde." Und das leuchte ihr ein.

Moderation: Sabine Adler | 06.07.2008
    Sabine Adler: Frau Schwan, wie müssen sich die Bundesbürger eine Bundespräsidentin Gesine Schwan vorstellen?

    Gesine Schwan: So, wie sie mich jetzt eigentlich auch schon kennen, also nicht als eine völlig andere Person. Ich habe ja auch schon mal für dieses Amt kandidiert und habe mich auch in dieser Kandidatinnenrolle präsentiert. Und ich denke, das, was ich vorhabe, wird einerseits nicht überraschend sein, aber vielleicht doch noch etwas mehr, als man es bisher gewohnt ist, die Bedeutung dieses Amtes, das Potenzial dieses Amtes hervorkehren, denn vielfach gilt das Amt ja irgendwie entweder als Repräsentationsamt in einem ganz oberflächlichen Sinne oder als ein Amt, das nur dazu da ist, die nächste Koalition zu verabreden, also rein instrumentell betrachtet wird.

    Ich glaube, dass dieses Amt eine ganz große Chance hat, bei den Herausforderungen, die wir jetzt haben und die ich ganz vornehmlich kultureller, geistiger Natur sehe, nicht in Einzelmaßnahmen, etwas zu bieten, sozusagen neue Energie in die Demokratie zu bringen. Und das wird bei mir sicher durch Reden geschehen. Das ist ja auch ein Amt, in dem geredet werden soll zu Themen, die nicht einzelpolitische Entscheidungen betreffen, sondern im Grunde das, was gerade nicht bisher thematisiert wird, was aber thematisiert werden muss als Voraussetzung von Demokratie, von politischen Entscheidungen, was auch Zukunftsherausforderungen markiert. Nicht, dass ich den Deutschen sagen will, wo es lang gehen soll, gar nicht, sondern, dass ich ihnen gleichsam helfen will wie eine Hebamme, zu schauen, wo wollen wir uns selbst hin begeben. Also, die Selbstaufklärung sozusagen ist das Ziel und nicht meine Aufklärung transitivisch, dass die Deutschen dann und alle, die hier so leben, Akkusativobjekt sind.

    Ich werde sicher auch eine durchaus bedachte symbolische Politik betreiben. Symbolisch heißt für mich nicht, dass das irgendwas Oberflächliches ist, was nicht inhaltlich ernst genommen wird, sondern heißt, dass ich das bildhaft zum Anfassen machen möchte, worum es geht. Und das wird sich in praktischen Ermutigungen wiederfinden, gerade auch wahrscheinlich von Initiativen, die nicht sofort spektakulär sind, die nicht in aller Munde sind. Denn ich möchte gerne die Menschen ermutigen zur Teilhabe.

    Ich möchte das Bild, dass die Menschen einfach nur gucken, was sich da auf dem Markt der Politik bietet und dann, wenn es ihnen nicht passt, den Rücken kehren, verändern und möchte wieder ins Bewusstsein heben helfen, dass Politik unser aller Sache ist, dass es da um sehr substanzielle Dinge geht, die auch Spaß machen können.

    Adler: Wenn man so genaue Vorstellungen hat, was man machen möchte, wenn Sie diese Vorstellungen haben, dann müssen die Vorgänger es ja genau an dem fehlen lassen haben. Ist das sozusagen ein Vorhaben, das sich aus dem bisherigen Mangel erklärt?

    Schwan: Nein. Ich habe eigentlich nie versucht, meine eigenen Vorhaben aus Mängeln anderer herzuleiten, sondern die sollen schon aus meinen eigenen Überlegungen kommen. Und anders als bei meiner ersten Pressekonferenz 2004, wo ich binnen 20 Stunden sozusagen vor der Presse sagen sollte, was ich denn in einem Amt machen wollte, an das ich nicht gedacht hatte zuvor, habe ich ja nun inzwischen einige Wochen Zeit dafür gehabt und hatte nun auch immerhin diese erste Kandidatur als eine Vorphase auch des Nachdenkens.

    Und im übrigen schließt sich das ganz und gar an an das, was ich mein Leben lang in der Politikwissenschaft gemacht habe und in dem Bereich, wo ich selbst politisch tätig war. Die Demokratie, die Teilhabe der Bürger an den Dingen, die sie selbst betreffen, die verantwortliche Teilhabe, dies um sich herum Gucken und doch nach gemeinsam befriedigenden Lösungen suchen, das war für mich schon als Schülerin in der Klasse wichtig, das ist während meiner Schulzeit wichtig gewesen, das ist mir auch von der Familie sehr mitgegeben worden. Da ist sozusagen ein Reservoir vorhanden. Und aus dem schöpfe ich jetzt.

    Adler: Sie haben die erste Kandidatur jetzt schon ein paar Mal erwähnt. Ist nach der knappen Niederlage 2004 der Wunsch erloschen, noch einmal anzutreten, oder - im Gegenteil - glimmte dieses Flämmchen die ganze Zeit, um jetzt wieder hoch zu springen?

    Schwan: Also ersten, ich habe es nicht wirklich als Niederlage empfunden, was da passiert ist. Viele haben ja auch von Gewinnerin und Sieger gesprochen, was ja ein schönes Ergebnis einer demokratischen Auswahl ist. Im Gegenteil, es war ja viel erfolgreicher, als man eigentlich erwarten konnte.

    Im übrigen hat mir meine innere Stimme gesagt, es ist gut, wenn ich die Viadrina zu Ende bringen kann. Das war etwas, womit ich ganz im Einklang war. Ich habe also keine Sekunde Kummer gehabt darüber, das muss ich ganz klar sagen. Was freilich geblieben ist, ist mein Engagement für die Demokratie. Und das würde ich auf jeden Fall fortsetzen, was immer am 23. Mai passiert. Und da gibt es auch interessante und attraktive Alternativen. Also, ich stiere nicht auf den Tag. Und ich glaube im übrigen auch, dass die Kandidatur selbst die Chance bietet, doch erstens den potenziellen Wählerinnen und Wählern eine Kostprobe von dem zu geben, was sie mit mir zu erwarten haben, und zweitens aber auch in der Öffentlichkeit Themen zu setzen, Themen interessant zu machen, auf Probleme aufmerksam zu machen, auf Chancen vor allen Dingen auch aufmerksam zu machen, die wir ohnehin brauchen.

    Adler: Am Freitag wurde hier in Berlin nicht weit von hier die neue US-Botschaft eröffnet. Wir alle haben einen fulminanten Auftakt des US-Wahlkampfes erlebt. Hat dieser Wahlkampf Sie ein bisschen angesteckt? Haben Sie das Gefühl, so ähnlich würde ich es auch gerne machen?

    Schwan: Also, die Diskussion auch unter meinen amerikanischen Freunden, wer denn da bevorzugt werden sollte, Obama oder Clinton - das war die eigentliche Frage dabei - hat zu meiner Überraschung dazu geführt, dass auch ganz knochentrockene Profis in der Politik und in der Politikwissenschaft sich für Obama erklärt haben als den Neuanfang. Aber es ist nicht so, dass die mich jetzt in ihrer Art inspiriert haben. Das ist ja doch eine ganz andere Konstellation in Amerika.

    Adler: Ich habe hier einen Sticker gefunden, den habe ich geschenkt bekommen: Gesine for President - SPD. Das sieht ein bisschen amerikanisch aus, das könnte auch ein Teil des amerikanischen Wahlkampfes sein.

    Schwan: Ja, aber Sticker ist nun auch inzwischen nichts ganz Revolutionäres, das muss man sagen. Vielleicht kann man ja auch einmal einen überparteilichen Sticker machen, da ich mich in diesem Amt von den einzelnen Wahlpersonen wählen lassen will und nicht in eine Koalition gehen möchte, weil das auch gar nicht sinnvoll wäre. Da dies der Fall ist, habe ich auch von sehr wohlmeinenden potenziellen Wählerinnen und Wählern gehört aus anderen Parteien, es wäre besser, wenn das nicht von der SPD okkupiert würde sozusagen. Und das leuchtet mir ein.

    Adler: Ich finde das jetzt ein bisschen problematisch, weil in der Tat das jetzt wie eine Distanzierung klingt von der SPD, der Sie ja schließlich angehören, und die SPD, die ihre Unterstützung für Sie ja auch ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, ist in einer sehr schwierigen Phase und hofft natürlich ja auch darauf, dass Ihre Kandidatur für das Amt zur Bundespräsidentin auch positiv auf die Partei wieder zurück schlägt.

    Wenn man sich die Umfragewerte anguckt - ich weiß, dass Sie das nicht lieben, und dennoch sind sie ja der einzige Gradmesser im Moment - dann muss man feststellen, dass seit der Erklärung Ihrer Kandidatur es nicht wirklich spürbar und messbar aufwärts geht für die SPD. Woran liegt das?

    Schwan: Also, da ich in meiner Funktion und Rolle als zukünftige Bundespräsidentin spreche beziehungsweise als Kandidatin für das Amt, kann ich Ihnen nur eine gleichsam demokratiepolitische oder demokratietheoretische Antwort geben, und ich will auch nicht mehr tun. Und Sie fragen mich jetzt auch nicht als Politologin sondern aus diesem Amt heraus.

    Und da möchte ich sagen, dass jede parlamentarische Demokratie, so weit wir sie kennen, auf Parteien als Integrationsorganisation für die politische Willensbildung angewiesen sind. Das heißt, wir kommen nicht ohne Parteiendemokratie aus. Und deswegen muss es die Sorge sein von jedem politisch denkenden Menschen, dass Parteien, die auch ein gewisses Verdienst um die Demokratie haben, nicht unfair behandelt werden.

    Also, ich würde aus dieser Überlegung zum Beispiel es sehr dramatisch finden, wenn man der CDU/CSU, der Union, von heute auf morgen, das Ende ihres Daseins prophezeite. Es ist immer schwierig, eine konkrete, konstruktive Politik zu formulieren, die zugleich aktuell eine Verbesserung von heute auf morgen bringt. Das geschieht nicht in der Politik. Aber die erste Antenne für diese Probleme liegt natürlich bei den Parteien der Linken, weil ihre Wähler finden, sie müssen jetzt einfach eine bessere Situation haben. Und das können oft akut im gegenwärtigen Handlungsrahmen die linken Parteien nicht so gut hinkriegen.

    Adler: Erhard Eppler, der immer als Vordenker der SPD bezeichnet wird, mag die jetzige Krise der SPD gar nicht als so dramatisch hinstellen. Er ist der Meinung, die SPD hätte weitaus schlimmere Zeiten erlebt und erinnert an den Atomstreit, also an die Auseinandersetzung, ob Atomkraft zu nutzen sei oder nicht. Wie sehen Sie das?

    Schwan: Ich sehe nicht meine Aufgabe darin, die Partei zu coachen oder da irgendwelche Ratschläge zu geben, und zwar einfach, weil ich für eine andere Position kandidiere. Ich glaube, Sie würden den gegenwärtigen Bundespräsidenten auch nicht danach fragen, wie er die Entwicklung der CDU einschätzt. Also, das ist eigentlich nicht Sache dieser Funktion, und deswegen würde ich es gerne noch mal eher demokratiepolitisch beantworten.

    Wir müssen alle sehen, dass wir in langfristigen Kategorien denken, wenn wir den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt überlassen wollen. Und diese langfristigen Kategorien müssen auch von einzelnen Wahlperioden ein bisschen unabhängig werden. Nun kann und will man die Wahl nicht abschaffen. Wir brauchen diese Kontrollen. Ich glaube, dass zum Beispiel der Einbezug der organisierten Zivilgesellschaft hier eine große Hilfe wäre.

    Adler: Jetzt möchte ich dennoch noch einmal auf die Parteien zurück kommen und auch auf die SPD zurück kommen. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie durch Ihre Kandidatur die SPD nicht sogar in noch tiefere Schwierigkeiten bringen?

    Schwan: Genau auf diese Frage werde ich Ihnen keine Antwort geben. Das habe ich deutlich genug gemacht. Das ist nicht meine Aufgabe als zukünftige Bundespräsidentin, darauf zu antworten. Da können Sie ja irgendwelche anderen Analysten fragen.

    Adler: Bleiben wir noch mal bei der Auseinandersetzung, die gerade stattfindet zwischen der SPD und Linkspartei, also den politischen Lagern. Hermann Scheer, ebenfalls ein Genosse, vergleicht das mit der Zeit Willy Brandts, als Willy Brandt versuchte, die Ostpolitik durchzusetzen und da auch auf massiven Widerstand auch innerhalb der SPD gestoßen ist. Scheers Schlussfolgerung ist, Koalitionsaussagen zu vermeiden, sich da gar nicht so festzulegen. Das habe ich auch in jüngsten Interviews von Ihnen schon gelesen. Würden Sie das bekräftigen?

    Schwan: Also, ich habe erstens nicht Hermann Scheer zu kommentieren, um das auch noch einmal ganz klar zu sagen.

    Adler: Aber vielleicht Ihren eigenen Satz.

    Schwan: Ich habe selbst gesagt, dass, wenn man ein Fünf-Parteien-System hat, dann muss es einem daran liegen, dass diese Parteien möglichst alle demokratisch sind. Ich habe die NPD, wie Sie gesehen haben, außen vor gelassen, und auch die DVU. Und da muss einem daran liegen und dann muss man alles dazu tun, dass alle Parteien nicht nur demokratisch überzeugend sind, sondern dass sie auch möglichst intelligente Antworten auf unsere Herausforderungen finden.

    Und die Idee, dass es sozusagen schon Wählerblocks geben sollte, finde ich falsch, weil es klar ist, wenn wir ein Fünf-Parteien-System haben, dass die Parteien miteinander konkurrieren und dass intelligenterweise bei der Unabsehbarkeit des Ergebnisses jede Partei versucht, für sich so viele Stimmen wie möglich zu bekommen. Und dann wird diese inzwischen schon bekanntere aber vor einem Jahr vielleicht noch nicht so präsente Situation eintreten, dass die gewählten Politikerinnen und Politiker eine Regierung bilden müssen, eine Koalition bilden müssen.

    Dabei ist es nicht sehr günstig, wenn sie von vorneherein Dinge ausschließen, es sei denn, es gibt so grundsätzliche oder absehbar grundsätzliche Fragen, in denen sie sagen, das hat keinen Sinn. Und das alles muss man aber der handelnden Politik überlassen. Dazu werde ich wiederum in meiner Funktion nichts sagen.

    Adler: Nun hat die SPD ein massives Problem mit der Linkspartei, nicht nur, weil ihre eigenen Mitglieder zur Linkspartei abwandern, sondern auch, weil Koalitionsaussagen oder auch Nichtkoalitionsaussagen, also mit der Linkspartei zusammen zu gehen oder nicht zusammen zu gehen, natürlich ganz einschneidende Veränderungen und auch Auswirkungen haben was zum Beispiel die Umfragewerte angeht und dann eben auch Wahlergebnisse angeht.

    Die SPD hat sich vorgenommen, nach dem Fehler von Kurt Beck im Februar das Zusammengehen mit der Linkspartei auf Länderebene frei zu geben. Er selbst hat im Februar formuliert, dass der Zukunftskonvent Ende Mai dafür genutzt werden sollte, dass das Verhältnis von SPD zur Linkspartei geklärt wird. Sie waren auf dem Zukunftskonvent. Wir haben es erleben können, dass gerade dieses Problem überhaupt nicht thematisiert worden ist. Hat die SPD damit eine Chance vertan, einen Konflikt wirklich zu klären und auch beizulegen?

    Schwan: Erstens möchte ich Ihnen sagen, dass die Also-Schlussfolgerung von demoskopischen Umfragen zur Wahl nun wirklich so diskreditiert ist, dass ich finde, dass sie sich für einen klugen Medienbeobachter verbietet. Also, dieser Unsinn, aus demoskopischen Unfragen etwas über zukünftige Wahlen zu schließen, der sollte eigentlich vorbei sein. Und deswegen folge ich schon mal nicht Ihrer grundlegenden Überlegung. Und zum zweiten kann ich Ihnen ganz einfach sagen: Warum stellen sie mir diese Frage als zukünftige Bundespräsidentin?

    Adler: Weil Sie auch SPD-Mitglied sind.

    Schwan: Nein, ich bin zukünftige Bundespräsidentin. Ich bin von der SPD vorgeschlagen, aber dieses Amt ist ein überparteiliches. Und der Versuch, den Sie immer wieder freundlicherweise anfangen…

    Adler: Noch sind Sie nicht Bundespräsidentin.

    Schwan: Nein, aber ich kandidiere für dieses Amt. Und deswegen kandidiere ich nicht als SPD-Parteipolitikerin. Ich bewerbe mich weder für den Vorsitz noch für ein Ministeramt sondern für das andere. Und deswegen denke ich, ist es einfach ein Gebot, dass Sie mir jetzt nicht Fragen stellen zur Partei, die ich nicht im einzelnen zu beantworten habe in diesem Amt.

    Adler: Aber das ist ein Verbot, das Sie sich selbst auferlegen.

    Schwan: Nein, das ist überhaupt kein Verbot. Das ist die Logik des Amtes, für das ich kandidiere. Und ich finde eben - auch dies ein ganz wichtiger Punkt der letzten Jahre fast -, wir müssen schauen, was hat das Grundgesetz mit diesem Amt gewollt?

    Es hat nicht Parteipolitik gewollt, es hat auch nicht Einzelpolitik gewollt. Überparteilichkeit heißt auch nicht in diesem Verständnis, dass man jeder Partei mal eins drauf gibt. Das ist nicht Überparteilichkeit. Überparteilichkeit heißt, dass ich jenseits der parteipolitischen Positionen die grundsätzlichen Fragen anpacke. Das ist mein Amt. Und Ihre anfänglichen Fragen sind genau in diese Richtung gegangen. Die jetzt gehen nicht in diese Richtung. Und deswegen sehe ich keinen Anlass, darauf einzugehen.

    Adler: Das war aber jetzt auch wiederum eine Kritik am Bundespräsidenten, am jetzt amtierenden Bundespräsidenten. Zumindest höre ich es jetzt gerade heraus.

    Schwan: Wenn Sie das so sehen, ist das Ihr Ding. Das müssen Sie so interpretieren. Ich habe meine eigene Position dazu gesagt. Und es wäre dann die Frage an sie, ob Sie das Grundgesetz anders interpretieren.

    Adler: Ja, möglicherweise. Vielleicht ist es in der Tat eine Herangehensweise, dass das Amt des Bundespräsidenten ab da so verstanden wird, wo jemand Bundespräsident ist, und da, wo er kandidiert, kandidiert er ja auch - zumindest noch ist es so - in der Eigenschaft, von einer Partei aufgestellt worden zu sein oder auch von mehreren Parteien. Siehe Horst Köhler.

    Schwan: Ja, er wird aufgestellt. Aber die Bundesversammlung ist eine Versammlung sui generis. Da wird nicht nach Fraktionen abgestimmt Da wird jeder einzelne in einer vertraulichen Abstimmung gefragt. Und ich finde es schon sehr wichtig, das gehört mit zu den für mich herausfordernden Fragen, dass wir uns nicht einfach von dem sehr klugen Grundgesetz verabschieden.

    Dieses Grundgesetz ist ein sehr, sehr kluges Grundgesetz. Und da gibt es sehr deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Aufgaben. Und ich glaube, die sollten wir respektieren. Wenn wir sie übertreten, diese Grenzen, dann merkt man das nicht von heute auf morgen, vor allen Dingen dann nicht, wenn es nicht eine kritische Öffentlichkeit gibt, die darauf pocht.

    Aber man merkt es möglicherweise in sieben, acht Jahren. Und dann ist auch das Potenzial eines Amtes und die Autorität eines Amtes verspielt. Also, ich beziehe mich aufs Grundgesetz. Und das ist auch von meiner politikwissenschaftlichen Ausbildung her sehr nahe liegend. Und das formuliert den Grundkonsens unserer Gesellschaft.

    Adler: Sie haben gerade von der kritischen Öffentlichkeit gesprochen. Die kritische Öffentlichkeit besteht - natürlich nicht nur, aber auch - aus Medien, die gerade von Ihrer Partei sehr heftig gescholten werden. Da ist von Rudeljournalismus, von Herdenjournalismus die Rede. Sie selbst haben viel Beifall gekriegt, als Sie in Nürnberg die Medien kritisiert haben. Als Analystin, als Politologin wissen Sie natürlich besser als ganz, ganz viele andere Menschen im Land, dass es einen ganz großen Anteil der SPD unterschlägt an ihrer eigenen Misere, wenn man nur die Journalisten beschimpft.

    Schwan: Also, ich habe nie in meinem Leben einen Journalisten beschimpft, an keiner Stelle. Ich habe überhaupt nie beschimpft, das ist nicht meine Sache. Ich analysiere. Ich habe auch keine Medienschelte betrieben, sondern ich habe gesagt, dass es ein Problem gibt, wenn Medien sich nicht in erster Linie den Geboten der Demokratie unterstellen.

    Es gibt eine Eigendynamik in Medien, die zum Beispiel dazu führt, dass man hohe Auflagen braucht, hohe Einschaltquoten, und die dann völlig unabhängig von dem konkreten Fall, von dem Sie da sprechen, skandalisieren, Widersprüche aufmachen, die bei genauerer Hermeneutik gar nicht stimmen. Das ist eine Dynamik, die betrifft nicht nur Deutschland, die betrifft auch andere, weil es damit zusammenhängt, dass sich das rechnen muss. Das gehört mit zu unserem komplexen System von Demokratie und kapitalistischer Wirtschaftsordnung, für die ich - noch mal gesagt - keine Alternative sehe.

    Deswegen werden Sie mich nicht schnell irgendwo ertappen. Es kann ja sein, dass ich irgendwann mal im privaten Kreise müde war, aber bei diesen Dingen passe ich schon sehr genau auf. Sie werden mich nicht dabei ertappen, dass ich irgendeine Dimension unserer Demokratie einfach schelte. Das werden sie sicher nicht schaffen.

    Ich glaube aber, dass Medien eben ihre Aufgabe wahrnehmen müssen. Sie sind genau so dem Demokratiegebot unterstellt wie die aktive Politik, wie die Wirtschaftsentscheidungsträger, wie unsere gesamte Gesellschaft. Und wenn ich kritischer Journalist wäre, würde ich das Abwehrwort Medienschelte gar nicht mehr benutzen. Das ist ein abgegriffenes Wort. Medienanalyse muss man betreiben, und ich sehe auch wirklich sehr viele sehr, sehr differenzierte Journalistinnen und Journalisten, die selbstkritisch auf ihre eigene Zunft schauen und die auch wissen, dass diese Zwänge, etwas zu formulieren, zu bebildern und so weiter, was die Auflage stärkt, was den Absatz stärkt, riesengroß sind. Ist ja auch verständlich.

    Eine Zeitung, deren Auflage immer weiter runter geht, hat es ja schwer. Eine Universität, wo keine Studierenden mehr hin kommen, hat es ja schwer. Das ist doch alles ganz verständlich. Und wir müssen diese Logiken ruhig analysieren und zugleich zeigen, wo entstehen da Spannungsfelder zur Demokratie.

    Adler: Solche Begriffe wie Herdenjournalismus oder Rudeljournalismus unterstellen, dass die andere Seite schuld ist und man selbst einfach nur den Schwarzen Peter weitergegeben hat…

    Schwan: Warum fragen Sie mich danach? Ich habe den Begriff nie benutzt. Ich glaube nicht, dass ich jetzt diesen Begriff weiter analysieren muss.

    Adler: Okay. Also noch mal: Ich frage Sie, weil Sie Mitglied der SPD sind und diese Begriffe nun ausgerechnet von Ihrer Partei kamen. Deshalb frage ich Sie. Wir müssen das jetzt nicht weiter vertiefen, wir haben vielleicht auch genug dazu gesagt. Ich möchte auf etwas ganz anderes noch zu sprechen kommen.

    Wenn wir uns die Zahlen dieser Woche anschauen, die Arbeitslosenzahlen, wenn wir uns den Zustand der Wirtschaft anschauen, dann muss man sagen, die Wirtschaft läuft immer noch gut, die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie seit mindestens zwei Jahren nicht mehr, und dennoch sind die Menschen unzufrieden, dennoch gibt es eine große Unzufriedenheit auch mit der Arbeit der Parteien, und zwar quer durch die Parteien.

    Mit Ausnahme von Frank-Walter Steinmeier, dem Außenminister, beziehungsweise von der Kanzlerin Angela Merkel werden im Grunde genommen alle Politiker doch eher negativ bewertet oder fallen in ihren Sympathiewerten. Das heißt also, das was sie tun für den Zustand des Landes - natürlich nicht nur allein, aber doch mithelfen für den Zustand des Landes - wird offenbar von den Menschen nicht so bewertet wie zum Beispiel die Arbeitslosenzahlen es verdient hätten. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

    Schwan: Also, ich finde, das ist eine sehr, sehr interessante Frage. Und mir fallen dazu drei Überlegungen ein. Eine gute amerikanische Freundin, die hochqualifizierte Sozialwissenschaftlerin ist und lange in Deutschland lebt, hat mich gefragt, warum interpretieren die Deutschen, selbst wenn es ihnen faktisch gut geht, diese Wirklichkeit immer wieder schlecht und erst recht die Zukunft? Und ich glaube, dass wir da in Deutschland eine gewisse kulturelle Tradition haben des Gegenwarts- und Zukunftspessimismus. Eines der größten Werke des Historikers Fritz Stern ging über die Zwischenkriegszeit, über die politics of cultural despaire, also die Politik der kulturellen Verzweiflung, die in seiner Sicht eine Voraussetzung für totalitäre Regime war. Und das wissen wir auch sozialpsychologisch.

    Und wir haben diese Tradition in Deutschland, das glaube ich schon. Ich persönlich - ich habe ja mal ein Buch über Politik und Schuld geschrieben - ich persönlich glaube, dass wir noch immer in unbewussten Schichten eine Angsthypothek haben, die jedes Mal, wenn es irgendwo flackert, die Zukunft schlecht sieht. Und diese Angsthypothek hat etwas zu tun mit dem Dritten Reich. Das ist meine sozialpsychologische Erklärung ad eins.

    Ad zwei fehlt uns in der Öffentlichkeit eine Perspektive für eine gelingende Zukunft der Globalisierung. Das können wir nicht mit Schlagworten hinkriegen. Da können wir auch nicht einfach sagen, Deutschland gewinnt ja ökonomisch, weil in der Tat der Export dadurch ja auch noch gesteigert wird und so weiter. Wir brauchen eine Perspektive, die übrigens sich nicht mal auf Deutschland oder Europa beschränken kann, sondern die bis nach China und Indien gehen muss, wo wir aus dieser ökonomischen-kulturellen-informationellen Globalisierung eine Win-win-Situation machen. Und dann glaube ich einfach, dass wir kausal nicht alles sehr genau zuordnen können.

    Wir haben eine runtergehende Arbeitslosigkeit. Wir haben daneben aber auch Arbeitsverhältnisse, die sehr unbefriedigend und sehr prekär sind. Nicht nur, dass sie schlecht bezahlt werden oder so, sondern auch, dass Menschen, die in der Mittelschicht sind, von heute auf morgen in eine Situation kommen können, wo sie keine rechte Perspektive für sich sehen. Und da ist auch eine ganz wichtige kulturelle Aufgabe bei der Funktion des Bundespräsidenten, begründet Zuversicht zu vermitteln. Nicht Zuversicht einzufordern, das kann man nicht. Man kann weder Vertrauen noch Zuversicht einfordern, aber begründet durch wahrnehmbare Beispiele, durch eine wirklich geistige Durchdringung der Situation, in der wir uns heute befinden. Die muss geschichtlich informiert sein. Wir sind nicht plötzlich hier, sondern wir sind von irgendwo her gekommen und wir gehen irgendwo hin.

    Durch diese Analyse, glaube ich, kann man auch eine zuversichtliche Perspektive liefern und ich denke - und dazu möchte ich auch die Zeit der Kandidatur nutzen - dass es dazu darauf ankommt, dass wir wieder sehr viel mehr gesellschaftlich diskutieren. Wir diskutieren nicht genug, nicht differenziert genug. Wir bleiben vielfach in festgelegten Kategorien und Schlagworten und fragen nicht nach, stimmt das eigentlich.

    Dieses Zweifeln, was ja eigentlich ein originärer Punkt der Wissenschaft ist, würde uns wohl gut tun, denn es gibt gute sozialwissenschaftliche Einsichten darein, dass ein kluger, sachlicher Streit Menschen zusammen bringt, nicht auseinander bringt sondern Menschen zusammen bringt.

    Adler: Gestritten haben wir in dem Gespräch genug, denke ich. Ich danke Ihnen sehr dafür. Danke schön, Gesine Schwan.