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"Ich mache mein Staatsexamen nicht mit Eins"

Am Mittwochabend werden im türkischen Izmir die Weltspiele der Studierenden, die 23. Universiade, eröffnet. Alle Teilnehmer kennen das selbe Problem: Sie müssen die richtige Balance zwischen Studium und Spitzensport finden.

Von Ralf Heineken |
    Tobias Unger läuft 200 Meter in etwa 20 Sekunden. Weltspitze. Das braucht tägliches und stundenlanges Training. Unger hat eine Ausbildung als Finanzassistent hinter sich und studiert nach ein paar Semestern Betriebswirtschaft jetzt im zweiten Semester Sportmanagement in Tübingen. Ganz schön viel für einen einzelnen Mann:

    " Momentan ist es schwierig. Je besser ich werde, desto mehr Erfolge man hat, umso schwieriger wird es, weil viele Verpflichtungen auch außerhalb vom Training anstehen und das Training sowieso sehr zeitintensiv ist. Das ist schon schwierig momentan mit dem Studium. Mal sehen, wie lange es noch gut geht."

    Tobias Unger hat das Glück, an seiner Universität auf größtes Verständnis zu treffen. Sein Chef dort am Sportwissenschaftlichen Institut ist kein geringerer als der ehemalige Leichtathletik-Präsident Helmut Digel. Unger studiert im Moment eindeutig nebenbei:

    " Ich bin eigentlich, wenn es geht, schon dreimal die Woche da. So habe ich mir meinen Plan auch gelegt. Aber manchmal bist du auch eine Woche nicht da, wenn man jetzt im Trainingslager waren. Oder jetzt haben wir Prüfung gehabt, da waren wir beim Bayer-Meeting und danach in Helsinki. Sport geht halt für mich vor, und das heißt dann schon, dass wir etwas fauler seien als die andern, weil wir nicht so oft da sind."

    Rücksicht auf den Spitzensportler ist die Grundvoraussetzung für gute Leistungen und ein erfolgreiches Studium. Den deutschen Universitäten fehle da oft noch das Verständnis, klagt der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband. Vor sechs Jahren hat der Verband deshalb begonnen Kooperationsverträge mit den Unis abzuschließen. Das Ziel: Spitzensportlern Studium und Sport zu ermöglichen und in jeder Beziehung das Nebeneinander von beidem zu erleichtern. Das geht von besonderen Semesterplänen, über die Wohnungssuche bis hin zur Sportlerdiät in der Mensa. Über 60 Universitäten haben solche Kooperationsvereinbarungen unterschrieben. Es werden immer mehr. Auch die Uni Heidelberg ist dabei, wo Petra Dallmann Medizin studiert - und schwimmt:

    " Das sieht zum Beispiel so aus, dass ich während des Sommersemesters sehr oft Anwesenheitsprobleme hatte, da sind drei Wochen Trainingslager, sind eine Woche Deutsche Meisterschaften, dann sind noch mal zwei Wochen Trainingslager, dann ist die WM, die geht auch noch einmal zwei Wochen. Und da habe ich zum Beispiel die Gelegenheit bekommen, das in den Semesterferien einfach nachzuholen. Es ist nicht so, dass ich etwas geschenkt bekomme, ich bekomme einfach nur die Gelegenheit, es zu einem anderen Zeitpunkt nachzuholen."

    Petra Dallmann hat Olympiabronze gewonnen in Athen und vor zwei Wochen Weltmeisterschaftssilber - beides in der deutschen Schwimm-Staffel über vier mal 100 Meter. Ihr Tagesablauf ist einfach, aber streng gegliedert: Training von sieben bis neun, Krankenhaus-Arbeit beziehungsweise Medizinstudium von neun bis 16 Uhr und abends wieder Training bis 19 Uhr. Freizeit? Kaum:

    " Wo ich sparen muss, das ist wirklich meine Freizeit. Also dass ich abends mit Freunden einfach mal gemütlich ein Bier trinken gehe, das überlege ich mir wirklich dreimal, denn selbst wenn mir dann eine Stunde Schlaf fehlt, merke ich das am ganzen nächsten Tag."

    Eine gute Portion mehr Disziplin und eine gute Portion mehr Ehrgeiz als bei anderen sind unabdingbar, wenn es mit Sport und Studium klappen soll. Und trotzdem: An ein summa cum laude ist für Petra Dallmann nicht zu denken:

    " Was, glaube ich, nicht gelingen kann, ist, in dem Studium sich durch besondere Leistungen hervor zu tun. Ich mache meine Staatsexamen nicht mit der Note Eins, so was ist unmöglich, ich werde keine super aufregende intensive Doktorarbeit fertig bringen."

    Spitze zu sein, geht nur entweder im Sport oder im Studium. Das System eines funktionierenden Nebeneinanders fordert den sportlichen Erfolg. Bleibt der aus - dann heißt es wählen. Entweder das Risiko, ganz auf den Sport zu setzen oder das normale Studium durchzuziehen.

    Das Rezept für die Vereinbarkeit von Spitzensport und Studium ist eigentlich einfach:

    Die Universität schafft gute Rahmenbedingungen, die Sporthilfe, der Verein und der ein oder andere Sponsor sorgen für finanzielle Unterstützung und die Athleten steuern Talent, Zeit, Ehrgeiz und Disziplin bei - und als Lohn gibt es Titel, Medaillen, gute Platzierungen. In den USA ist das System längst perfektioniert. Davon scheint die Sportförderung in Deutschland noch weit entfernt, aber die Richtung stimmt. Seit den olympischen Spielen von Barcelona 1992 steigt der Anteil der studierenden Olympia-Sportler im deutschen Kader kontinuierlich an. Und dass das dem sportlichen Erfolg gut tut, zeigt ebenfalls die Statistik: Fast die Hälfte der Olympia-Medaillen in Athen 2004 haben die Hochschulsportler geholt.