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Ich schau durch Deine Augen…

Neurologie. – Schon seit einiger Zeit untersuchen Wissenschaftler, ob sie mit Maschinenhilfe Gedanken lesen können. Von einem großen Schritt auf dem Weg zum Gedankenscanner berichten kalifornische Wissenschaftler in der aktuellen "Nature". Sie können per Gehirnscanner sozusagen durch die Augen eines anderen sehen.

Von Volkart Wildermuth |
    Was tut man nicht alles für die Wissenschaft. Jack Gallant legte sich über Stunden regungslos in einen Magnetresonanz-Tomographen. Die Ohren dröhnten ihn von den penetranten Brumm- und Klappergeräuschen während er sich konzentriert 1700 Dias anschaute. Straßenszenen ebenso wie Naturaufnahmen oder Gesichter. Die Reaktion seiner grauen Zellen wurde jeweils genau vermessen. Aus diesen Rohdaten errechnete ein Computer über Wochen ein Modell der Bildverarbeitung im Gehirn einer speziellen Person, eben von Jack Gallant. Dann kam die Stunde der Wahrheit für den Neurowissenschaftler von der Universität von Kalifornien in Berkeley. Er legte sich noch einmal in den Scanner und sah sich 120 neue Bilder an. Allein aufgrund der Messdaten sollte das Modell herausbekommen, welches Foto er gerade vor Augen hatte. Bei 110 der 120 Bilder lag der Computer richtig. Professor John Dylan-Haynes, der sich am Berliner Bernstein Center for Computational Neuroscience selbst mit dem Gedankenlesen per Hirnscanner beschäftigt, ist voll Respekt für die Leistung seines Kollegen:

    "Das ist auf jedem Fall ein großer Schritt nach vorne. Diese Forschung zeigt jetzt, dass man beliebige Bilder nehmen kann, natürliche Bilder nehmen kann und auslesen kann, welches dieser Bilder eine Person gerade gesehen hat."

    Stehen 120 Bilder zur Auswahl, liegt das Modell in 92 Prozent der Fälle richtig, steigt die Zahl auf 1600 Bilder, wird immer noch über die Hälfte erkannt. Und wenn man alle Bilder zusammennimmt, die über Google zu finden sind, würde der Rechner wahrscheinlich jedes Fünfte korrekt dem Gehirnscan zuordnen, hat Jack Gallant hochgerechnet. Fehler schleichen sich vor allem bei ähnlichen Bildern ein, wenn etwa eine Statue vor einem Museum steht, dann verwechselt das Modell das manchmal mit einem Menschen vor einem anderen Gebäude. Insgesamt ist die Leistung des Modells aber beeindruckend. Es konzentriert sich auf die erste Station der Bildverarbeitung im Gehirn. Was die Augen sehen, wird in diesem Nervennetz sozusagen Punkt für Punkt abgebildet. Heutige Hirnscanner sind aber zu grob, um einzelne dieser biologischen Pixel darzustellen. Deshalb kann die Methode auch nur ein bekanntes Bild dem Hirnscan zuordnen und nicht einfach aus den Aktivitätsmustern rekonstruieren, was ein Mensch sieht. Dylan-Haynes:

    "Was diese Methode sagt, ist, dass jemand etwas Braunes hier sieht und etwas Rotes da sieht und da eine schwarze Linie sieht aber nicht, was die Bedeutung dieser einzelnen Pixelmuster ist. Das heißt es wird noch ein ziemlicher Weg sein dahin, dass man wirklich komplexere Aspekte menschlicher Gedanken aus der Hirnaktivität auslesen kann mit solchen Verfahren."

    Die Hirnscanner werden aber immer leistungsfähiger und so ist John Dylan-Haynes davon überzeugt, dass es nur eine Frage von Jahren ist, bis man per Magnetresonanz-Tomograph tatsächlich durch die Augen eines anderen blicken kann. Und nicht nur das. Auch unsere Vorstellungen wirken indirekt auf die erste Station der Bildverarbeitung zurück. Theoretisch sollte es also möglich sein, zumindest ein schwammiges Abbild einer Erinnerung oder eines Traumes zu rekonstruieren. Vor einem hoch technisierten Gedankenüberwachungsstaat hat John Dylan-Haynes trotzdem keine Angst. Denn jeder Mensch hat seine eigene persönliche Form der neuronalen Bildverarbeitung.

    "Das bedeutet, dass wir einen Computer trainieren müssen für jede einzelne Person, deren Gedanken wir auslesen wollen. Bis zu einem gewissen Grade kann man globale Aktivitätsmuster wie zum Beispiel, ob jemand nervös ist, oder nicht, oder ob jemand ein bestimmtes Gefühl hat, oder nicht, oder ob jemand lügt, oder nicht. Solche Aktivitätsmuster können wir recht gut verallgemeinern von einer Person auf die andere, aber so bald man an die feinen, detaillierten Inhalte der Gedanken möchte, da können wir nicht von einer Person auf die andere Person schließen."