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... ich stellte mich unter, ich machte mich klein ..." Wolfgang Koeppen 1933-1948

Ich bin von Natur aus wahrscheinlich menschenscheu. Und es kann auch sein, dass das mit dazu beigetragen hat, dass ich Schriftsteller wurde, ein Mensch also, der natürlicherweise hinter seinem Schreibtisch sitzen sollte. Nun hat sich dieser Beruf etwas geändert. Er ist durch Rundfunk und Fernsehen und Leseveranstaltungen, Dichterlesungen auch wieder zu einem Artikel des öffentlichen Schaugeschäfts fast geworden. Und der Schriftsteller, der sich im Fernsehen z.B. zeigt oder einen Vortrag hält, finde ich, kommt in die Rolle, dass er einen Schriftsteller darstellt. Er spielt den Schriftsteller Wolfgang Koeppen, er ist dazu gedrängt durch die Situation. Ich habe lange Zeit eine Scheu davor gehabt, in diesem Sinne öffentlich aufzutreten. Ich habe lange Jahre keine Einladungen zu Lesungen angenommen.

Guido Graf | 11.02.2002
    Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da war Koeppen nicht scheu, konnte es nicht sein. 1933, ein nicht mehr ganz junger Mann, Feuilletonist beim Berliner Börsen-Courier, noch ohne Buch und entsprechend umtriebig: was danach kam, die unglückliche Liebe, die ersten beiden Romane, ein flüchtiges Exil in den Niederlanden, das Unterstellen beim Film, das Verkriechen und dann 1948, das anonym erschienene Überlebensbuch "Aufzeichnungen aus einem Erdloch" - von all dem wollte Koeppen erzählen. Er hat davon erzählt, der berühmte Schweiger hat erzählt, gesprochen, aber nicht geschrieben. Erstaunlich die große Zahl von Interviews, in denen Koeppen, nach der Trilogie von den "Tauben im Gras", dem "Tod in Rom" und vom "Treibhaus", nach den Reisebüchern, erzählt, was wir einst von ihm lesen werden. Alle Jahre wieder wurden Gerüchte ausgetauscht über den großen Roman, an dem Koeppen schreibt, genährt von ihm selbst. Er sollte von den Jahren handeln, die Koeppens spätere Scheu begründet haben, von einer nachträglichen Selbsterfindung als Romanfigur. In der Fiktion sollte sich das wirkliche, das getarnte Leben in Nazi-Deutschland besser erklären lassen.

    Daraus ist nichts geworden, wie spätestens die vor zwei Jahren von Alfred Estermann herausgegebene Nachlasssammlung belegt. Eine Rekonstruktion anderer Art führt nun die außergewöhnliche Dissertation von Jörg Döring vor. An Gründlichkeit und Genauigkeit kaum zu überbieten, hat er bei seinem Gang durch die Archive nicht nur eine Fülle bislang unbekannten oder aber völlig unbeachteten Materials zu Koeppens schriftstellerischen Anfängen zu Tage gefördert, Döring gelingt mit seiner spannend zu lesenden Studie auch ein geradezu exemplarisch neues Bild von Koeppen. Man wünschte sich Ähnliches mehr zu anderen der großen Namen der deutschsprachigen Literatur nach 1945. Kontinuitäten werden sichtbar jenseits von Entlarvung und Schuldzuweisung, vielmehr mit dem Gewinn einer deutlichen Differenzierung, die Abschied nimmt von Koeppens Selbstinszenierungen. Mit Döring wird offenbar, wie Koeppen zeitlebens, angefangen in den dreißiger Jahren über die unmittelbare Nachkriegszeit hin zu den späten, nie vollendeten Anläufen zu einem weiteren, letzten Roman, immer wieder versucht hat, Leben und Schreiben miteinander zu verwechseln.

    Dass ihm das nicht gelungen ist, hat in Werk und Biographie Bruchlinien gezogen, die ihn aus der Menge der vielen herausragen lässt, die mit den gleichen Strategien zur Masse der mittelmäßigen Mitläufer und Mitwisser geworden sind:

    Und der Schriftsteller, der sich im Fernsehen z.B. zeigt oder einen Vortrag hält, finde ich, kommt in die Rolle, dass er einen Schriftsteller darstellt. Er spielt den Schriftsteller Wolfgang Koeppen, er ist dazu gedrängt durch die Situation.

    Allein, was die Jahre zwischen 1933 und 1948 angeht, erzählen der Nachlass des 1996 in einem Pflegeheim gestorbenen Koeppen, berichten Briefe und Zeitzeugen von einem anderen Bild. Jörg Döring zeigt vielmehr, wie Koeppen - wenn auch unglücklich dabei agierend - an dem, was ihn bedrängt hat, entscheidend mitwirkte. Und - was für die literaturgeschichtliche Bedeutung Wolfgang Koeppens das Entscheidende ist - Döring knüpft hier unmittelbar den Blick auf das Werk an, das Koeppen berühmt gemacht hat. Im Zentrum seiner Studie steht die Frage Dörings, ob Koeppens "exponierte Kritik an der Nachkriegsgesellschaft nicht auch als Substitut verstanden werden kann für die scheiternde erzählerische Bewältigung der eigenen Vergangenheit im Dritten Reich."

    Auch die Kritik wollte lange davon nichts wissen. Döring macht das anhand des Versteckspiels deutlich, das der bei näherem Hinsehen und Hinhören überaus interviewfreudige Koeppen lange um seine Autorschaft an dem 1948 in einem kleinen Verlag erschienenen Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch betrieben hat. Diese umfassende Bearbeitung, wenn nicht gar Aneignung der Erinnerungen eines polnischen Ghetto-Überlebenden bürstet in äußerst vertrackter Weise die aus dem sogenannten Wilkomirski-Syndrom bekannte Identifikationsstrategie gegen den Strich. Koeppen phantasiert sich nicht zum Opfer, er folgt vielmehr einer Logik der Ästhetisierung der Täterseite. Ihm ist nicht an der Authentizität des Grauens gelegen, sondern an einer mythologisch unterfütterten Dämonisierung.

    Das verknüpft Koeppen mit der These, Schuld am nationalsozialistischen System und seinen Verbrechen sei die Feigheit jedes einzelnen Deutschen gewesen. Vor allem erzählt Koeppen so aber von seinem Leben und dem quälenden Makel der eigenen Feigheit, der Unentschiedenheit, der arrangierten Sehnsüchte. 1933 war er Feuilletonredakteur bei einer wichtigen Berliner Zeitung, er wünscht sich in Paris Korrespondent zu werden. Die Stadt ist voll von deutschen, jüdischen Emigranten, von denen Koeppen wiederum sich auch distanzieren muss, als er endlich einmal aus Paris berichten darf. Ob Geschick oder Indifferenz, Koeppen erhält sich fortan in allem, was er schreibt, ein gewisses Maß an Ambivalenz in seinen Haltungen, die kleine Flucht in die Gegebenheiten dem Lebensrisiko irgendeiner großen Flucht immer vorziehend. Von Bruno Cassirer, ein jüdischer Verleger, der bald enteignet wird, erhält Koeppen den Auftrag für einen Roman. Gelegenheit für Koeppen, aus der Geschichte seiner unglücklichen, nie so recht erwiderten Liebe zu der Schauspielerin Sybille Schloß wenigstens einen Roman zu machen. Gut versorgt von einer wohlhabenden jüdischen Familie führt Koeppen in Berlin ein munteres Leben. Unter anderem mit der schönen Frau eines SS-Offiziers. Die daraus erwachsende Bedrohung veranlasst Koeppen, im November 1934 nach Den Haag zu gehen, wo er wieder komfortablen Unterschlupf bei den inzwischen dorthin geflüchteten jüdischen Mäzenen findet.

    In dieser Situation kommt, wieder von Cassirer, die Frage nach einem zweiten Roman. Ausgerechnet der unfreiwillige Emigrant Koeppen schreibt in Holland einen stark autobiographisch geprägten Roman über seine Kindheit in Ostpreußen: eine in zwei entgegengesetzte Richtungen gespreizte, auch für den späteren Koeppen durchaus bezeichnende Spannung einer halb betäubten Sehnsucht. Sein Blick auf die politischen Verhältnisse in Deutschland ist klar, der Wunsch nach heimatlicher Akzeptanz aber ist mindestens genauso groß. Koeppen hält intensiven Kontakt zu Zeitungen in Deutschland, ist in Exilkreisen fast vollständig isoliert. 1938 kehrt er nach Berlin zurück und beginnt, als Drehbuchautor für den Film arbeiten. Die Synagogen brennen und Koeppen sichert sich in der reichsdeutschen Vergnügungsindustrie ein Auskommen wie noch nie und er sichert sich, das ist seine Überzeugung, das Überleben in der Diktatur. Gerade mit der Arbeit beim Durchhalte- und Trivialkino wollte Koeppen sich unsichtbar machen. Im Keller eines Hotels am Starnberger See erlebt er die Befreiung. Ein Empfehlungsschreiben von Klaus Mann hilft bei den Formalitäten zur Entnazifizierung. Nachträglich macht sich Koeppen auch noch ein wenig renitent. Und er verliert keine Zeit, um alte und neue Verbindungen zu knüpfen, die ihm wieder die Existenz als Feuilletonist ermöglichen sollen.

    Mit der Geschichte von Koeppens Opferanverwandlung in den Aufzeichnungen aus einem Erdloch beendet Jörg Döring seine überaus spannend zu lesende Studie über die bemerkenswerte Kontinuität im Schreiben Wolfgang Koeppens: die permanente Selbsterfindung, um sich den Bruchlinien der eigenen Biographie nicht stellen zu müssen, um verschwinden zu können. "Ich stellte mich unter, ich machte mich klein", nannte Koeppen das später. Und: "ich bin auf der Suche nach einer Romanfigur, die ich selbst bin." Dazu Koeppen:

    Er spielt den Schriftsteller Wolfgang Koeppen, er ist dazu gedrängt durch die Situation.