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"Ich traf die Töne, aber ich hatte keine Stimme"

Sie habe erst spät mit dem Singen angefangen, erzählt Anna Calvi und für ihre Stimme musste sie Jahre trainieren. Inzwischen hat sie ihr zweites Album auf den Markt gebracht: "One Breath" erscheint am Freitag.

Mit Bernd Lechler | 15.10.2013
    Bernd Lechler: Ich las einen älteren Artikel über Sie im New Musical Express, da werden Sie als "sehr sinnlich" beschrieben - "und ein bisschen furchteinflößend". Wissen Sie, was die gemeint haben?

    Anna Calvi: Das wird mit meiner Art auf der Bühne zu tun haben. Ich singe und performe halt auf eine sehr eindringliche Art. Aber im Alltag würde ich mich nicht so beschreiben. (lacht)

    Lechler. Dieses Eindringliche, dieses Sich-öffnen - geht das denn immer, macht man das immer gern? Oder haben Sie auch schüchterne Tage? Es fordert einen ja sicher...

    Calvi: Im Konzert macht mir das immer Spaß. Ich würde es ermüdender finden, sich nicht ganz einzulassen. Das wäre wie lächeln, obwohl man etwas gar nicht lustig findet. Ich will auf der Bühne alles geben.

    Lechler: Und bei einem Song wie "Bleed Into Me", bei dem es so offensichtlich um Sex geht - denkt man da nie: Danach ist mir jetzt eigentlich gar nicht?

    Calvi: Ha. Ich hab den Song erst einmal live gespielt. Er hat schon etwas sehr Erotisches, aber für mich ist er auch ein Art Gebet, das heißt, wenn ich ihn singe, kann ich ihn so oder so nehmen.

    Lechler: Dann handelt er gar nicht von Sex?

    Calvi: Doch, schon. Er handelt davon, sich in einen Fluss zu verlieben, der einen davonträgt. Und natürlich ist das auch eine Metapher dafür, mit jemandem intim zu sein. Aber wenn ich davon mal nicht singen wollen würde, könnte ich mir auch einfach vorstellen, auf einem Fluss davon zutreiben...

    Lechler: Dann ist da "Sing To Me". Wovon handelt das?

    Calvi: "Sing To Me" handelt von Maria Callas. Davon, wie sehr sie mich geprägt hat, und wie ich, wenn sie singt, fast das Gefühl habe, als könnte sie alle meine Probleme lösen. Allein indem man so einem Menschen nahe ist, der ein solches Talent hat, sich durch Musik auszudrücken. Und wie heilsam und wunderbar das ist. Sodass man alles täte, um in ihrer Nähe zu sein.

    Lechler: Manche sagen, Callas‘ Stimme wäre irgendwann kalt geworden, weil ihr Geld und Ruhm zu wichtig wurden.

    Calvi: Das halte ich für dämlich. Vielleicht wurde ihre Stimme im Alter schwächer, wie bei jedem. Aber wer das sagt, reduziert sie.

    Lechler: Ein anderer Song heißt "Tristan" - ist das Wagners Tristan?

    Calvi: Er basiert lose auf "Tristan und Isolde". Es geht darum, dass Isolde vielleicht nicht unbedingt so passiv auf Tristan warten müsste. Dass bei zwei Hauptfiguren vielleicht auch die Heldin das Geschehen vorantreiben könnte, statt nur auf den Helden zu warten. Das war die Idee.

    Lechler: "Love Of My Life" klingt wieder ganz anders, die verzerrten Gitarren lassen mich an Alternative Rock der 90er denken, an Pavement, die Pixies. Wo kam das denn her?

    Calvi: Der Song handelt davon, dass man jemanden sehr begehrt, so ganz aus dem Bauch heraus, und so sollte er klingen, darum wurde er so heavy. Wenn dieses Gefühl einen Sound hätte - dann wäre es dieser Sound. Der Song ist ein gutes Beispiel für die Bandbreite, die ich haben wollte: Er sollte hässlich klingen - neben der Schönheit anderer Songs.

    Lechler: Um noch mal von Einflüssen zu sprechen: Maria Callas haben Sie genannt, in anderen Interviews auch Jimi Hendrix, Edith Piaf, Nina Simone: lauter alte Sachen. Liege ich also falsch, wenn ich - noch mal - auch die 90er höre: Goldfrapp, Jeff Buckley? Von Ihrem Alter her würde das passen...

    Calvi: Als Teenager hab ich Jeff Buckley tatsächlich geliebt. Goldfrapp kenne ich kaum. Und was mir an Jeff Buckley gefiel, war das Gleiche wie bei Nina Simone: nämlich dass es eine performanceorientierte Musik ist. Man singt und spielt ganz und gar emotional, um einen ganz besonderen Moment zu erzeugen. Das hab ich von Jeff Buckley oder auch Edith Piaf und Maria Callas mitgenommen.

    Lechler: Was wäre das Gegenteil von "performance-orientierter" Musik?

    Calvi: Naja, auf eine Art ist natürlich jede Musik performanceorientiert, aber nehmen wir eine andere Band aus Jeff Buckleys Zeit: Oasis. Da geht’s um Anti-Performance. Nur dastehen und tun, als wäre einem alles scheißegal. Es geht um Attitüde, um diese Gang-Mentalität. Das ist weit, weit weg von der Idee, dass man mit seiner Stimme und seinem Instrument einen Moment der Schönheit schaffen will.

    Lechler: Haben Sie denn viel andere Musik gehört, während das Album entstand?

    Calvi: Ja, wenn ich eine Platte mache, suche ich sehr bewusst aus, was ich in dieser Zeit höre. Meistens avantgardistische Sachen, die interessante Texturen haben - das kann man gut als Einfluss nutzen, wenn man eine eher populäre Musik macht. Also hab ich Ligeti gehört, Rachmaninoff, Rossini - viel klassische Musik. Aus der anderen Ecke dann so was wie Tom Waits oder Dr. John - Musik, die auch eigene Texturen schafft, statt nur so einen Bandsound mit Bass, Gitarre, Schlagzeug.

    Lechler: War es etwas ganz anderes, das zweite Album aufzunehmen? Die Situation ist ja nach dem ersten Erfolg anders als noch beim Debüt...

    Calvi: Irgendwie schon. Gleichzeitig hatte ich genau wie beim ersten Album auch jetzt wieder keine Ahnung, ob die Musik irgendwem gefallen würde. Also musste ich sie so machen, dass ich total dahinter stehen konnte. Selbst wenn außer mir niemand was damit anfangen kann. Insofern war’s das Gleiche: Man kann immer nur genau das machen, was zu genau diesem Zeitpunkt ansteht. Ein Album ist ein Ereignis an einem bestimmten Punkt im Leben, und dann geht man weiter und macht das nächste.

    Das ist mir tatsächlich erst jetzt beim Zweiten klar geworden: Das Album ist nicht alles, was ich bin, nicht mein ganzes Leben. Beim Ersten denkt man noch: Ich muss alles ausdrücken, was ich je ausdrücken wollte. Dann wird einem klar: Es sind eher viele kleine Berge, statt eines großen.

    Lechler: Das wäre also eine Lektion, die Sie gelernt haben. Was noch? Welchen Rat würden Sie der Anna Calvi von vor zehn Jahren geben?

    Calvi: Alles, woran ich dabei denke, klingt furchtbar kitschig. Ich würde sagen: Halte durch, mach weiter. Irgendwann kommt das Gefühl, dass diese ganze Wahnsinnsarbeit sich lohnt. Selbst wenn man zwischendurch denkt, das führt nirgendwohin. Es ist nämlich echt ein Gewaltmarsch. Nicht nur, Gehör zu finden. Sondern überhaupt erst mal gut zu werden. Das sind viele, viele Stunden Arbeit, viel Frust, und nur selten denkt man: ‚Ah, so geht das!’, oder: ‚Ah, jetzt kann ich das.’ Und das trägt einen weiter.

    Lechler: Was sind das für Momente, in denen man durchhängt oder zweifelt?

    Calvi: Ach, immer wieder auf diesem Weg. Ich hab zum Beispiel erst sehr spät mit dem Singen angefangen. Ich meine, ich traf die Töne, aber ich hatte keine Stimme. Also musste ich sie trainieren. Und das hat Jahre gedauert. Stunden um Stunden. Eine lange Zeit, bevor es auch nur annähernd so klang, wie ich mir das vorstellte.

    Lechler: Lustig. So was hört man Popmusiker sonst nie sagen. Sie haben Oasis erwähnt: Ich stelle mir vor, dass deren Ex-Sänger Liam Gallagher einfach auf die Bühne ging und eben drauflos gesungen hat. Ist Maria Callas schuld, dass Sie das Gefühl hatten, Sie müssten erst mal was lernen?

    Calvi: Es ist wohl so ein Jungsding, dass es als uncool gilt, sich etwas hart erarbeitet zu haben. Das ist doch dumm. Wieso denn nicht? Ich hab durch diese ganze Arbeit heute die Technik, damit ich sie vergessen und mich ausdrücken kann. Sonst wäre ich ständig eingeschränkt. Und ich bin keine technische Sängerin, ich gehe rein emotional an Musik heran. Ohne an Theorie zu denken. Aber für mich war das ganz klar der Weg, um mich zu öffnen. Und um meine Stimme kennenzulernen und wozu sie fähig ist.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.