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"Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Großen diese Drohung wahr machen"

Die vier großen Stromkonzerne werben derzeit öffentlich für "ihren" Atomstrom - drohen aber angeblich mit dem Abschalten ihrer Anlagen, wenn eine Brennelementsteuer käme. Viel Spekulation um ein wichtiges Thema - Antworten gibt Stephan Kohler.

Interview mit Stephan Kohler, Geschäftsführer Deutsche Energieagentur | 16.08.2010
    Theo Geers: Zu unserem ersten Thema, der geplanten Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Bundesregierung will sie, auch wenn unklar ist, wie viele Jahre die Meiler länger laufen sollen. Die vier großen deutschen Stromkonzerne wollen sie sowieso. Die Bevölkerung will die Laufzeitverlängerung dagegen mehrheitlich nicht. In diesen Tagen und Wochen laufen aber die Verhandlungen und es wird mit äußerst harten Bandagen gekämpft. Vor den Kulissen werben die Chefs der vier großen Stromkonzerne heute beispielsweise in der "Bild"-Zeitung für ihre Atommeiler, hinter den Kulissen drohen sie angeblich mit dem Abschalten dieser Atommeiler, wenn die geplante Steuer auf Brennelemente kommen sollte. – Zu diesem Thema begrüße ich nun Stephan Kohler, den Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur DENA in Berlin. Guten Tag, Herr Kohler.

    Stephan Kohler: Guten Tag, Herr Geers.

    Geers: Herr Kohler, was wäre denn, wenn die vier Stromkonzerne ihre Drohung wahr machten? Hätten wir dann von heute auf morgen eine Stromlücke?

    Kohler: Ich denke, da muss man sehr genau zuhören. Bisher ist die Drohung ja nicht bestätigt worden, aber man muss auch ganz klar darüber reden, wie viel die dann eigentlich stilllegen wollen. Wollen sie jetzt nicht nur die alten Anlagen stilllegen, die jetzt sowieso nach dem vereinbarten Energiekonsens zur Abschaltung kämen, oder wollen sie auf einen Schlag alle 20.000 Megawatt abschalten? Man muss unterscheiden, ob es jetzt im Sommer ist – im Sommer gibt es immer weniger Stromnachfrage -, oder im Winter. Und wenn die Drohung wahr würde, was ich mir jetzt nicht vorstellen kann, alle 20.000 Megawatt an Atomkraftwerken abzuschalten, dann, würde ich sagen, hätten wir im Winter keine Versorgungslücke, aber ein ganz massives CO2-Problem, weil dann uralte Kohlekraftwerke wieder angeschmissen werden müssen, die auch mit hohen CO2-Emissionen verbunden sind.

    Geers: Also von heute auf morgen hätten wir keine Stromlücke?

    Kohler: Von heute auf morgen nicht. Wir haben noch einen Kraftwerkspark, der in der Lage ist, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Aber – und das ist ja auch ein wichtiger Punkt – nicht mehr effiziente Kraftwerke, sondern Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 33, 34 Prozent, die natürlich mit einem hohen Energieeinsatz, Kohle, Braunkohle, verbunden sind, mit hohen CO2-Emissionen, und deshalb würde aus unserer Sicht dieser Weg in die völlig falsche Richtung gehen.

    Geers: Nun sagt die Umweltorganisation Greenpeace, sollen sie doch die Atommeiler stilllegen, denn die acht ältesten Atomkraftwerke könnten ohne Probleme stillgelegt werden. Greenpeace rechnet vor, dass diese Atommeiler aktuell nur noch gut fünf Prozent des Stromverbrauchs hierzulande abdecken. Rechnen die jetzt mit anderen Zahlen?

    Kohler: Nein. Ein Widerspruch war jetzt nicht zu erkennen. Ich habe ja meine Argumentation bezogen auf alle Atomkraftwerke. Wenn man über die acht ältesten redet, da muss man sehen: Da waren ja jetzt sowieso im Jahr 2010 11, 12 dieser Anlagen zur Stilllegung vorgesehen. Deshalb sind die auch im Ausstiegsfahrplan so vorgesehen und da würde ich jetzt nicht widersprechen.

    Geers: Nun sagen die Stromkonzerne auch, wenn die Atommeiler abgeschaltet würden, dann müsste man unter Umständen Strom aus dem Ausland importieren. Ist das in der Tat eine Alternative? Gibt es da Kapazitäten, gibt es da Strom zu kaufen?

    Kohler: Ich würde das auch wieder differenzieren: Sommer-Winter und eben nach Können und Vermögen, aber unter der Anforderung Versorgungssicherheit. Ich würde mich nicht aufs Ausland verlassen, wenn es darum geht, gesicherte Leistung zu beziehen im Winter, wenn eben in Europa – und das ist ja nicht nur in Deutschland – die Höchstlast auftritt. In diesen Monaten haben wir oftmals das Gegenteil, dass wir viel Strom ins Ausland exportieren, weil im Ausland nicht die notwendigen Kraftwerkskapazitäten vorhanden sind, Beispiel Frankreich. Frankreich kann zwar im Sommer häufig liefern, aber eben auf Spottmärkten. Im Winter beziehen sie häufig Strom von uns, weil sie sehr viel Strom-Direktheizungen haben, und wenn es in Frankreich kalt ist, dann steigt dort die Last sehr stark an und dann importieren sie unter anderem auch von Deutschland Strom. Ich denke, das ist keine Lösung, wo wir unsere Versorgungssicherheit in Deutschland davon abhängig machen sollten.

    Geers: Nun ist die Drohung vom Wochenende ja manchem in die Knochen gefahren, Herr Kohler, und wenn man jetzt weiß, dass 80 Prozent der Stromerzeugung hierzulande auf die großen vier Stromkonzerne entfällt, und die jetzt drohen, wir könnten ja im Zweifel auch die Atomkraftwerke abschalten, haben die nicht umgekehrt auch eine Verpflichtung, die Stromversorgung hierzulande sicherzustellen?

    Kohler: Natürlich. Ich denke wirklich, ich sage es noch mal: Wenn die Drohung wirklich so ausgestoßen worden wäre, dann wäre das aus meiner Sicht völlig unakzeptabel, weil, ich kann damit nicht praktisch eine Volkswirtschaft in die Haftung nehmen, sondern was notwendig ist, dass sich jetzt die Energieversorgungswirtschaft, die Energiewirtschaft und die Politik möglichst schnell auf ein Konzept einigt, und da auch klare Botschaft an die Politik, nicht so viel öffentlich darüber reden, über 18 oder 14 Jahre Laufzeit, sondern endlich das Energiekonzept auf den Tisch legen und dann hat man eine solide Basis, wo man auch diese Frage besprechen kann. Aber die Drohung, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Großen diese Drohung wahr machen, weil, es besteht auch eine Versorgungspflicht. Wir müssen ein Industrieland wie Deutschland auch zu jeder Zeit sicher und preiswertig mit Strom versorgen.

    Geers: Danke schön! – Das war Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur.