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"Ich möchte immer hungrig bleiben"

24 Jahre jung, lange Haare, Bart, Tätowierungen - der britische Gitarrist und Sänger Oli Brown hat das Zeug zum Rockstar. Und obwohl er noch so jung ist, kann er schon auf eine lange Karriere zurückblicken. Gerade ist sein viertes Album erschienen.

Oli Brown im Gespräch mit Tim Hannes Schauen | 27.07.2013
    Tim Hannes Schauen: Mister Brown, bislang waren Sie eher als Bluesrock-Gitarrist bekannt, haben einige britische Blues-Awards gewonnen. Auf der Tour mit Joe Satriani spielten Sie kürzlich in größeren Hallen und hatten dort 30-40 Minuten Zeit, sich einem "neuen" Publikum vorzustellen. Wie haben Sie Ihr Programm dafür umstellen müssen?

    Oli Brown: Das ist wirklich schwierig. Unser Sound hat sich über die Jahre verändert: Ich komme zwar vom Blues, aber im Moment spielen wir mehr psychedelischen Rock, etwas freier, kreativer und auch härter als bislang. Ich fand schnell heraus, dass einige meiner älteren Songs auf großen Bühnen nicht richtig funktionieren- irgendwie hatte ich das Gefühl, sie gingen dort etwas verloren. Bei Konzerten in Clubs hat das bislang immer bestens funktioniert, aber jetzt mit Satriani ist ein Sound nötig, der auch die größeren Hallen füllt. Und das machte die Auswahl der Lieder wirklich schwierig. Denn, die, die schön laut und dreckig sind, waren bislang auch sehr lang, also mussten wir sie etwas kürzen. Es war nicht ganz einfach, die richtige Balance zu finden.

    Schauen: Inwieweit war das für Sie ein Kompromiss?

    Brown: Gar nicht mal so sehr. Wir wollen immer auf die Bühne gehen und das machen, was wir möchten. Und das ist auch auf dieser Tour so gewesen. Ich wollte und könnte auch nichts machen, in dem ich mich selbst nicht wiederfinde. Ich wollte mich nicht anders darstellen, nur um jetzt hier im Vorprogramm eines sehr berühmten Musiker, einer Ikone der Gitarrenmusik, zu spielen. Die Leute sollten sich ein Bild von uns machen, und dann mögen sie uns, oder eben nicht. Aber Joe hat uns direkt am Anfang genau darin bestärkt. Daher haben wir etwas experimentiert, unser Set etwas umgestellt. Man weiß ja nie, was morgen ist.

    Schauen: Wie ist es, vor dieser "Ikone" - wie Sie es nennen - zu spielen?

    Brown: Das ist natürlich eine erstaunliche Erfahrung, unglaublich, und ich kann Satriani gar nicht dankbar genug sein, mir hier diese Chance ermöglicht zu haben. Er hat direkt ein paar nette Dinge über mein Gitarrenspiel gesagt, was mich natürlich sehr gefreut hat, aber wenn Du dann aus dem Augenwinkel siehst, dass er bei Deiner Show tatsächlich dort neben der Bühne steht und dir genau zuhört. Uiuiui - also wenn Du jemand mit seinem Gewicht aus der Musikindustrie hast, der tolle Sachen über Dich sagt, dann ist das ein schönes Kompliment.

    Schauen: Die Leute sind ohne Frage mehrheitlich wegen Satriani zu den Konzerten gekommen, das Publikum bestand zum größten Teil aus Männern. Bei Ihren eigenen Konzerten sind aber meist jüngere Zuschauer im Publikum und mehr Frauen. Also eben nicht bloß die Verehrer von instrumentalem Gitarrenrock. Hat das damit zu tun, dass Sie eben mehr als den reinen Blues spielen, nämlich poppige, eingängige Melodien wie zum Beispiel den Titel "Speechless", oder hängt das auch mit ihrer Arbeit an Schulen zusammen?

    Brown: Das hängt natürlich auch damit zusammen, was ich im Vereinigten Königreich mache: Seit zwei Jahren gehe ich dort in Schulen und erzähle über das Leben als Profi, erzähle über die Bedeutung von Musik, über den Blues. Klar, das bringt dann auch junge Zuschauer und ja: Fans zu meinen Konzerten. Aber ich spreche mit den Schülern vor allem auch über die Musikindustrie und die verschiedenen Perspektiven und Berufsfelder, die dieses Business bietet. Denn der Wunsch, Sänger zu sein, Rockstar zu sein, Musiker zu sein, Klavier zu spielen oder zu trommeln überschattet in der Wahrnehmung meist, dass hinter den Kulissen noch viele andere Leute arbeiten: Der Tonmann oder der Tourmanager, der wirklich die Fäden in der Hand hält, zum Beispiel. Ist sicher nicht der glamouröseste Job, aber er ist ein eminent wichtiger Bestandteil. Und dann gibt es ja noch Andere, die beim Aufbau von Ton und Licht helfen und so weiter. Kinder machen sich da einfach keine Vorstellung, das ist für sie dann immer sehr aufschlussreich. Mir macht das großen Spass und ich will das auch mal in Deutschland machen.

    Schauen: Sie sind seit Jahren Profi, kürzlich ist mit "Songs from the road" ihr viertes Album erschienen – nach zuvor drei Studioproduktionen nun ein Livealbum. Wie lief die große Tournee aus ihrer Sicht?

    Brown: Wir sind kürzlich von Deutschland nach Estland gefahren, an drei Tagen hintereinander waren wir gut 20 Stunden im Auto! Vorher hatten wir schon ein paar lange Reisen zu bewältigen, aber dieses Mal war wirklich extrem – zumal wir von Estland direkt wieder zurück nach Deutschland fahren mussten. Diese Tour mit Satriani war größer, das merke ich auch daran, dass die Distanzen viel größer waren, wir viel mehr reisen mussten.

    Schauen: Sie sind jetzt 24 Jahre alt und, wie gesagt, seit Jahren im Musikgeschäft aktiv, wurden zuerst von Ihrem Vater gemanagt. Was hat sich inzwischen verändert, persönlich und auch in Bezug auf ihre musikalische Herangehensweise?

    Brown: Es hat sich eine Menge geändert. Ich habe jetzt eine Managerin und bin selbst viel mehr in die Entscheidungen eingebunden, die das Geschäft betreffen. Als ich jünger war, waren mir viele Dinge nicht bewusst oder ich wollte einfach nichts darüber hören, aber jetzt will ich sie hören und die richtigen Entscheidungen treffen. Musikalisch habe ich anfangs wirklich sehr von meinen, naja: natürlichen Fähigkeiten profitiert. Aber jetzt weiß ich, dass ich noch nicht genügend Zeit damit verbracht habe, mich wirklich weiterzubilden. Hier kommt meine Managerin ins Spiel. Zuletzt habe ich viele Songs geschrieben, viel Neues probiert, komplett auf der akustischen Gitarre! Ich brauchte einen gewissen Abstand zu mir selbst, den habe ich mit der Akustikgitarre hinbekommen, was mir ganz neue Sounds eröffnet hat. Zudem habe ich mich mehr auf meine Stimme fokussiert. So habe ich herausgefunden, wie ich singen sollte. Ein guter Sänger zu sein zählt am Ende genauso viel, auch wenn die Gitarrensoli noch so viel Spaß machen.

    Schauen: Sie haben gleich zu Beginn Ihrer Karriere mit Branchengrößen wie Buddy Guy und Taj Mahal gespielt, von ihnen gelernt. Später standen Sie unter anderem mit John Mayall, Walter Trout und Robben Ford auf der Bühne. Wie bilden Sie sich heutzutage weiter?

    Brown: Nach der Satriantour reise ich nach Kanada und werde dort mit einigen Songschreibern arbeiten. Aber ich fliege auch nach Los Angeles, mache vielleicht ein paar Shows mit der Akustikgitarre und treffe einen Gitarristen namens Bobby Lee Rodgers. Den habe ich kürzlich bei einem Festival getroffen, wir haben uns unterhalten, er hat mal im Berklee College of Music in Kalifornien unterrichtet, war damals der jüngste Professor dort überhaupt. Und er ist ein total psychedelischer Gitarrist, seine Fähigkeiten, sein Spiel faszinieren mich total. Er gibt mir also einen Crashkurs. Das ist für mich das Schöne, die Freude an der Musik:Es gibt nichts, was man nicht noch entdecken oder lernen könnte. Und es wartet noch so Vieles auf mich! Daher möchte ich nach vielen Seiten hin offen sein für neue Einflüsse, verschiedene Farben kennenlernen. Ich habe mich zuletzt viel mit der Akustischen beschäftigt und dadurch eine Menge über mein Spiel gelernt. Und das verspreche ich mir jetzt von Bobby Lee Rodgers, er hat verblüffende melodische Ideen, die muss ich mir erst mal beibringen. Ich habe nämlich keine Ausbildung in Musiktheorie, ich verstehe das einfach nicht. Aber ich möchte immer hungrig bleiben, weiter lernen, es ist noch so ein weiter Weg - ich bin einfach noch nicht bereit für einen Urlaub.

    Schauen: Das Leben auf Tour, das Reisen wird von den meisten Musikern ja auch nicht gerade als Urlaub beschrieben ...

    Brown: Ich komme überhaupt nicht dazu, mir irgendetwas anzuschauen. Wir waren vor Kurzem in Italien und ich wollte mir Rom ansehen, aber ich hing in der Halle fest, hatte noch zu tun und dann war leider keine Zeit mehr. Ich habe von ganz Italien nichts gesehen, es ist beschämend. In Deutschland war ich ja schon öfter, hier bin ich schon viel durch Städte wie Berlin oder Köln gelaufen. Aber ich will mich nicht beklagen: Ich mag das Reisen. Zuhause fühle ich mich am wenigsten wohl. Das ist natürlich nicht ganz so ernst gemeint, aber ich arbeite und lerne wirklich gerne. Und ich muss natürlich auch meine Karriere vorantreiben, mein Momentum am Leben halten.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.