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"Ich möchte Theater machen, das mich überrascht"

Henry Hübchen ermittelte als Commissario Laurenti in der ARD und spielte in zahlreichen Kinofilmen mit. Als Hauptdarsteller in "Alles auf Zucker" erhielt er im Jahr 2005 den Deutschen Filmpreis. Auch als Theaterschauspieler machte er von sich reden. Zeit für ein Gratulationsgespräch.

Von Oliver Kranz |
    Oliver Kranz: Henry Hübchen, Sie werden 65. Ist das ein Grund zum Ärgern oder ein Grund zum Freuen?

    Henry Hübchen: Ja, ich freue mich. Ich bekomme jetzt Rente. Ich muss also nicht mehr alles annehmen. Das musste ich vorher natürlich auch nicht.

    Kranz: Die ARD sendet jetzt anlässlich Ihres 65. Geburtstags den Film "Hoffnung für Kummerow". Ist das auch einer Ihrer Lieblingsfilme?

    Hübchen: Es ist ein Film, der mir beim Machen Spaß gemacht hat. Das ist für mich fast das Entscheidende.

    Kranz: In dem Film spielen Sie einen Bürgermeister in einem vergessenen Dorf im Nordosten, also in den neuen Bundesländern. Dieser Bürgermeister versucht, in der West-Marketingsprache Erfolg zu organisieren, aber er hat völlig den Blick für die Realitäten verloren, sodass man als Zuschauer sofort sieht: Das kann alles nur daneben gehen. Daraus entwickelt sich eine ziemlich komische Story, die am Schluss auf eine ganz komische, unerwartete Weise zum Happyend führt. Ich habe gedacht, die Rolle ist für Henry Hübchen wie gemacht. Warum denkt man, Hübchen muss die liebenswerten Loser spielen?

    Hübchen: Muss er ja nicht. Ich habe ja vor Kurzem einen sowjetischen General gespielt, der ein Kombinat im Uranbergbau befehligt hat. Aber ja, ich finde die Figur ganz schön, weil er so krankhaft optimistisch ist, der Bürgermeister.

    Ich bin schon eher einer, der relativ schnell beschleunigt und emotional ist. Ich kann schwer zurückhaltend, nachgedacht, ohne Emotion was formulieren. Deshalb bin ich wahrscheinlich auch Schauspieler geworden, weil ich doch eher emotional sein möchte als politisch korrekt.

    Kranz: Was hat Sie zur Schauspielerei gebracht?

    Hübchen: Das Leben oder der Zufall.

    Kranz: Sie haben erst einmal Physik studiert.

    Hübchen: Ja, da wollte ich eigentlich Student sein und ein bisschen das Leben kennenlernen. Allgemeinbildung. Da ist natürlich das Physikstudium das Falscheste. Dann habe ich damit aufgehört und dachte: Gehst du erst einmal zu Schauspielschule. Das hatte sich so ergeben, weil meine damalige Freundin an der Schule war. Ich habe mich beworben und sie haben mich genommen. Hätten sie mich nicht genommen, weiß ich nicht, was dann passiert wäre.

    Kranz: Dann waren Sie in Magdeburg engagiert. Das war auch in der DDR nicht gerade die Stadt, wo der Bär tobte. Aber waren Sie so ein junger, forscher Schauspielabsolvent, der gesagt hat: Jetzt spiele ich in Magdeburg und dann gehe ich nach Berlin?

    Hübchen: Nein, ich hatte keine Strategie und kein Ziel. Ich wollte einfach erstmal spielen. Ich habe ja noch nie auf einer Bühne gestanden vorher. Und dann haben sich so Sachen ergeben. Dann sagte jemand: Gehe doch erstmal nach Berlin und sprich vor an der Volksbühne, als Gast in so einer kleinen Inszenierung. Und dann habe ich einen festen Vertrag bekommen von Benno Besson.

    Kranz: Diese Besson-Zeit, über die immer noch gesprochen wird - also Benno Besson, ein Regisseur aus der Schweiz, der in der DDR ein Theater leitete - was war das Besondere an dieser Zeit?

    Hübchen: Es ist schon etwas Besonderes gewesen, dass ein Schweizer in diesem abgeschlossenen System DDR ein Theater leitet. Da er eine andere Atmosphäre ins Theater brachte und sein Netzwerk. Das hatte so eine Internationalität an dem Theater, das war ja auch ein Grund, weshalb ich da war. Weshalb ich mich auch wohlgefühlt habe und schon empfunden haben, dass ich privilegiert war. Das ist ein schönes Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

    Kranz: War es schlimm, als dann die Mauer fiel und das weg war?

    Hübchen: Nein, natürlich war es nicht schlimm. Das war natürlich eine Befreiung, weil für uns alle und für mich auch. Aber ich hatte auch in der DDR nicht das Gefühl, dass mir die Luft abgedrückt wird.

    Kranz: Sie sind einfach an der Volksbühne geblieben. Die ist nicht sofort von Castorf übernommen worden, sondern 1992. Da war das Haus am Boden. Ein Gutachter sagte: Gebt es dem Castorf, dann ist das Haus in drei Jahren entweder berühmt oder tot. Sie gehörten zur Mannschaft. Was war das für ein Gefühl, unter so einer Prämisse Theater zu machen?

    Hübchen: Erstmal ist es so, dass ich mit Frank schon vorher gearbeitet habe und zwar in Anklam - dafür eine gut dotierte Inszenierung habe laufen lassen - weil mich das viel mehr interessiert hat, gerade in der Provinz. Ich wollte einfach mal wissen, wie das funktioniert mit dem. Daraus entstand eine Kontinuität. Also die Zusammenarbeit mit Frank begann nicht erst '92, obwohl er noch nicht Intendant war. Und dann wurde er es sogar. Mein Regisseur wurde Intendant. Katastrophe auch. Plötzlich hatte der Macht über mich.

    Kranz: Da war die Gleichheit gestört?

    Hübchen: Na klar. Natürlich. Das sage ich jetzt so. Das ist der Intendant. Du bist Schauspieler. Aber es ist natürlich nicht verkehrt, wo man machtvolle Freunde hat.

    Kranz: Was verdanken sie dem Regisseur und was verdankt er ihnen?

    Hübchen: Ich habe durch Frank Castorf wieder Lust zum Theater bekommen.

    Kranz: Also es ist so ein extremes Theater, wo man das Gefühl hat, es entsteht aus Improvisation, wo ganz viel Körperlichkeit ist, ganz viel Kraft, beim Schreien. Es sind doch immer atemberaubende Slapstick-Nummern dabei.

    Hübchen: Das ist jetzt oberflächlich beschrieben. Es ist ein Denkansatz. Ich möchte Theater machen, das mich überrascht und auch den Zuschauer. Das hat was mit Gedanken zu tun. Womit möchte ich was ausdrücken? Wenn der Slapstick vorhanden ist, dann wird er auch benutzt. Oder wenn jemand singen kann, wenn Musik da ist, dann kann man es auch benutzen. Da gibt es eben sehr viele Dinge, die zu einer Komposition zusammenkommen und diese Komposition, im Grunde ist Frank Komponist, der hat etwas mit Rhythmus zu tun, mit laut und leise und irgendwann wurde die Art des Komponierens immer üppiger durch Überlagerung. Man hat als Zuschauer nicht nur einen Reiz, nicht nur eine Quelle, die ich beobachten kann, sondern Überlagerung paralleler Mitteilungen, wo man auch durcheinander kommen könnte. Man muss sich suchen, was man braucht.

    Kranz: Ganz lange war Ihr Regisseur Frank Castorf. Dann wurde es irgendwann nach der Jahrtausendwende weniger und Sie haben die Volksbühne verlassen. Sie machen jetzt vor allem Film.

    Hübchen: Ich habe das Gefühl gehabt, ich habe da keine weißen Felder, die ich noch erkunden wollte, und da ist viel mehr auf der Karte des Films. Dazu kommt natürlich noch, dass man, wenn man nur dreht oder nur Filme macht, dass man dann einen anderen Lebensrhythmus hat.
    Nur als Beispiel: Ich war in Nizza und habe gedreht. Ich habe einen Drehtag gehabt, bin früh angekommen, musste um 6:00 Uhr hier weg, bin um zehn irgendwie angekommen, dann gedreht und abends kommst du nicht mehr weg. Am nächsten Tag hatte ich Probe in Berlin. Und am nächsten Tag fliegst du wieder zurück. Das ist ganz witzig, wenn man 20 ist oder 30. Eine Zeit lang. Aber irgendwann ist das nicht mehr schön dieses Hin und Her. Bleib doch mal bei der einen Arbeit, und dann ist gut.

    Kranz: Eine Frage die noch gestellt werden muss: In der DDR waren Sie Meister im Brettsegeln, sprich im Surfen. Haben Sie heute noch Zeit zum Surfen?

    Hübchen: Ja, Zeit schon, aber keine Kondition. Ich bin dieses Jahr glaube ich ein Mal, aber ich habe mir einen neuen Anzug gekauft. Der Alte war ein bisschen eng. Ja, ich will das auch wieder machen. Ich muss mich irgendwie bewegen. Im Sommer werde ich Surfen und Segeln und im Winter ein bisschen mehr laufen oder vielleicht doch mal Ski fahren oder so.


    Die ARD zeigt aus diesem Anlass am Mittwoch um 20.15 Uhr den Film "Hoffnung für Kummerow"