Dienstag, 16. April 2024

Archiv


"Ich liebe Dich!"

Drei kleine Worte, ein großer Satz, dem das Marbacher Literaturarchiv eine Ausstellung von Goethe bis Gernhardt widmet. Christian Gampert hat sie sich angesehen und meint: In der Literatur spiele der Satz längst keine Rolle mehr, aber im Privaten würden auch über den Kitsch und die Phrase erhabene Schriftsteller dann doch rückfällig werden.

Christian Gampert im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 20.09.2011
    Burkhard Müller-Ullrich: Nehmen sie mal einen Taschenrechner und geben sie "38317" ein. Dann drehen sie das Display herum und lesen die Zeichen auf dem Kopf. "LIEBE" steht da in Großbuchstaben, ein Wort, das meistens viele Wörter nach sich zieht, ein Begriff, der Literatur generiert wie der Urknall das Universum. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach verdankt seine Existenz, so könnte man schlussfolgern, zu einem guten Teil dem Phänomen Liebe, was logischerweise für die Ausstellungsabteilung des Hauses eine tolle Idee, ein gefundenes Fressen, ja geradezu ein Auftrag ist. - Christian Gampert, Sie haben die Ausstellung mit dem Titel "Ich liebe Dich!" gesehen. Was genau haben Sie gesehen?

    Christian Gampert: Also so viel Liebe kommt eigentlich nicht vor in der Ausstellung, sondern wir sehen natürlich Manuskripte, die diesen Dreiwortsatz "Ich liebe Dich" in irgendeiner Form zum Inhalt haben, und man sieht, wenn man durch die Ausstellung geht, ganz gnadenlos, wie dieses Wort "Ich liebe dich" aus der Literatur verschwindet.

    Die Marbacher haben sich wieder aus ihrem eigenen Archiv bedient und die üblichen Verdächtigen ausgestellt, also natürlich Goethe, Werther oder auch den Erlkönig, Schiller, Maria Stuart, aus der der Liebessatz dann gestrichen ist, dann die Romantik, Brentano, Uhland, Mörike. Aber diese Liebesbeteuerung verschwindet doch sehr schnell aus der Literatur, je näher man der Moderne kommt, und wandert dann in private Äußerungen, in Tagebücher, in Briefe, in Telegramme auch, und das ist so die Bewegung, die man sehen kann in der Ausstellung. Und da wird sehr viel Privates dargeboten, was nur randständig mit Literatur zu tun hat.

    Es gibt dann noch einen Teil, wo Objekte ausgestellt werden, wo auch heutige Schriftsteller gebeten wurden, einen Text zur Liebe zu schreiben, und auch da ist es so, dass dieser Satz umspielt wird, umschifft wird, denn es kommt ja auf den Kontext an. Es kommt darauf an, wie sage ich das heute. Ich kann doch nicht einfach sagen, "Ich liebe dich". Es gibt ein Liebesgelispel von Sibylle Lewitscharoff, oder es gibt ein Abschiedsgedicht von Friederike Mayröcker an ihren toten Mann, Ernst Jandl, "Ein Efeublatt für Ernst Jandl".

    Burkhard Müller-Ullrich: Wird denn diese Problematik, die Sie gerade ansprechen, auch explizit thematisiert, dass man ja eigentlich, wenn man sagt, "Ich liebe dich", einen Code, eine gestanzte Formulierung wählt, die dem Gefühl gar nicht wirklich entspricht vielleicht?

    Christian Gampert: Na ja, in der Literatur ist es eigentlich relativ klar: Man kann diesen Satz nicht mehr gebrauchen. Aber das Überraschende an dieser Ausstellung ist, dass jene Schriftsteller und Wissenschaftler, die wir völlig frei wähnten von dem Kitschverdacht, dass die im Privaten dann eben doch rückfällig werden. Am schlimmsten finde ich Siegfried Kracauer, der für mich immer als Filmkritiker eine Figur war, die jedem Kitsch abhold war, der das gnadenlos analysiert hat, und dieser Mann schreibt seiner Frau Briefchen, wo er dann Herzchen malt, die durchbohrt sind, und irgendwelchen englischen Unsinn dazu schreibt, "dein Bibi an seine Tutu". Also das ist ganz schrecklich. Gut, der Mann war im Exil, aber trotzdem ist das ein merkwürdiger Rückfall, und so gibt es einige.

    Es gibt auch - und das ist ein bisschen indiskret - die Kehrseite der Liebe, nämlich den Betrug, und da ist das Archiv ja gnadenlos, weil eben alles erhalten ist. Zum Beispiel Gottfried Benn schreibt Liebesbriefe an seine Gattin Ilse Benn, während er mit einer Geliebten Weihnachten vorfeiert. Das sind so Sachen, wo ich irgendwie denke, ja, ganz nett, aber wollen wir das wirklich wissen, das ist doch so ein bisschen Boulevard. Aber Literaten sind eben auch Menschen und jenseits des literarischen Textes, der möglicherweise gelungener ist, gibt es da manche Trivialität zu entdecken.

    Burkhard Müller-Ullrich: Und wollen Sie die wirklich nicht wissen?

    Christian Gampert: Na ja, ich habe doch so gewisse Säulenheilige, und wenn die dann Herzchen malen, dann ist man dann doch gelinde enttäuscht. Also ich halte es eher mit den Leuten, die mit der Ironie arbeiten. Zum Beispiel gibt es einen Filmausschnitt von Rosa von Praunheim zu sehen - eigentlich ein Höhepunkt dieser Ausstellung, der am Ende auf uns wartet - aus dem Film "Die Bettwurst", wo ein junger schwuler Liebhaber gut geföhnt mit nacktem Oberkörper sich über eine 30 Jahre ältere Frau beugt, deren Minirock immer weiter hochrutscht, und sie mit Liebesschwüren überschüttet, "Isch liebe disch", "ja, wir müssen immer zusammenbleiben, ja, wunderbar, dass wir uns gefunden haben". Das ist pure Ironie, das ist richtig gaga, und allein dafür lohnt es sich schon, diese Ausstellung zu besuchen.

    Burkhard Müller-Ullrich: Liebe macht ja auch gaga, wenn ich mich recht entsinne. Insofern passt wieder mal alles. Danke Christian Gampert für diese Impressionen von der neuesten Schau im Marbacher Literaturarchiv.


    Liebeserklärungen aus der Feder berühmter Literaten - Interview mit dem Co-Kurator der Ausstellung: "Ich liebe Dich!"

    "Ich liebe Dich!" - Infos zur Ausstellung auf der Homepage des Marbacher Literaturarchivs